Stefan Zweig über Berlin vor hundert Jahren
Die Beschreibung beginnt Mitte 1922, als das Gelddrucken in Berlin richtig Fahrt aufnahm. Zweig war kein Ökonom, nur Chronist und zeigte anschaulich die Nachteile von Nullzinsen, Gelddrucken und Perversion. Den folgenden Text sollten sich Dick und Doof vorsichtshalber hinter den Spiegel stecken. Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich:
„Mit einem Ruck stürzte die Mark, und es gab kein Halten mehr, ehe nicht die phantastischen Irrsinnszahlen von Billionen erreicht waren. Nun erst begann der wahre Hexensabbat von Inflation, gegen den unsere österreichische mit ihrer doch schon absurden Relation von 1 zu 15 000 nur ein armseliges Kinderspiel gewesen. Sie zu erzählen mit ihren Einzelheiten, ihren Unglaublichkeiten würde ein Buch fordern, und dieses Buch würde auf die Menschen von heute wie ein Märchen wirken. Ich habe Tage erlebt, wo ich morgens fünfzigtausend Mark für eine Zeitung zahlen mußte und abends hunderttausend; wer ausländisches Geld wechseln mußte, verteilte die Einwechslung auf Stunden, denn um vier Uhr bekam er das Mehrfache von dem, was er um drei, und um fünf Uhr wieder das Mehrfache von dem, was er sechzig Minuten vorher bekommen hätte. Ich sandte zum Beispiel meinem Verleger ein Manuskript, an dem ich ein Jahr gearbeitet hatte, und meinte mich zu sichern, indem ich sofortige Vorausbezahlung für zehntausend Exemplare verlangte; bis der Scheck überwiesen war, deckte er kaum, was vor einer Woche die Frankierung des Pakets gekostet; man zahlte in der Straßenbahn mit Millionen, Lastwagen karrten das Papiergeld von der Reichsbank zu den Banken, und vierzehn Tage später fand man Hunderttausendmarkscheine in der Gosse: ein Bettler hatte sie verächtlich weggeworfen. Ein Schuhsenkel kostete mehr als vordem ein Schuh, nein, mehr als ein Luxusgeschäft mit zweitausend Paar Schuhen, ein zerbrochenes Fenster zu reparieren mehr als früher das ganze Haus, ein Buch mehr als vordem die Druckerei mit ihren Hunderten Maschinen. Für hundert Dollar konnte man reihenweise sechsstöckige Häuser am Kurfürstendamm kaufen. Fabriken kosteten umgerechnet nicht mehr als früher ein Schubkarren.
Halbwüchsige Jungen, die eine Kiste Seife im Hafen vergessen gefunden, sausten monatelang in Autos herum und lebten wie Fürsten, indem sie jeden Tag ein Stück verkauften, während ihre Eltern, einstmals reiche Leute, als Bettler herumschlichen. Austräger gründeten Bankhäuser und spekulierten in allen Valuten. (…) Die Arbeitslosen standen zu Tausenden herum und ballten die Fäuste gegen die Schieber und Ausländer in den Luxusautomobilen, die einen ganzen Straßenzug aufkauften wie eine Zündholzschachtel; jeder, der nur lesen und schreiben konnte, handelte und spekulierte, verdiente und hatte dabei das geheime Gefühl, daß sie alle sich betrogen und betrogen wurden von einer verborgenen Hand, die dieses Chaos sehr wissentlich inszenierte, um den Staat von seinen Schulden und Verpflichtungen zu befreien. Ich glaube Geschichte ziemlich gründlich zu kennen, aber meines Wissens hat sie nie eine ähnliche Tollhauszeit in solchen riesigen Proportionen produziert. Alle Werte waren verändert und nicht nur im Materiellen; die Verordnungen des Staates wurden verlacht, keine Sitte, keine Moral respektiert, Berlin verwandelte sich in das Babel der Welt. Bars, Rummelplätze und Schnapsbuden schossen auf wie die Pilze. Was wir in Österreich gesehen, erwies sich nur als mildes und schüchternes Vorspiel dieses Hexensabbats, denn die Deutschen brachten ihre ganze Vehemenz und Systematik in die Perversion. Den