Kampagnenjournalismus wie im Neuen Deutschland

Dem verwunderten Zeitungsleser kommt die Berichterstattung über die Impfkampagne sattsam bekannt vor. Statt über die Impfquoten in den einzelnen Bundesländern berichtete das Neue Deutschland vor geraumer Zeit im Juli/August täglich über den aktuellen Stand der Getreideernte in den einzelnen Bezirken. Schwerin hatte schon 62,8 % der Schläge abgeräumt, während im Bezirk Karl-Marx-Stadt erst auf 42,4 % der Fläche geerntet war. Heutzutage hat der Bezirk Cottbus schon 4,6 % geimpft, der Bezirk Suhl hängt mit 3,5 % hinterher. Statt den lockigen Virologen Dr. Pfosten sah man früher verschwitzte Mähdrescherkapitäne in die Objektive lächeln, sie waren staubig wie Mehlsäcke, weil es noch keine klimatisierten Kabinen gab.

Jede Zeit hat ihre Obsessionen. Die Wurst am Stengel, die Schweineimer für Flora und Jolanthe, die Offenställe, die sozialistische Umgestaltung der Landwirtschaft, Max braucht Wasser, den Siebenjahrplan und die ETU. Nach dem Wechsel der Peiniger das Waldsterben, die Lawine von Galtür, Griechenland, die Tsunamis, die Moslembrüder, das Klima, Messerungen, Quoten und Kórona.

In den 50ern und 60ern mokierte sich die Westpresse über die Kampagnenwirtschaft im Osten, inzwischen ist sie beim Treiben von Säuen durchs publizistische Dorf eifriger als Goebbels und Schnitzler. Das waren damals Lehrlinge, die noch nicht mal aus dem Füllhorn der Demokratieabgabe schöpfen konnten.

Der Stabülehrer (für die Jüngeren: Stabü = Staatsbürgerkunde) warnte öfter mal vor der Konvergenztheorie, die das Verschwimmen von Stalinismus und Demokratie zu einem sozialdemokratisch-dekadenten Einheitsbrei vorhersagte. Er hat nicht geahnt, wie schnell das gehen wird.

 

Grüße an den V-Schutz: „Gedanken sind mächtiger als Waffen. Wir erlauben es unseren Bürgern nicht, Waffen zu führen – warum sollten wir es ihnen erlauben, selbständig zu denken?“ (Josef Stalin)