#allesdichtmachen erinnert an den Biermann-Rauswurf
Eine Reihe von Satirevideos unter dem Label #allesdichtmachen gegen den von Dr. Merkel verhängten Stubenarrest erschüttern und spalten die linke Schickeria und erregen große Aufmerksamkeit. Es ist ein massenwirksamer Tabubruch, wie der Protestbrief gegen den Biermann-Rauswurf vor 45 Jahren. Ein Rückblick, weil die Lage eigentlich schon wieder dieselbe ist:
Wolf Biermann hatte im November 1976 ein Konzert in Köln gegeben, welches im Westfernsehen übertragen wurde. Er wurde postwendend ausgebürgert, offensichtlich war das schon lange geplant. Die nächsten Tage gab es eine regelrechte Protestwelle von teilweise linksradikalen Staatskünstlern, wie sie das Honecker-Regime noch nicht gekannt hatte. Einen Tag nach der Ausbürgerung veröffentlichen zwölf bekannte Schriftsteller der Zone, wie Sarah Kirsch, Christa Wolf, Erich Arendt, Rainer Kirsch, Günter de Bruyn, Mathias Geschonneck, Jurek Becker und Stefan Heym einen Brief, in dem es hieß:
„Wolf Biermann war und ist ein unbequemer Dichter (…). Unser sozialistischer Staat, (…), müßte eine solche Unbequemlichkeit gelassen nachdenkend ertragen können. Wir identifizieren uns nicht mit jedem Wort und jeder Handlung Biermanns und distanzieren uns von dem Versuch, die Vorgänge um Biermann gegen die DDR zu mißbrauchen. Biermann (…) hat nie, (…),Zweifel daran gelassen, für welchen der beiden deutschen Staaten er bei aller Kritik eintritt. Wir protestieren gegen seine Ausbürgerung und bitten darum, die beschlossene Maßnahme zu überdenken.“
Bei der ostberliner Nachrichtenagentur ADN lief die Erklärung am 17. November gegen 18 Uhr über den Umweg der westdeutschen DPA ein. In den westdeutschen Nachrichten wurde sie ab 19 Uhr als Spitzenmeldung verbreitet. In den nächsten Tagen erklärten sich über hundert Schriftsteller und Künstler mit der Petition solidarisch, es unterschrieben bekannte Personen wie Manfred Krug, Ulrich Plenzdorf, Angelica Domröse, Armin Müller-Stahl und Bettina Wegner. Die Ausbürgerung Biermanns wurde als disziplinierende Abschreckung verstanden, die die engen zugestandenen Freiräume der Kunst bedrohte. Aus Vorsicht und Selbstschutz wurde zwar gegen die Ausbürgerung protestiert, aber auch gegen die Versuche, „die Vorgänge um Biermann gegen die DDR zu mißbrauchen.“ So wie man heute darauf achtet, sich von der AfD und den Querdenkern zu isolieren.
Empörung wurde auch im Zusammenhang mit der Art des Vorgehens gegen Biermann laut. Besonders die Künstler, die etwas älter waren und das erste sozialistische Regime noch kannten, warfen der SED-Regierung vor, daß sie mit der Zwangsexilierung des Liedermachers an die Tradition des deutschen Nationalsozialismus im Umgang mit Andersdenkenden anknüpfte. Stefan Heym sagt in diesem Zusammenhang wenige Tage nach der Ausbürgerung in einem Gespräch zwischen einigen Petenten und dem Chef der Abteilung Agitation und Propaganda Werner Lamberz zur Maßnahme gegen Biermann: „(…) daß die Terminologie dieses Artikels wörtlich entnommen ist den Ausbürgerungsdokumenten des nationalsozialistischen Staats (…). Die Ausbürgerung ist eine Nazipraxis.“
In den nächsten Jahren wechselte einer nach dem anderen Petenten in den Westen, nur wenige blieben Landeskinder. Die Wirkung war und blieb für die Führung verheerend. Bis in die Partei hinein reichte die Empörung. Der Staat hatte sich mit Leuten, die auch eine Ausstrahlung nach dem Westen hatten, immer geschmückt und sie zu propagandistischen Zwecken mißbraucht. Diese Schiene war weggebrochen.
Es gab natürlich auch damals fanatisierte Böhmermänner: Zu den „Kulturschaffenden“, die sich im „progressiven“ Sinne äußerten, gehörte der Schriftsteller Peter Edel, der betonte, er habe die Entscheidung mit Erleichterung aufgenommen und begrüße sie. Gleichzeitig hoffe er, dass sie ernüchternd auf andere wirke. Dabei verwies er auf Freunde Biermanns wie Jurek Becker.
