Spaltung der Gesellschaft ist der Normalfall

Die Gesellschaft war schon immer gespalten. Permanent zwischen Modernisierern und Traditionalisten. Alle Shakespearedramen thematisieren diesen Konflikt, es gab ihn also schon im elisabethanischen Zeitalter. Auch griechische Dramen aus der vorchristlichen Zeit beziehen daraus ihren Stoff. Der Philosophieprofessor Leszek Kołakowski, der mehrfach persönlich in diese Zerwürfnisse zwischen alt und neu hereingeriet,  beschrieb das Problem von Tradition und Fortschritt so:

„Es gibt zwei Umstände, deren wir uns immer gleichzeitig erinnern sollten: Erstens, hätten nicht die neuen Generationen unaufhörlich gegen die ererbte Tradition revoltiert, würden wir noch in Höhlen leben; zweitens, würde die Revolte gegen die ererbte Tradition universal, befänden wir uns wieder in den Höhlen. Eine Gesellschaft in der die Tradition zum Kult wird, verurteilt sich zur Stagnation, eine Gesellschaft, die von der Revolte gegen die Tradition leben will, zur Vernichtung.“

Es gilt also das richtige Maß zu finden, was in Deutschland immer dann schwerfiel, wenn eine gewisse Wohlstandsverwahrlosung erreicht war. Gute Beispiele waren die Renaissance incl. Reformation und 30jährigem Krieg, der Sturm und Drang, die Jugendbewegung incl. der beiden Weltkriege, die 68er und die Hüpfdohlen. Im Grundsatz ist es also nicht die Frage, ob die Gesellschaft gespalten ist, sondern nur wie.

Ich möchte diesbezüglich heute mal den Vergleich zwischen der Weimarer und der Berliner Republik führen.

„Eine genaue Schilderung dessen zu geben, was nie passiert ist, ist die eigentliche Aufgabe des Historikers“, höhnte Oskar Wilde. Der populärste Erfinder und Propagandist einer gedachten Geschichte war Sebastian Haffner. Er zeichnete das Bild der Weimarer Republik mit dem Malkasten der frühen Bundesrepublik und prägte damit bis heute den Rückblick auf Weimar. Das verbesserte zwar die Begreifbarkeit für seine Leser, sie begriffen aber Unsinn. Das Ergebnis seiner historischen Diskurse verstellt den Blick auf die Spezifik der Zwischenkriegszeit. Denn die Weimarer Republik war eben gerade nicht der Gegensatz von Adenauer zur SPD, wenn sie sich auch sporadisch mal gestritten hatten.

Die Geschichte der Weimarer Republik muß neu erzählt werden, um die Logik der Verschiebungen der politischen Platten der Weimarer Republik erkennbar zu machen: Statt einer Geschichte der politischen Kruste muß auch die Geschichte des kulturellen und wirtschaftlichen Magmas erzählt werden, das diese Platten trieb. Und von dieser heißen kulturellen Phase muß ohne nachträgliche „Berichtigungen“ erzählt werden. Wenn tatsächlich „fortschrittliche“ kulturelle Werte geführt hätten, so wäre der „rückschrittliche“ Adolf Hitler eben nicht an die Macht gekommen. Man möge mir diese logische Direktheit verzeihen; aber entweder die kulturellen Werte, die geführt haben, waren wie Adolf Hitler rückschrittlich oder diese Werte und Adolf Hitler waren gemeinsam fortschrittlich. Daß die kulturellen Werte einer anderen Entwicklung Vorschub geleistet hätten als dem Machtantritt Adolf Hitlers, ist einfach unlogisch. Um diese unlogische Lebenslüge aufrechtzuerhalten, ist die kombinierte Betriebsunfall-, Verelendungs- und Verschwörungstheorie mit dem zentralen Dreh-und Angelpunkt Weltwirtschaftskrise entwickelt worden, die es ermöglicht, eine vermeintlich fortschrittliche Kultur mit einem rückschrittlichen Hitler zu versöhnen, kompatibel zu machen.

