Was Kevin und Saskia nicht auf dem Schirm haben
Wenn man den Sozialismus einführen will, muß der Alkohol nachhaltig in Strömen fließen. Ich will das nicht begründen, empirisch ist das einfach so. Aber haben sich die Verfechter der Oktoberrevolution 2.0 darüber eigentlich schon Gedanken gemacht? Gibt es genug Hopfen und Malz, wenn Saskias Panzerwagen Aurora die ersten Schüsse aufs Bundeskanzleramt abgibt ? (um den Reichstag wird sich keine rote Sau kümmern).
Derzeit dürfte die Verzehnfachung der Schnaps- Bier- und Weinproduktion kein Problem sein. Alle Grundstoffe wie Trauben, Gerste und Hopfen stehen reichlich zur Verfügung und könnten im E-Fall importiert werden. Aber das Wesen des Sozialismus ist es ja, daß alles knapp wird. Wie in der Anekdote von der Sahara. Was passiert, wenn der Sozialismus eingeführt wird? Zunächst einmal nichts, und dann wird der Sand knapp.
Die Bierbrauerei in der Zone lief von 1945 bis 1972 ganz normal. Aber danach mußte der Hopfen exportiert werden, um Löcher in der Handelsbilanz zuzuschmeißen. Es wurde Ochsengalle ins Bier gemischt, um die Geschmacksillusion aufrechtzuerhalten. Das hatte allerdings den Nachteil, daß die Haltbarkeit sich auf eine gute Woche reduzierte. In der Kaufhalle und im Getränkebasar standen die Kunden, nahmen Flaschen aus den Kästen und drehten sie rum, um zu sehen, ob sich schon Trub gebildet hatte. Eine typische Handbewegung für Robert Lemkes heiteres Beruferaten.
Ähnlich prekär war die Situation beim Wein. Der Saale-Unstrut-Wein und der aus dem Anbaugebiet an der Elbe wurden aus o.g. Grund exportiert bzw. es wurde ein Deputat an die Staatssicherheit und höhere Parteigliederungen geliefert. Als Kompensation wurden fürs Volk Billigstweine aus Rumänien, Algerien, Bulgarien und Ungarn eingeführt. Sie wurden oft verschnitten, um sie genießbar zu machen. Trotzdem war es angezeigt insbesondere Rotwein nach Öffen der Flasche unverzüglich aufzubrauchen. Die Neige in einer rumänischen Flasche war mir nach drei Tagen verschimmelt.
Am stabilsten war noch die Versorgung mit trinkbarem Schnaps. Weshalb er am liebsten getrunken wurde. Wilthener und Nordhäuser Brauner, Aro, Falkenthaler und andere Kräuter, die unter der Sammelbezeichnung Kommodenlack zusammengefaßt wurden, waren am begehrtesten. Pfeffi, KdS, Zitronenlikör und Korn folgten in der Beliebtheit. Und dann gab es noch die Eigenerzeugung von Eierlikör aus Primasprit.
Ich erinnere mich an viele Orgien, die schon vormittags gefeiert wurden. Ich war eine Weile in der Versuchseinrichtung der Hochschule für Architektur und Bauwesen beschäftigt. Da hatten im Oktober so viele Kollegen Geburtstag, daß Prof. Hennecke die Idee entwickelte, niemanden mehr einzustellen, der in diesem Wonnemonat geboren war. Die Geburtstagsfeierlichkeiten begannen immer mit dem Frühstück und endeten zum Feierabend in einem abgelegenen Raum einer Versuchshalle, den nur die harten Trinker unter den Professoren kannten. Einmal eröffnete Prof. B. die Orgie, indem er ein Glas Rotwein in seinen Kragen kippte und dann das Glas hinter sich an die Wand warf. Binnen zwei Stunden waren alle zu. Ähnlich katastrophal endete der 50. Geburtstag von Prof. Hennecke. Gegen 10 Uhr kam der Sektionsdirektor Prof. Hampe vorbei und diagnostizierte: Alle sturzbesoffen. Gegen Mittag standen einige Assistenten auf der Straße und lumperten nüchterne Studenten an.
Es waren wilde Zeiten. Ich kam meistens angetrunken von der Arbeit und meine Freundin auch. Wir wechselten Ende der 80er Jahre in einen Baubetrieb, wo König Alkohol keine große Rolle spielte, weil alle mit Fahrzeugen und Baumaschinen unterwegs waren. Nur im Zimmer vom Lehrausbilder war ein Vorhang. Hinter dem stand ein Kühlschrank und da war immer Bier drin.
Nach dem Erhalt der Diplomzeugnisse gab es 1976 eine kleine Feier im Weimarer Hotel Einheit. Jeder Absolvent bekam eine Flasche Bier. In meiner war eine tote Maus drin. Ich hatte es gleich gemerkt, weil es beim Aufmachen schäumte. Wer jetzt denkt, daß ich die Flasche ausgetauscht bekam, der irrt. Es war wie in der Stolowaja. Den Kellner sah man nach der Ausgabe der Getränke nie wieder. Künstlerpech. Soviel aus der Praxis und für die Praxis.