Uwe Berger, parteiloser Lyriker, habe eine solche entschlossene Maßnahme seit langem erhofft, weil damit anderen »Gleichgesinnten« gezeigt werde, wo ihr Spielraum zu Ende ist und die Geduld aufhört. Der freischaffende Rundfunk- und Fernsehautor Horst Ulrich Wendler begrüßt Biermanns Ausweisung. Es sei zukünftig notwendig, die »vielen kleinen Biermänner« unter Kontrolle zu halten, um das Problem endgültig zu lösen. Er behalte sich vor, im Berliner Schriftstellerverband die Frage aufzuwerfen, wie man künftig solchen Leuten offensiv gegenübertreten wolle.
Dr. Werner Neubert, Literaturwissenschaftler, begrüßte Biermanns Ausweisung als eine unbedingte Notwendigkeit. Biermann, der eigentlich hinter Schloss und Riegel gehöre, sei damit noch gut bedient worden.
Der Cheflektor des Verlages »Neues Leben«, Genosse Lewerenz schätzte gegenüber dem MfS ein, daß Biermanns Ausweisung, die mit dem Ausschluss von Rainer Kunze aus dem Schriftstellerverband im Zusammenhang stehe, eine neue Phase der Kulturpolitik in der Zone einleite, die durch größere Konsequenz und Härte gekennzeichnet sein werde. Das sei unvermeidbar, da sich unter den gegenwärtigen politischen Bedingungen die Partei keine Untergrundbildung und Untergrundliteratur leisten könne. Lewerenz hoffte, daß eine konsequentere Kulturpolitik auch schlagartig andere, jetzt noch schwebende kulturpolitische Fragen lösen werde.
1976 gab es Einzelne, die dem Druck der Genossen nicht widerstanden und widerrriefen, zum Beispiel der Bildhauer Fritz Cremer. Auch wer demnächst ein Engagement haben will, muß Asche auf sein Haupt streuen und bereuen. Der SPD-Politiker und WDR-Rundfunkrat Garrelt Duin forderte bei Twitter, die Öffentlich-Rechtlichen müßten die Zusammenarbeit mit Schauspielern wie Liefers und Tukur beenden. Heike Makatsch und die anderen haben wohl nicht gewußt, mit welchem religiösen Ernst es in Merkeldeutschland und insbesondere bei der SPD zugeht.
1976 standen 18 Millionen Ossis etwa 63 Mio. Wessis gegenüber. Die Bundesrepublik konnte die Übersiedler spielend absorbieren. Heute stehen 82 Millionen Deutschen nur 9 Millionen Österreicher und etwa 8,5 Mio Schweizer gegenüber. Von letzteren nur etwa 5 Mio deutschsprachig, wenn man nicht allzu strenge Maßstäbe an die alemannische Mundart anlegt. Da wird es im Exil für #allesdichtmachen schon etwas eng. Wer rechtzeitig russisch, schwedisch oder polnisch gelernt hat, hat bessere berufliche Perspektiven.
Wie die Sache mit #allesdichtmachen auch ausgeht: Der Ruf der Bundesrepublik als demokratisches oder gar freiheitliches Land ist wieder einmal ruiniert.
Grüße an den Inlandsgeheimdienst: „Die Stasi ist mein Eckermann“ (Biermann)
Einige der damaligen Petenten-Namen sind aus meinen Sieb, Gedächtnis genannt, wieder herausgeschlüpft. Natürlich nicht jeder: Ein Herr Wendler ist mir komplett unbekannt. Bemerkenswert ist, daß der Mann wohl in seiner Jugend gut aufgepaßt hatte (Baujahr 1926). Wie ist folgende Formulierung sonst zu erklären? „… um das Problem endgültig zu lösen.( das der vielen kleinen Biermänner)“. Angeblich lebt der noch heute. Echt brauchbar, der Mann! Der könnte noch ins Problemlösungs-Rennen gehen…
Zeigen die Biermannsache damals und das Geblöke heute nicht klar, dass es „Deutschland“ eigentlich gar nicht gibt, sondern nur mit einem wie auch immer gearteten Zwang die Leute zusammengehalten werden; ganz wie eine Schafherde bei diesen Hütehund-Wettbewerben?
War Westdeutschland 1976 „frei“?
Relativ zu Heute war Westdeutschland 1976 frei. Damals kamen die Wände und die Decke nicht auf einen zu (Diskursverengung), sondern man konnte die Wände mit Worten weiter nach außen verschieben und den Freiraum erweitern. Das ist ein gewaltiger Unterschied.
Ja, so gesehen – im kleinen Westdeutschland – stimmt das; aber die es von aussen umgebenden Betonwände des Kalten Krieges waren jahrzehntelang unverrückbar und erlaubten in ihrem Schutz allerlei Hampelmanniaden der Deutschen.
Etwa die, Preussen zu sein (in der DDR) oder eine gewaltige Weltmacht (in der BRD). Einen Eindruck davon vermittelt etwa das westdeutsche Buch „Schon bist Du ein Verfassungsfeind“ von Peter Schneider.