Die Zeit des beginnenden 20. Jahrhunderts war scheinbar eine Zeit der Hochkultur. Namen wie Hermann Hesse, Fidus, Max Beckmann, Walter Gropius, Harry Graf Kessler, Emil Nolde oder Henry van de Velde sind mit dem Gedanken der Lebensreform und des Bauhauses untrennbar verbunden. Aber auch das Schweben der Menschen in geistige Sphären, der Drang in kulturelle Höhen verhinderte nicht den Fall in gesellschaftliches Tiefland. Ein guter Teil der Reformbeflissenen und mehr noch der Reformmitläufer der Jahre zwischen 1890 und 1930 strandete in der NSDAP bzw. KPD oder wählte beim Finale der Weimarer Republik dreimal hintereinander NSDAP und KPD.

Heute wird oft behauptet, daß die kulturelle Betätigung der Jugend und die Bildung vor dem Radikalismus schützen würden. Diese optimistische Annahme wird durch die Geschichte nicht gestützt. Unter bestimmten Voraussetzungen sind Kultur und Bildung der Nährboden für radikale Abenteurer. Pol Pot beispielsweise absolvierte seine Studien an der Sorbonne; Lenin wallfahrtete auf den Monte Veritá, Adolf Hitler besuchte im Übermaß Museen und die Opern Richard Wagners. Bildung ist kein Wert an sich. Es muß deutlich mehr über Inhalte von Kultur und Bildung nachgedacht werden.

Die Weimarer Republik wurde von spätkaiserzeitlichen Lebensreformern aller Couleur, darunter dichtenden, musizierenden, bauenden und politisierenden Elitaristen zur Stecke gebracht und als politisches System überlebt. Vollkornverzehrende Eigenbrötler, vom schönen Mittelalter träumende Zunftmeister und -gesellen, leninistische Parteiavantgardisten, kapitalismuskritische Antisemiten, von Blutreinigung und Menschenzucht besessene Landkommunenindianer, Heimatschützer, die das Arten- und Brauchtumssterben betrauerten, klassenkampfmüde Volksgemeinschaftssoftis, kriegsbegeisterte Narren und Querulanten in Reformsandalen bildeten ein zivilisationskritisches und demokratiefeindliches buntes Netzwerk. Die politischen Arme dieses kulturellen Netzwerks waren elitäre jugendoptimistische dem Führerprinzip verpflichtete Bünde, die Kommunisten im Gewand der Elitepartei „Neuen Typus“ und als Erben der meisten dieser Organisationen die Nationalsozialisten, die die Republik mit offenem Visier bekämpften und zerstörten. Die passive Seite bildeten die Weimarer Parteien SPD und Zentrum, die den demokratischen Staat durch eine fehlende ökonomische und kulturelle Fundamentierung dem schnellen Verfall preisgaben. Spätestens seit 1930 hatten die erklärten Todfeinde und Gegner der parlamentarischen Republik die Mehrheit der Wähler auf ihrer Seite. Nicht durch diesen Wählerwillen und auch nicht durch die Einigkeit der Demokraten, sondern nur bedingt durch die präsidentiale Übermacht und den Immobilismus des uralten Präsidenten konnte die Weimarer Republik als politisches System noch bis 1933 überleben,

Von den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts bis zur Novemberrevolution hatte es einen Paradigmenwechsel gegeben. Die demokratischen Rauschebärte, die für Deutschland eine parlamentarische Republik erträumten, waren in der Spätkaiserzeit langsam in die Defensive geraten. Mehr und mehr setzte sich beim Bildungsbürgertum der Glaube an die Kraft von Führern durch, die ihre Legitimation nicht durch Wahlen, sondern durch Charisma, Gewalt, Kraft und geistige Überlegenheit bezogen. Der Masse wurde mehr und mehr die Vernunft abgesprochen, diese politischen Titanen zu erkennen und zu wählen. Aus der allgemeinen Wahl würden politische Pygmäen als Sieger hervorgehen. Auch die Erbmonarchie wurde abgelehnt, da Könige und Kaiser durch Geburt und nicht durch die kühne Tat an die Macht kamen.

