Leibeigenenbeteiligung nach Gutsherrenart

Schon in der Gewerbeordnung von 1871 gab es Festlegungen zur Nachbarbeteiligung bei Bauten. Seither hat sich das Recht fortentwickelt. Um Belange des Baurechts, des Wasserechts, des Naturschutzrechts, des Emissionssschutzrechts usw. zu bündeln wurde das Planfeststellungsverfahren entwickelt. Es ist das gesetzlich vorgeschriebene Verfahren für die Genehmigung von Stromleitungen und anderer raumbedeutsamer Vorhaben.

Die gesamte technische und grundstücksscharfe Planung mit zum Beispiel der Beschreibung der Leitungsausführung sowie der Ausweisung von Baustellenflächen, Zufahrten und Wegenutzungsplänen wird erstellt. Im so genannten landschaftspflegerischen Begleitplan werden die Eingriffe in Natur- und Landschaft ermittelt, bewertet und erforderliche Kompensations- bzw. Ausgleichsmaßnahmen geplant.

Die Planungsunterlagen werden öffentlich ausgelegt. Im Beteiligungsverfahren kann jeder Betroffene Anregungen und Bedenken schriftlich einbringen. Als Träger öffentlicher Belange werden Städte und Gemeinden, Fachbehörden, anerkannte Verbände und Vereine immer einbezogen.

Im Erörterungstermin werden die vorgetragenen Anregungen und Bedenken von der Behörde mit allen Beteiligten und dem Vorhabenträger diskutiert und die Argumente gegeneinander abgewogen. Dies kann zu einer Veränderung der Planung führen. Diese Veränderungen werden in ein Planänderungsverfahren im laufenden Hauptverfahren eingebracht. Im Planänderungsverfahren werden die gleichen Verfahrensschritte durchlaufen wie im Hauptverfahren bezogen auf den geänderten Sachverhalt. Je nach Umfang kann auf einen Erörterungstermin verzichtet werden.

Das Verfahren endet mit einem Planfeststellungsbeschluss, der einer Baugenehmigung entspricht. Der Planfeststellungsbeschluss kann beklagt werden. So lief das bisher.

Am vergangenen Sonntag demonstrierten deutschlandweit zahlreiche Bürger gegen die als Südlink und Südostlink geplanten Stromtrassen. In Süd- und Westthüringen fanden sich hunderte Bürger zusammen. Ihr Protest richtete sich dabei nicht nur gegen das Großprojekt und die damit verbundene Naturzerstörung, sondern auch gegen die gezielte Aushebelung der Bürgerbeteiligung durch das sogenannte Plansicherstellungsgesetz. Dieses hatte der Bundestag Mitte Mai verabschiedet, um Bauvorhaben zu beschleunigen, und sein Vorgehen mit der Corona-Pandemie begründet.

Hierzu erklärt die Exbloggerin und jetzige Landtagsabgeordnete Nadine Hoffmann (AfD-Fraktion im Thüringer Landtag):

„Hier wird offenkundig und ungeniert die Corona-Krise benutzt, um den öffentlichen Diskurs zu ersticken und zum Schweigen zu bringen. Denn das Plansicherstellungsgesetz dient einzig dem Zweck, höchst umstrittene Projekte wie Süd- und Südostlink  gegen den Willen der Bürger durchzupeitschen. Die Begründung für das Gesetz ist in dieser Hinsicht verräterisch: Es soll Verzögerungen der Energiewende während der Corona-Pandemie entgegenwirken. In Wirklichkeit wird jedoch die demokratische Teilhabe verhindert. Das ist kein Zufall.

Die Auslegung der Pläne und die öffentliche Beteiligung daran erfolgt zukünftig über das Internet. Damit werden insbesondere ältere Bürger vom demokratischen Prozess ausgegrenzt. Bisher als verpflichtende Präsenzveranstaltung festgeschriebene Termine sollen als Telefon- oder Videokonferenz durchgeführt werden. So kann keine öffentliche Kontrolle mehr stattfinden. Zudem sollen Fehler bei Bekanntmachungen keine Auswirkung mehr auf die Rechtmäßigkeit des Verfahrens haben. Die Öffentlichkeit wird hier auf juristisch zweifelhafte Art um ihr Mitspracherecht gebracht. Diesem undemokratischen Tun stellt sich die AfD-Fraktion entschieden entgegen. Ich fordere die Landesregierung auf, sich im Bundesrat dafür stark zu machen, dass das Bauvorhaben gestoppt und das Plansicherstellungsgesetz nicht angewandt wird.“

Recht nach Gutsherrenart: Beim Straßen- und Brückenbau gelten nach wie vor die Regeln der Planfeststellung. Beim Bau von Stromtrassen gelten sie nicht mehr. Selektives Recht. Was die Bundeskanzlern unbedingt haben will, erzwingt sie mit fragwürdigen Begründungen. Irgendwann wird uns sowas dann als Fortschritt verkauft. Stichwort: Digitalisierung.

 

Grüße an den V-Schutz: Bei sinkender Infektionsgefahr ist so ein Gesetz mehr als fragwürdig. Haldenwang, übernehmen Sie!