Natürlich werden die Jungen die Rettungspakete ausbaden

„Angeblich müssen die Jungen die Schulden tragen, die der Staat für das Konjunkturpaket aufnimmt. Es heißt, eine ganze Generation zahle den Preis. Doch das ist Unfug.“ So stand es am 9. Juni in der ZEIT. Begründet wurde der Quatsch in leichter Sprache:

„Eines stimmt zwar: Der Staat verschuldet sich jetzt und Schulden müssen bedient und zurückgezahlt werden, das weiß jeder. Klar ist auch: Wenn das in der Zukunft geschieht, dann zahlen Angehörige der heute jungen, künftig alten Generation die Schulden zurück. Aber an wen? Genau: an Angehörige der gleichen Generation, denn eine andere Möglichkeit gibt es nicht.

Man kann das an den Schulden demonstrieren, die die Regierungen Schmidt und Kohl in den Siebziger- und Achtzigerjahren aufgenommen haben. Zu einem Teil wurden sie in den vergangenen Jahren abgetragen. Das heißt, die heutige Generation hat sie zurückgezahlt – und zwar an Angehörige der gleichen Generation. Denn sie erbten die Forderungen an die Bundesrepublik Deutschland, die ihre Eltern damals in Form von Bundesanleihen erwarben.

Die Schulden, die damals aufgenommen wurden, haben also zu einer Umverteilung innerhalb der damals jungen und heute alten Generation geführt. Die Steuerzahlenden von heute haben an die heutigen Besitzerinnen und Besitzer von Bundesanleihen gezahlt. Ein Transfer zwischen den Generationen fand nicht statt. Er kann auch gar nicht stattfinden, denn die Steuern werden immer von eben der Generation gezahlt, die auch Staatsschuldtitel besitzt.“

Jetzt fangen wir mal mit dem Faktencheck an und schauen zunächst nach den Besitzern von Staatsanleihen. Früher wurden die zu einem guten Teil in Versicherungen untergebracht. Die Zahl der Lebensversicherungen incl. Pensionsversicherungen ist von 7,3 Millionen 2005 auf knapp 4,9 Milionen 2018 zurückgegangen. Herr Kaiser ist nicht mehr so beliebt. In den 2010er Bilanzen der Versicherer waren Staatsanleihen mit maximal 357 Mrd. € vertreten, 2018 waren es höchstens noch 268 Mrd. €. Selbst die Versicherer flüchten aus Staatsanleihen. Nur noch ein winziger Anteil der deutschen Staatsschulden ist in Produkten gebunden, die für den Normalo irgendwie relevant sind. Die Nettoverzinsung der Lebensversicherungen ist von 7,5% im Jahr 2000 auf 3,6% 2018 gefallen. Nicht mal mehr die Hälfte. Hauptgrund: Neue Staatsanleihen mit fast Nullzins.

Die Staatsschuld beträgt heute 1,97 Billionen €. Die in deutschen Lebensversicherungen und Rentenprodukten geparkte Schuld dürfte nach obigen Zahlen bei weniger als 13 % der Staatsschulden liegen. Die Versicherer sind in Grundstücke, Bauten, Aktien und Unternehmensanleihen geflüchtet. Das Handelsblatt hatte gefahndet und am 24.07.2012 veröffentlicht: „Deutschlands Schulden sind etwa zur Hälfte in der Hand von internationalen Investoren. Das liegt daran, dass die Bundesrepublik als einer der wenigen verlässlichen Schuldner angesehen wird.“ Etwas aktueller ist folgender Hinweis:

Am 15.06.2016 brachte die FAZ durch ein Interview mit Tammo Diemer, dem Geschäftsführer der Schuldenverwaltung, etwas Licht ins Dunkel. „Mit der Bundesbank, die für die Europäische Zentralbank (EZB) Bundeswertpapiere kauft, ist laut Diemer ein starker Marktteilnehmer auf der Nachfrageseite hinzugekommen. (…) Aber auch ausländische Zentralbanken bleiben wichtige Investoren. Vor allem die Schweizerische Nationalbank kauft Bundesanleihen, wenn sie eine Aufwertung des Frankens zum Euro eindämmen will. Nach Angaben von Diemer gibt es gegenwärtig auch viele Verkäufer. „Dazu zählen vor allem Zentralbanken aus Asien, die ihre Positionen in Euro reduzieren, um ihre eigene Währung zu stützen oder um ihr Währungsportfolio zu diversifizieren.“ Sie bauten ihre Euroreserven oftmals durch den Verkauf von Bundesanleihen ab. Ein Grund dürfte auch die derzeit wenig erfreuliche Verzinsung der Bundesanleihen sein. In den vergangenen fünf Quartalen haben nach Angaben der Finanzagentur asiatische Zentralbanken Bundesanleihen in Höhe von 60 Milliarden Euro verkauft. Dagegen kauften europäische Notenbanken für rund 170 Milliarden Euro. (…) Von den ausländischen Investoren sitzen die meisten in Europa und Asien. „Die Bundesbank ist nach unseren Schätzungen mit einem Anteil von 8 Prozent einer unserer größten Investoren“, berichtet Diemer.“