Die älteren Jahrgänge hielten noch an demokratischen Leitbildern und Vorstellungen fest, die jüngere Generation neigte zur elitaristischen Gewaltspolitik, wie sie seit Nietzsche – am wirksamsten im Zarathustra – propagiert worden war. In dieser Situation des labilen Gleichgewichts der Generationen und der Konzeptionen begann der Erste Weltkrieg als Erfolg der nietzscheanischen Kriegs- und Gewaltspropheten. Er endete nicht wirklich mit einer Krise des Paradigmas vom überlegenen fröhlichen Krieger und von der Sieghaftigkeit des idealistischen Weges über den materialistischen britischen Kraken.

Der Elitarismus, die Gewaltsphilosophie und der Führerglaube wurden nach dem Ersten Weltkrieg nicht verworfen, auch von denen nicht, die sich von Kriegstreibern zu Pazifisten gewendet hatten. Kurt Tucholsky beispielsweise bewunderte Mussolini und Stalin, und er befand sich damit in zahlreicher intellektueller Gesellschaft. Der Konflikt hieß: Obwohl der deutsche Idealismus über den englischen Kapitalismus überlegen ist, hat er den Krieg verloren. Eine verbreitete Reaktion darauf war die Begeisterung für die Oktoberrevolution. So konnte das kriegerische nietzscheanische Paradigma gerettet werden, allerdings unter Aufgabe des Glaubens an die deutsche Überlegenheit. Nun ging einfach etwas östlicher die Sonne auf. Die frühe KPD lebte von diesem Mythos, Stalin war bis 1925 ja noch ein kleines Licht.

Das katholische Zentrum war von den staatstragenden Kräften politisch am erfahrensten, da es bereits während der Kaiserzeit zeitweilig mitregiert hatte. Der sozialdemokratische Marxismus war in vierzigjähriger Opposition gereift, Kritiker sprachen von Revisionismus, und auf die Machtübernahme einigermaßen vorbereitet. Die Sozialdemokratie verhielt sich in der politischen Praxis von einigen folgenschweren Aussetzern abgesehen in pragmatischer Klientelpolitik gefangen, in der Theorie dagegen dogmatisch. Kaum ein Wahlkampf, kaum ein Parteitag, auf dem nicht ideologisches Feuerwerk gezündet wurde, um die bewältigte Tagespolitik zu konterkarieren. Vor allem den Reichspräsidenten Ebert ärgerte das.

Alle Reformideologien dagegen, ob leninistisch-elitaristische, reformistisch-nationalistische, antikapitalistisch-antisemitische oder seltsam verschroben-grüne, waren zur Zeit des Spätkaiserreichs ausgebrütet worden, waren relativ neu und destabilisierend.

Der Sieg der NSDAP basiert vorrangig auf dem Aufsaugen des politischen Reformlagers und war damit das Moment einer endlich auch politisch umgesetzten Lebens- und Gesellschaftsreform, die  nach dreißig Jahren populär ab- und zurechtgeschliffen und auf die Bedürfnisse der neuen Kriegsvorbereitung zurechtgebogen die Massen ergriff. Nicht alle begriffen Hitlers Sieg so: der Sozialdemokrat Julius Leber meinte etwas hochnäsig, er warte wie alle Welt darauf, endlich die geistigen Grundlagen dieser Bewegung zu erfahren. Diese Grundlagen lagen seit 40 Jahren auf der Hand, man hätte nur in eine Buchhandlung gehen müssen, oder in eine andere Zeitung hereinsehen müssen, als in den „Vorwärts“. So wie einige Genossen nur die Aktuelle Kamera und den Schwarzen Kanal gesehen hatten, und vom Ende der DDR überrascht wurden, so hatte Leber nichts von der Jugendbewegung und nichts von der Lebensreform, nichts vom Biologismus und nichts vom Rassismus, nichts von der Romantik, nichts von Dostojewski, nichts von Thomas Mann, nichts von Hermann Hesse, nichts von Friedrich Nietzsche und nichts von der deutschen Planwirtschaft mitbekommen.