Kurfürstendamm entlang promenierten geschminkte Jungen mit künstlichen Taillen und nicht nur Professionelle; jeder Gymnasiast wollte sich etwas verdienen, und in den verdunkelten Bars sah man Staatssekretäre und hohe Finanzleute ohne Scham betrunkene Matrosen zärtlich hofieren. Selbst das Rom des Sueton hat keine solche Orgien gekannt wie die Berliner Transvestitenbälle, wo Hunderte von Männern in Frauenkleidern und Frauen in Männerkleidung unter den wohlwollenden Blicken der Polizei tanzten. Eine Art Irrsinn ergriff im Sturz aller Werte gerade die bürgerlichen, in ihrer Ordnung bisher unerschütterlichen Kreise. Die jungen Mädchen rühmten sich stolz, pervers zu sein; mit sechzehn Jahren noch der Jungfräulichkeit verdächtig zu sein, hätte damals in jeder Berliner Schule als Schmach gegolten, jede wollte ihre Abenteuer berichten können und je exotischer, desto besser. Aber das Wichtigste an dieser pathetischen Erotik war ihre grauenhafte Unechtheit. Im Grunde war die deutsche Orgiastik, die mit der Inflation ausbrach, nur fiebriges Nachäffertum; man sah diesen jungen Mädchen aus den guten bürgerlichen Familien an, daß sie lieber einen einfachen Scheitel getragen hätten als den glattgestrichenen Männerkopf, lieber Apfelkuchen mit Schlagsahne gelöffelt, als die scharfen Schnäpse getrunken; überall war unverkennbar, daß dem ganzen Volke diese Überhitztheit unerträglich war, dieses tägliche nervenzerreißende Ausgerecktwerden auf dem Streckseile der Inflation, und daß die ganze kriegsmüde Nation sich eigentlich nur nach Ordnung, Ruhe, nach ein bißchen Sicherheit und Bürgerlichkeit sehnte. Und im geheimen haßte sie die Republik, nicht deshalb, weil sie diese wilde Freiheit etwa unterdrückt hätte, sondern im Gegenteil, weil sie die Zügel zu locker in Händen hielt.
Wer diese apokalyptischen Monate, diese Jahre miterlebt, selbst abgestoßen und erbittert, der fühlte: hier mußte ein Rückschlag kommen, eine grauenhafte Reaktion. Und lächelnd warteten im Hintergrund dieselben, die das deutsche Volk in dieses Chaos getrieben, mit der Uhr in der Hand: »Je schlimmer im Land, desto besser für uns.« Sie wußten, daß ihre Stunde kommen würde. Um Ludendorff mehr noch als um den damals noch machtlosen Hitler kristallisierte sich schon ganz offenkundig die Gegenrevolution; die Offiziere, denen man die Epauletten abgerissen, organisierten sich zu Geheimbünden, die Kleinbürger, die sich um ihre Ersparnisse betrogen sahen, rückten leise zusammen und stellten sich im voraus jeder Parole bereit, sofern sie nur Ordnung versprach. Nichts war so verhängnisvoll für die deutsche Republik wie ihr idealistischer Versuch, dem Volke und selbst ihren Feinden Freiheit zu lassen. Denn das deutsche Volk, ein Volk der Ordnung, wußte nichts mit seiner Freiheit anzufangen und blickte schon voll Ungeduld aus nach jenen, die sie ihm nehmen sollten.“
Ich hatte schon öfter über die rasende Wut der um ihre Ersparnisse betrogenen Bildungsbürger berichtet. Heute ist die Gefahr etwas anders strukturiert: Es sind vor allem die großzügigen Vorsorgeversprechen, die ab etwa 2030 in höchster Gefahr sind und mit Sicherheitt nicht eingelöst werden können. Zum zweiten ist es die wachsende Zahl der Armensteuern, die den Normalverdiener treffen, und viel weniger die Rundfunkintendanten und NGO-Spekulanten. In der Kohlzeit gab es noch kein EEG, keine Luftsteuer, keine erhöhte Tabaksteuer, keine Lkw-Maut, keine Ökosteuer, keine Zwischenerzeugnissteuer und das Zahlen der GEZ war geräteabhängig. Man agiert in Berlin auf Kosten der Mittelschicht, als gäbe es kein Morgen.