Eine exakte Aufstellung über den Verbleib deutscher Anleihen gibt es nicht. Der Kauf ist anonym. Aus dem Dunst der obigen Angaben kann man also annehmen, daß etwa 13 % deutschen Versicherungsnehmern zugute kommen, etwa die Hälfte ist ins Ausland verkauft, etwa 10 % sind im Schwarzen Loch von Frankfurt bei der Bundesbank oder EZB verschwunden und der Rest gehört deutschen Banken.

Nun kommen wir also zum Schluß: Erstens ist es eine völlig unbewiesene Behauptung, daß die jüngere Generation Renten- und Lebensversicherungen hat. Diese Produkte werden in der Regel den Älteren aufgeschwatzt. Als mein Vater gestorben war und ich gesehen habe, was der alles an Finanzschruz hatte, bin ich blaß geworden. Er war über 90 und fand die Sparkassenberaterin nett. Einmal kam er mit einer Carrerarennbahn zum Kindergeburtstag. Erst Jahre später habe ich mitbekommen, daß die von der Sparkasse war. Es kann überhaupt keine ernsthafte Rede davon sein, daß dieselbe Generation Steuern zahlt, wie die, die an Staatsschulden verdienen will.

Zweitens gibt es schon seit zehn Jahren keine Verzinsung der Anleihen mehr. Das Modell des Zinskassierens ist kaputt. Die Tilgung ist von den Steuerzahlern zu stemmen (angeblich 20 Jahre bei den Kóronahilfen, was ich für ein Märchen aus Tausendundeinernacht halte). Aber die Anleihenhalter sehen nur noch eine Verzinsung, wenn die Anleihen asbachuralt sind.

Wenn es eine Verzinsung gäbe, würde die zu etwa 50 % ins Ausland abfließen. Der Rest wäre Umverteilung vom Volk zu den Bankern. Alles Konjunktiv, denn es gibt ja keine Zinsen, und wenn doch nur für Altschulden aus der Regierungszeit von Kohl und Schröder. Anleihen aus der Merkelzeit werden als zinslose Wertaufbewahrung gekauft, so wie man Goldmünzen kaufen kann. Nur daß Goldmünzen im Wert steigen, Anleihen nicht. Noch eine wichtige Bemerkung: Gäbe es Zinsen, wäre es eine Umverteilung vom armen Steuerzahler zum reichen Pensionär und Rentier.

Wir sehen also, daß überhaupt nichts von dem ZEIT-Artikel stimmt, noch nicht mal Verschwörungstheorien bringen die zustande, sondern einfach nur Gülle. Sehen wir also mal nach, wer die dünnen Bretter gebohrt hat:

Holger Sandte war mal Chefvolkswirt bei der West LB, wahrscheinlich der Grund, warum es ihr so schlecht geht. Jetzt ist er Altlehrer am DIS, einer Anstalt in Kopenhagen, die Auslandsstudien für die Schüler von US Colleges durchführt. Der hat wegen Kórona jetzt viel Zeit. Adalbert Winkler war vor der Berufung an die Frankfurt School of Finance & Management in der Europäischen Zentralbank und der Deutschen Bundesbank tätig. Eigentlich müßte er einen besseren Kenntnisstand haben. Aber er hat wohl zum Auge des Chefredakteurs geschrieben. Und der gilt nicht gerade als besonders helles Licht.

Einige Kommentatoren sind intellektuell nicht ganz so auf den Hund gekommen, wie die Schriftleitung. Da regt sich noch einiges im Oberstübchen.

 

Grüße an den V-Schutz. Keinen Käse abheften, sondern meine Einträge!