Mit der Abschaffung der Monarchie, der Stärkung der Rechte der Frau und der Arbeiterklasse erfüllten die Novemberrevolution und die Nationalversammlung sozialdemokratische und demokratische Forderungen aus dem 19. Jahrhundert. Die antichristlichen, antidemokratisch-elitären, bündischen, ästhetizistischen, antisemitischen, biologistischen, vitalistischen, antropologischen, antiwestlichen, antikapitalistischen, rassistischen und nationalistischen Ideen des endenden 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts wurden ignoriert und in der neuen republikanischen Ordnung nicht umgesetzt. Sie waren aber in der Gesellschaft der Weimarer Zeit vorhanden, egal ob sie sich avantgardistisch, neokonservativ, demokratisch, antisemitisch, leninistisch oder bündisch verbrämten. Sie scheuten am Anfang der Republik das politische Licht, sie agierten in der Subkultur oder sie gaben sich noch gemäßigt. Die Weimarer Verfassung war insofern eine verspätete Verfassung, als sie Forderungen erfüllte, die 1919 für die intellektuellen Eliten schon zum alten Eisen gehörten, die neuen Ideen der Jahrhundertwende kamen nicht vordergründig zum Tragen. Diese Ideen und ihre Träger warteten auf eine neue antidemokratisch-elitäre, antiwestliche, bündische, antichristliche, antisemitische oder elitaristisch-leninistische Revolution. Das bedeutet nicht, daß alle von Anfang an auf die Offenbarung des Programms der NSDAP warteten; ein deutlicher Paradigmenwechsel, ein deutsches new age schwebte jedoch in der Luft. Die Bedingungen für die nationalsozialistische Machtübernahme reiften erst. Die nationalsozialistische Variante der Lebensreform kam zum Tragen, weil Hitler es verstand, bizarre reformatorische Inhalte in für die Massen vermittelbare und nicht vermittelbare zu selektieren, das „Brauchbare“ massenverträglich in glatte Tüten zu verpacken und die Lebensreform mit der Technik zu versöhnen. Während eine schmale Parteielite von Supergermanen, Heldenzüchtung, Blutreinigung und erobertem Boden träumte, opferte die von Goebbels gesteuerte Filmindustrie auf dem Altar des Egalitarismus, nuschelte sich der kleine Rühmann an den elitaristischen Sirenen vorbei. Adolf Hitler löste das alte lebensreformatorische Dilemma: populär, aber nicht elitär; elitär, aber nicht populär endlich auf. Das Elitäre wurde populär.

Die Väter der Weimarer Verfassung waren Großväter. Alle waren aus der gefährlichen Pubertät raus, als die Reformbewegung ihren Lauf nahm, viele waren schon fertige Erwachsene. Im Jahr 1900, als der Jugendstil gerade seinen Siegeszug begann, hatten die wichtigsten Politiker der Weimarer Republik folgendes Alter: Konstantin Fehrenbach 48, Hugo Preuß 40, Hugo Haase 37, Wilhelm Marx 37, Philipp Scheidemann 35, Hans von Seeckt 34, Wilhelm Groener 33, Gustav Bauer 30, Friedrich Ebert 29, Otto Wels 27, Matthias Erzberger 25, Otto Geßler 25, Wilhelm Cuno 24, Hermann Müller 24, Gustav Stresemann 22, Gustav Radbruch 22 und Hans Luther 21. Und der Methusalem von allen, Hindenburg war 52 Jahre alt, als zur Jahrhundertwende die Sektkorken knallten. Wie sollten diejenigen, die 1900 älter als 25 waren die Reformbewegung verkörpern? Sie wurden eher von Fürst Bismarck und August Bebel geprägt, als von Wilhelm II. oder Friedrich Nietzsche. Die Reform mußte noch warten, bis ihr Personal ministrabel wurde. Aber die neue Generation wuchs heran.

