Dylans Zeiten haben sich verändert
Im Frühjahr hatte ich den soundsovielten Biedermeier ausgerufen. Das ist eine gesellschaftliche Erscheinung nach vorherigen Visionen, eine Zeit der intellektuellen Abrüstung und des mühsamen Schuldenabbaus. Sowas hatte man in Deutschland unter dem Namen Barock von 1650 bis etwa 1730, als Biedermeier von 1816 bis um 1848 und in der Adenauerzeit im Westen ungefähr von 1948 bis 1963. Und ab 2020 beginnt der kulturelle Lockdown langsam wieder, Wallenstein, Napoleon und Hitler mußten ihrerzeit erst weg, um den Boden für Solidität zu bereiten, Merkel steht die Ablösung noch bevor.
Große Visionen kann man sich in Konsolidierungszeiten nicht leisten, weil das Geld nicht so locker sitzt, das gesellschaftliche Leben zieht sich in die Familie und Freundeskreise zurück. Musik wird retrospektiver, die Ansprüche an die Zukunft geringer. Es werden statt Fernreisen an Sehnsuchtsorte zu buchen, Gartenlauben gezimmert. Der folgende Biedermeiersong wurde im Juni 2020 veröffentlicht.
Die geänderte Perspektive läßt sich schon seit längerem an den Songs von Bob Dylan illustrieren. Zwischen The Times They Are A-Changin‘ und Things have changed liegen 36 Jahre.
Dylan 1964: The Times They Are A-Changin‘
Kommt, Mütter und Väter im ganzen Land
Und kritisiert nicht, was ihr nicht verstehen könnt
Eure Söhne und eure Töchter liegen außerhalb eures Kommandos
Eure alte Straße verkommt schnell
Bitte geht runter von der neuen, wenn ihr nicht zur Hand gehen könnt
Denn die Zeiten ändern sich
Dylan 2000: Things have changed
Die Leute sind verrückt und die Zeiten sind seltsam
Ich bin fest eingesperrt, ich bin außer Reichweite
Früher war mir alles wichtig, aber die Dinge haben sich geändert
Es tut mir leicht weh, ich zeige es einfach nicht
Ihr könnt jemanden verletzen und es nicht einmal wissen
Die nächsten sechzig Sekunden könnten wie eine Ewigkeit sein
sie können tief runter ziehen oder hoch fliegen
Die ganze Wahrheit der Welt summiert sich zu einer großen Lüge
Lassen wir uns nicht verdrießen, die Konzentration auf das Machbare, das Scheitern der ganz großen Transformation kann auch schön und unterhaltsam sein, es kommt immer auf die Begleitmusik an.
Grüße an den V-Schutz: Napoleons vereinigtes Europa und der Aufbau des realen Sozialismus sind schon lange gescheitert, ihr vom V-Schutz seid die Eckermänner der nächsten Bruchlandung.
Zu meiner bevorzugten Begleitmusik der hoffentlich noch rechtzeitig scheiternden großen Transformation gehört seit einiger Zeit auch Prabels Blog.
Ich denke, die ganz große Zäsur war 2015. Bis dahin konnte man noch einigermaßen gemütlich auf seiner Bank vor dem Haus herumsitzen und hoffnungsvoll in die Zukunft schauen (so wie die beiden auf der Zeichnung). Ja, die Dinge haben sich seitdem gravierend geändert.
Text zum Bild :
„Papa Fittiig, treu und friedlich.
Mama Fittig. sehr gemütlich.
Sitzen, Arm in Arm geschmiegt,
Sorgenlos und stillvergnügt
Kurz vor ihrem Abendschmause
Noch ein wenig vor dem Hause.
Denn der Tag war ein gelinder.
Und erwarten ihre Kinder.“
Tja, und dann trampeln Plisch und Plum
auf den vollen Suppentellern rum
…. und aus ist es mit der Gemütlichkeit.
Ja, so soll es sein. So wird es sein.
Bis wir zum letzten Mal Wanderer’s Nachtlied hören.
Anfang und Ende einer schnell gewachsenen, neuen Mittelschicht (nach Renaissance und Neuer Welt, frz. Revolution, militärisch-industriellem Komplex aus WK II).
Die haben aber noch immer sehr hohe Vermögenswerte, die zunächst weg müssen, was noch nicht geschehen ist.
*Alt-* und *Neu-Rechte* sollten nicht nur in die Vergangenheit sehen, sondern mehr in die Zukunft, auch wenn ihnen das nicht so liegt. Falls die Zukunft nur aus Vergangenheit besteht, geht sie in die falsche Richtung. Es wäre aufzuklären, was Bestand haben und was neu sein soll.