Grüße an den V-Schutz: „Der Umgang mit Frauen ist das Element guter Sitten.“ (Geh. Rath v. Goethe 1809)
Zur Ergänzung:
https://www.journalistenwatch.com/2021/01/25/totalitaerer-globalismus-teil/
Und hier Teil 1:
https://www.journalistenwatch.com/2021/01/23/totalitaerer-globalismus/
Perfekte Analysen!
Der Ansatz ist der m.E. der Richtige (oekonomisch), aber zu kurz. Ein paarmal blitzt es in dem Artikel aber auf:
„Dieser „Elite“ ist es ein Dorn im Auge, dass sie auf Russland und China keinen ausreichenden Zugriff hat;
Richtig! Aber dann geht man wieder weg von dieser Betrachtungsweise:
„sie sucht aber dennoch nach globalen Lösungen zu Marktbereinigung/Kapitalvernichtung und Angriff auf Arbeiterklasse/Mittelschichten.“
Denn ganz speziell zurueck zu China: Man hat keinen austreichenden Zugriff, man unterliegt aber der Konkurrenz mit dem Land. Ich persoenlich denke, dass diese Kreise mittlerweile schon laenger die Situation so einschaetzen, dass man diesen Wettstreit verliert. In einer Art von perverser Konsequenz meint man nur noch mittels einer Gesellschaft aehnlichen Zuschnitts mithalten zu koennen. Damit waere man wieder beim Autoritaeren. Dabei kippt man aber die – zugegeben, oft nur noch potentiellen – Moeglichkeiten der eigenen Zivilisation entgueltig aus, und beschleunigt diesen Prozess ironischerweise noch.
An alle Defätisten hier auf prabelsblog!
Unsere Gott-Kanzlerin weiß wie es geht!
Die parasitäre Schläue, West-Deutschland erst den Sieg über den Osten vor zu gaukeln – um ihn dann aber selbst, Zug um Zug, gehörig „umzudrehen“, wird auch die erfolgversprechende Strategie gegenüber China sein.
…Und um sich nun glaubwürdig als erbarmungswürdige Beute zu generieren, wurde das Virus und der ewige Lockdown erfunden.
Einfach nur genial!
Wuhan war eine lohnenswerte Initial-Investition der Chinesen – meine Rede.
Da ist die letzte Messe noch nicht gelesen.
FDJ und KPdSU sind lange nicht Pol Pot oder Ho Chi Minh oder gar die KPC. Auch wenn der zwischen Ost und West sitzende (von mir übrigens hochgeschätzte) DDR-Autor Richard Christ das wehmütig beschwor, bei einer Fahrt zum Ussuri.
Der maoistische Westgrünlinke hält sich genau an Maos Lehrbuch. Aushöhlen, besetzen, beherrschen. Die Merkel ist doch lang eine termitenartige Ausgehöhlte, samt ihrer CDU, und wird auf einen Fingerschnips zu Staub zerfallen.
Eindrucksvoll, der Zweig. „Die Welt von Gestern“ wenn ich nicht irre?
> „Die Welt von Gestern“ wenn ich nicht irre?
Ach ja, sehe gerade den Artikel davor.
Hat meine Tochter im Deutschunterricht gelesen (englisches Schulsystem), wegen Stefan Zweigs eleganten Schreibstils. Dagegen schreibt Eric Angerer, Autor des Artikels bei jouwatch, so schlecht, daß man viele Sätze zweimal lesen muß, um sie zu verstehen. Die simple Regel, einen Satz nach Subjekt, Prädikat und Objekt zu ordnen, scheint er nicht zu kennen. Habe daher beide Artikel kopiert und dann erstmal die Syntax begradigt.
Wohlgemerkt, ich bin Diplom-Ingenieur und kein Germanist.