Das Personal der Nationalsozialisten war 1900 wesentlich jünger: Streicher 15, Hitler 11, Göring 7, Goebbels 3, Höß und Frank noch nicht geboren. Es handelte sich auch soziologisch um typische Reformkinder. Julius Streicher war Lehrer, Rudolf Heß Student, Dietrich Eckardt Dichter und Dramatiker, Max Ammann Feldwebel, Hermann Esser Zeitungsredakteur, Hermann Göring Fliegerhauptmann, Alfred Rosenberg Schriftsteller und Architekt, Hans Frank Dichter, Baldur v. Schirach Dichter, Albert Speer Architekt, Max Erwin v. Scheubner-Richter Student, Joseph Goebbels Redakteur und Schriftsteller, Heinrich Himmler Landkommunarde, Walter Darré Student, Walther Funk Musiker. In der Führung überwogen Vertreter einer romantischen Großstadtbohème. Die Zugehörigkeit zur NSDAP korrespondierte im wesentlichen mit der Zugehörigkeit zur Alterskohorte 1890 bis 1910. Das betraf sowohl die Führung, die Mitglieder, wie auch die Wähler.

Die Spaltung der Weimarer Gesellschaft folgte den Gräben zwischen demokratischen Überzeugungen des 19. Jahrhunderts und dem Elitarismus des 20. Im Bürgertum bekämpften sich das Zentrum und die anfangs rückwärtsgewandten, ab 1927 zunehmend ins reformistische Lager abgleitenden Deutschnationalen, bei den Sozialisten war die Feindschaft noch ausgeprägter: Auf der einen Seite die revisionistischen Sozialdemokraten, die sich mit dem demokratischen „System“ arrangiert hatten, auf der anderen Seite die Reformsandalen von KPD und NSDAP, die mit der SPD und auch untereinander in einer Konkurrenzsituation agierten. Die KPD und die NSDAP dazu noch von blutrünstigen Ausländern gesteuert.

Entsprechend dieser Spaltung regierte die meiste Zeit die Große Koalition der SPD mit dem Zentrum und Kleinparteien (bis Nov. 1922, von Aug. bis Nov. 1923, Juni 1928 bis März 1930, und in den übrigen Zeiten bis Juni 1932 regierte das Zentrum ohne SPD mit wechselnden Kleinparteien. Die politische Mitte war zum Dauerregieren verdammt, weil die sozialistische Szene in Demokraten und Elitäre gespalten und aufs Messer verfeindet war.

Im Westteil Deutschlands gab es bis in die Mitte der 60er Jahre einen demokratischen Grundkonsenz, weil die Parteien der Lebensreform nach dem Krieg mehr oder weniger zurückgedrängt wurden. Die Sozialistische Reichspartei wurde 1952 verboten, die KPD 1956. Allerdings entstanden die in der Tradition der Sucht nach dem Neuen Menschen stehenden Parteien ab Mitte der 60er Jahre neu: 1964 die NPD, 1968 die DKP und ab Mitte der 70er Jahre gab es Vorläufer der Grünen. Daneben mehrere maoistische Sekten. Die sozialistische Seite wurde dadurch zersplittert. Die SPD wollte in verschiedenen Bundesländern nicht mit der NPD zusammen regieren, so daß es auf Landesebene zu Großen Koalitionen kam, ab Ostern 1966 zur Bewältigung einer hochgebauschten Wirtschaftskrise – lächerlich gegen die derzeitige Shutdownkrise – auch im Bund.