Kevin und Saskia wollen schon wieder den Sozialismus aufbauen und bereiten das hinsichtlich der Alkoholversorgung nicht umsichtig vor, sie stürzen sich in das Abenteuer einfach so rein. Mit dem Schlachtruf: Wir schaffen das.
Grüße an den V-Schutz. Oh, die ihr glaubt, siehe der Wein, das Spiel, die Opfersteine und die Pfeile sind ein Gräuel von Satans Werk (Koran, Der Tisch, 90. Wunderzeichen)
Genial!
Jetzt verstehe ich, warum in den Supermärkten von Plauen so endlos viel verschiedene DDR-Liköre stehen, die ich von der anderen Seite des Planeten her überhaupt nicht kenne!
Und ich fühle mich an Michael Klonovsky erinnert, der seine Arbeitszeit als Gabelstapelfahrer in einer Alkoholfabrik überlebt hat, wie man heute sieht, ohne Schaden genommen zu haben.
Auch Wolfgang Prabel hat sein Artikulationsfähigkeit bewahrt. Nicht umsonst war der Protagonist Pfeiffer mit 3 F der Feuerzangenbowle ein Schriftsteller.
Es ist die letzte Szene eines wunderbaren Filmes:
https://www.youtube.com/watch?v=bw5b40jX_1M
> Und ich fühle mich an Michael Klonovsky erinnert, der seine Arbeitszeit als Gabelstapelfahrer in einer Alkoholfabrik überlebt hat, wie man heute sieht, ohne Schaden genommen zu haben.
Da bin ich mir bei Klonovsky nicht ganz sicher, auch wenn ein absolut treffsicherer Stichler ist.
Was die Auswahl der Getraenke betrifft – gut, dass ich davon nie abhaengig war. Eierlikoere habe ich auch gebaut, ebenso wie Kuemmel. Meine Familie hatte zum Glueck auch ein paar Hundert Rebstoecke am Elbhang zur Verfuegung. Und in Bulgarien gab es goettlichen selbstgebrannten Sliwowa, so wie auch die schweren Obstbraende der Lausitzer Sorben nicht zu verachten waren. Alles klare Waesserchen, Brauner wurde eh oft falsch verwendet. Ein groesserer Teil davon war Cognacartig angesetzt und musste eigentlich geschnueffelt werden, wie uns mein Alki an Chemielehrer hervorragend auseinandergesetzt hat.
Der „große Reformer“ Gorbatschow, der übrigens ganz nobel in Deutschland wohnt, hatte im Rahmen seines „neuen Sozialismus“ den Alkohol abgeschafft. Nicht nur den Konsum von Alkohol sondern auch die Produktion.
Das führte zu einigen bemerkenswerten Neuheiten, die ich in Moskau (12-Millionen-Stadt) sehen konnte:
– Wodka wurde nur noch in einer einzigen Verkaufsstelle in der Nähe vom Dolgoruki-Denkmal verkauft. Dort standen tagtäglich vom frühesten Morgan an Leute in Zehnerrreihen nebeneinander Schlange, um eine Flasche zugeteilt zu bekommen. Viele im Blaumann, da sie sich dort während ihrer Arbeitszeit aufhielten. Die Produktionsleistung der Moskauer Betriebe ging stark zurück, weil die Leute lieber nach Wodka anstanden als zu arbeiten. Viele der Schlangesteher kauften die Flasche nicht täglich für sich, sondern die gekaufte Flasche wurde in der Schlange nach hinten weiterverkauft, wo sie dann zum mehrfachen Preis gehandelt wurde.
– In Sowjetrussland soffen auch Leute Alkohol, die vorher nie gesoffen hatten.
– Es wurde alles konsumiert, was nach Alkohol aussah. Auch jede Menge vergällter und giftiger Industriealkohol. Das führte zu einem immensen Anstieg der Zahl von Alkoholtoten.
Gorbatschow hieß folgerichtig Mineralsekretär.
Bulgarien, der ständige Schleimer bei allen Machthabern, von denen es Zuwendungen erwarten konnte, machte voll mit. In Sofia, wo ich in der Antialkoholzeit weilte, gab es keinen Wein, von anderem Alkohol ganz zu schweigen.
Durch die Einstellung der Alkoholherstellung und des Alkoholverbrauchs fiel die Akzise auf alkoholische Erzeugnisse weg. Die Staatseinnahmen, bei denen diese Steuer einen gehörigen Betrag ausmachte gingen zurück. Das Ende des Alkohols im Staat der Arbeiterklasse und der werktätigen Sowjetbauern war auch das Ende des Sozialismus.