Es zeigt sich nicht erst heute, dass den Wessis jegliche solcher Erfahrungen fehlt.
Die Situation mit dem Merkel-Notstandsgesetz erinnert doch sehr an die Betonköpfe des ZK und ihre brave Volkskammer.
Ich bin sicher, wir werden in den nächsten Tagen und Wochen ein paar für viele unvorstellbare Situationen erleben, vor allem unsere Brüder und Schwestern werden fassungslos dreinblicken.
Dieses Gesetz ist ein Dammbruch, das Gespinst einer beleidigten und verstockten älteren Dame.
Aber vielleicht ist es ganz hilfreich, den blinden und unbedarften Mitbürgern ein kleines Licht aufgehen zu lassen.
Besonders die stark beschränkten juristischen Einspruchsmöglichkeiten mit dem BVG als einzige Instanz machen mir große Sorgen.
Was sich gerichtlich nicht mehr klären lassen wird landet auf der Straße.
Nein. Denn schon seit Anfang der 1970er gibt es keine Bahnsteigkarten mehr. Daher ist es der „Strasse“ unmöglich, irgendwas zu stürmen.
Ich glaube der Westen ist nie aus dem diktatorischen Zustand der 33-erherausgekommen und glaubt das dies die Demokratie sei. Wie sonst ist es möglich gewesen das die sich mit den SED-Kommunisten nach 90 verbrüdert haben und seit dieser Zeit offen gemeinsame Sache machen. Zuerst wurde gemeinsam die Industrie ausgeplündert, dann den alten Ostkadern lukrative Posten im Westen verschafft, die Leute defacto interniert und wer nützlich erschien zur Zwangsarbeit nach dem Westen deportiert. Und jetzt ist es selbstverständlich das man das private Eigentum im Osten den Leuten wegnimmt und die Menschen immer noch mit Niedriglöhnen abspeist. Da dies alles widerspruchslos durch die Ossis hingenommen wird, zieht man jetzt im Westen nach. Willkommen in der neuen deutschen Altdiktatur.
„Die Menschheit wird nach dem Niedergang des Kommunismus, das skrupelloseste und menschenverachtende System erleben, was die Menschheit noch niemals zuvor erlebt hat, ihr ,Armagetton’. Das System, welches für dieses Verbrechen verantwortlich ist, heißt ,unkontrollierter Kapitalismus’.“
(C.F. von Weizsäcker)
Dem Revolutionär Jesus zum Geburtstag
Zweitausend Jahre sind es fast,
seit du die Welt verlassen hast,
du Opferlamm des Lebens!
Du gabst den Armen ihren Gott.
Du littest durch der Reichen Spott.
Du tatest es vergebens!
Du sahst Gewalt und Polizei.
Du wolltest alle Menschen frei
und Frieden auf der Erde.
Du wußtest, wie das Elend tut,
und wolltest alle Menschen gut,
damit es schöner werden!
Du warst ein Revolutionär
und machtest dir das Leben schwer
mit Schiebern und Gelehrten.
Du hast die Freiheit stets beschützt
und doch den Menschen nichts genützt.
Du kamst an die Verkehrten!
Du kämpftest tapfer gegen sie
und gegen Staat und Industrie
und die gesamte Meute.
Bis man an dir, weil nichts verfing,
Justizmord kurzerhand beging.
Es war genau wie heute.
Die Menschen werden nicht gescheit.
Am wenigsten die Christenheit,
trotz allem Händefalten.
Du hattest sie vergeblich lieb.
Du starbst umsonst. Und alles blieb
beim alten.
(Erich Kästner, Schriftsteller (1899-1974))
Kleine Ergänzung:
1976 war ich im Bereich Kunst- und Kulturpolitik/Dramatische Kunst des Fernsehens der DDR tätig. Die Künstlerische Leitung (Frau Sander) bat um meine Unterschrift für die Ausbürgerung von Wolf Biermann, die ich verweigerte. Seinerzeit mochte ich Biermann und seine Lieder. Heute mag ich die Lieder von einst, den „gewandelten“ Biermann nicht. Ich bereue aber keine Sekunde meine Entscheidung, bei der ich trotz aller Anfeindungen blieb.
Diese und andere „politische Auffälligkeiten“ führten zu Ermittlungen der Stasi (OPK) und einem Berufs/Beschäftigungsverbot. Die Stasi formulierte es so: „Der S. ist aus dem Fernsehen herauszulösen, in dem das Arbeitsrechtsverhältnis beendet wird….“.
Herauslösen, bespitzeln, diskreditieren und diffamieren haben 31 Jahre nach der sog. Wende(hälsezeit) wieder Hochkonjunktur.
Wer Interesse an diesem Thema hat, kann mich gern über meine WordPress-Seite kontaktieren.