In den 80ern wurden Grüne und SPD von K-Gruppen infiltriert, noch 1982 wollte der Hesse Holger Börner die Grünen mit der Dachlatte verprügeln, 1985 vereidigte er J. Fischer als Minister. 1998 kam es zur Rotgrünen Koalition in Berlin.Damit war das Abgleiten der SPD ins Reformlager immer noch nicht abgeschlossen, Bundeskanzeler Schröder machte erfolgreich Industriepolitik, während der grüne Koalitionspartner permanent an der Steuerschraube drehte (Tabaksteuer, EEG, Ökosteuer, Büchsenpfand) was auf Schröder zurückfiel und ihn 2005 die Wiederwahl kostete. Nach der verlorenen Wahl wechselte die SPD ins Reformistenlager und verlor ihr Alleinstellungsmerkmal gegenüber Grünen und Linken. Sie wurde endgültig aus einer Arbeiterartei zu einer Intellektuellensekte. Ich selbst kann mich noch erinern, wie 1998 fast alle Arbeiter in Mechelroda SPD wählten (33,3 % Zweitsimmen, 39,2 % Erststimmen, 2002 war die Zahl schon leicht geschrumpft, die damaligen Schröder-Anhänger wählen inzwischen AfD oder Linke, die SPD kam bei der letzten Wahl noch auf 4,6 %. Es dauerte nur wenige Jahre, bis auch die CDU auf Reformkurs ging. Man kann das auf das Fukushimajahr 2011 datieren, als die deutschen Medien die Opfer einer Flutwelle zu Atomtoten erklärten.

Das demokratische Feld war 2011 abgeräumt, ich hatte die CDU schon 2009 frustriert verlassen, vor allem haderte ich mit dem unwissenschaftlichen und manipulativen bautechnischen Wärmeschutz, mit dem ich beruflich täglich konfrontiert gewesen war. Das gesamte Parteienfeld – die sog. Altparteien – war im neuen Jahrtausend auf Kurs einer großen Transformation gegangen und verschrieb sich damit der Lebensreform. Nicht zufällig sind die Obsessionen der Intellektuellen um 1900 fast deckungsgleich mit denen derer 2020. Nun war also ein demokratisches und bürgerliches Defizit entstanden, in welchem 2013 die AfD gegründet wurde. Die Schnelligkeit ihrer Entwicklung läßt auf den Umfang der Defizite im politischen Raum schließen.

Die AfD trägt viele Elemente der alten CDU und der alten SPD in sich. Nicht wirklich erstaunlich, daß sie von den Medien als aussätzig behandelt wird, hatten diese Medien doch jahrzehntelang viel Kraft investiert, um die SPD als Arbeiterpartei und die CDU als bürgerliche zu kippen. Und ab 2013 gab es doch wieder eine Kraft, die an demokratischen Traditionen festhalten wollte. Wie ärgerlich!

In den zwanziger Jahren verlief die Bruchlnie zwischen Demokratie und Diktatur zwischen SPD und Zentrum einerseits und KPD sowie NSDAP andererseits, in den Zwanzigern, die wir vor uns haben, wird sie zwischen AfD einerseits und SPD, CDU, Grünen und Linken andererseits verlaufen. Nicht ausgeschlossen ist, daß die Altparteien implodieren, wie 1922 und 1992 in Italien, 1933 in Deutschland, 1852 und 1958 in Frankreich und 1917 in Rußland. Genug Spannung hat sich aufgebaut.

Ungeheuerlich und einmalig ist die gegenwärtige Lage in Deutschland nicht. Der Kampf zwischen Fortschritt und Traditionalismus ist so alt wie die Menschheit. Oft gleitet Fortschritt in horizontlose Raserei ab, wie in der französischen Revolution, im Dritten Reich, im Bolschewismus, Maoismus oder Merkelismus. Auf solche Ausfälle folgte immer ein Metternich, ein Gorbatschoff, Adenauer oder De Gaulle, der die Trümmer zusammenkehrte. Bin mal gespannt, wer das in Deutschland wird, und wann.

 

Grüße an den V-Schutz: „Die Leute, die sich rühmten, eine Revolution gemacht zu haben, haben noch immer am Tag darauf gesehen, daß sie nicht wußten, was sie taten, daß die gemachte Revolution jener, die sie machen wollten, durchaus nicht ähnlich sah.“ (Fr. Engels,1885)