Gastbeitrag: Macht ausüben – wie das funktioniert, und wie es nicht geht
In beiden Büchern, die ich hier als lesenswert vorstelle, das Geostrategie-Buch von Baños und das Streitkräftebuch von Kraus und Drexl, geht es um Macht. In beiden Fällen steht der Nationalstaat als Inhaber der Machtausübung im Zentrum der Überlegungen. Doch jetzt kommt der Unterschied: Während Baños im Weltmaßstab argumentiert, richtet sich der Blick von Kraus und Drexl auf ein spezifisch deutsches Problem, die Bundeswehr.
Pedro Baños: Wie man die Welt beherrscht. Die geheimen Geostrategien der Weltpolitik. München, Heyne, 2019; **[engl. Ausg.] How They Rule the World. The 22 Secret Strategies of Global Power. London, Ebury, 2019.
(1) Beginnen wir mit dem Spanier. Baños’ Buch ist eine originelle Beschreibung von Weltmachtambitionen – einst und jetzt. Baños geht sein Thema weltumspannend und systematisierend an. Das macht die Lektüre zum Erlebnis. Mein Eindruck ist der: Hier schreibt einer, der sich an die großen Strategie- und Machtdenker der Neuzeit anschließt: So lassen der Italiener Nicolo Machiavelli und der Deutsche Carl von Clausewitz, und aus dem 20. Jahrhundert der Engländer J.F.C. Fuller und der Deutsche Walter Görlitz grüßen. Baños erweist sich diesen Großen des Machtdenkens als ebenbürtig.
Das Buch hat einen kurzen Vorspann, in dem erklärt wird, wie der Autor die Machtverteilung auf der Welt derzeit beurteilt. Er sagt, dass nach wie vor die Zentren der weltweiten Machtausübung in den Nationalstaaten liegen – derzeit sind es die USA, Russland und China. Hier werde das letzte Wort über Krieg und Frieden gesprochen. Bereits an dieser Stelle werden One World-Gläubige protestierend einhaken, doch will ich diesen Streit hier nicht auswalzen, weil er vom eigentlichen Inhalt des Buches ablenken würde. Dieser besteht in einem breiten Mittelteil, in dem in über zwei Dutzend Regeln diskutiert wird, wie Machtausübung einst und heute funktioniert.
Ich kann aus diesen Regeln nur einige Fälle herausgreifen. Sie sind erstaunlich genug. Da ist zum Beispiel diese hier: Stoße die Leiter um, auf der du hochgeklettert bist, wenn du oben anlangst. Es ist klar, was diese Regel besagt: Dulde niemanden oben neben dir, deswegen musst du deinen
Aufstiegsweg zerstören. Erstaunt hat mich, dass dieser Grundsatz bereits älteren Datums ist. Er stammt vom deutschen Nationalökonomen Friedrich List (Das nationale System der politischen Ökonomie. Stuttgart, Cotta, 1841), der auf diese Weise, im 19. Jahrhundert die britische Weltherrschaft zu erklären versuchte, die auf einer unbezwingbaren Handels- und Kriegsflotte aufbaute. Die Engländer sprachen, als sie diese dominierende Position erreicht hatten, zwar laut von der Freiheit der Meere, meinten jedoch ihre eigene Freiheit, die Meere nach Gutdünken zum eigenen Vorteil zu nutzen, wobei sie strikt darauf achteten, dass kein anderes Land dies auch konnte. Die Dänen konnten ein Lied davon singen. Ihre Flotte wurde mitten im Frieden angegriffen und teils zerstört, teils entführt. Im Englischen hat sich für den Vorgang das Verb to copenhagen erhalten. Auch der Erste Weltkrieg ist ohne diese Art der britischen Weltmachtstrategie nicht vorstellbar. Diesmal war es die deutsche Handelsflotte (Hapag und Norddeutscher Lloyd), die es den Briten nahelegte, den Krieg mit dem Deutschen Reich zu wagen.
Tue nicht selbst, was andere für dich erledigen können. Nun gut, Hilfstruppen waren bereits im alten Rom bekannt. Die Beispiele von Baños sind indessen erneut aus dem Aufstieg der angloamerikanischen Mächte entnommen, die in Deutschland weniger bekannt sein dürften. Es ist der gezielte Einsatz von Seeräubern. Sie entschieden letztlich den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg gegen die Kolonialmacht Großbritannien (An der amerikanischen Ostküste bis nach Canada hinauf stand ich staunend vor den Kneipen mit dem Namen Privateers Inn, den Sammel- und Saufplätzen der staatlich konzessionierten Seeräuber). Heute bedienen sich bevorzugt demokratische Regime des Einsatzes von privaten Sicherheitsdienstleistern, die auftragsgemäß Krieg führen, für den einheimische parlamentarische Gremien niemals die Erlaubnis geben würden. Und die sich, das wird gerne verschwiegen, wie dereinst die Landsknechte des dreißigjährigen Krieges aus dem Land bedienen, in dem sie hausen.
Erschaffe einen Feind. Das ist die erste Bedingung, um ein Volk in Angst und Schrecken zu versetzen, was dann Voraussetzung dafür ist, freiheitsbeschneidende Maßnahmen einzuführen. In diesem Kapitel diskutiert Baños, wie sich die Nato nach dem Zerfall der Sowjetunion (1989-92) neu
erfunden habe. Hierzu habe man aggressive Feinde gebraucht, sie wurden frei erfunden. Themen und Thesen wie diese werden bei den Prälaten der westlichen Werteordnung sicher wenig Gefallen auslösen. Es wäre aber unangebracht, den Autor in die Schublade des Antiamerikanismus zu stecken. Jedoch Amerikafromm ist er auch nicht, er hat vielmehr die krassesten Fälle zur Garnierung seiner Regeln entweder aus dem klassischen Altertum entnommen oder eben aus dem Weltmachthandeln der USA.
Das sind nur einige der Regeln, anhand derer der Autor die moderne Machtausübung erklärt. Wegen der vielen anderen ist der Leser auf das Buch selbst zu verweisen. Nach soviel Lob, schnell ein Wermutstropfen: Er betrifft die unhinterfragt übernommenen modernistischen Bemerkungen zum Nullachtfünfzehn-Klimawandel. Der wäre wohl in einer Folgeauflage zu überdenken. Und zwar in dem Sinne, dass es sich hier sehr wohl um ein Herrschaftsinstrument handelt, aber um eines aus der Kategorie Schaffe einen Feind bzw. Lügen und Propaganda, die bei Baños profund abgehandelt werden.
Schnell noch ein Wort zu den beiden Übersetzungen, die ich gelesen habe. Die englische Fassung entdeckte ich in einem wohlsortierten Buchladen in Exeter (Südwestengland). Ich las das Buch fast atemlos, schrieb dann dem Autor, dass ich eine Rezension plane, aber erst, wenn ich die deutsche Übersetzung gelesen hätte. Die kam dann irgendwann mit großer Verspätung bei mir an und barg die befürchteten Überraschungen, zum Beispiel diese hier: Auf Seite 448, Fußnote 6, belehrt der Übersetzer den Leser darüber, dass er mit dem Text nicht einverstanden sei, weil der Autor bei der Besprechung der wirtschaftlichen Erfolge des Deutschen Reiches in den 1930-er Jahren das Faktum der deutschen Aufrüstung weggelassen habe. Das hat nicht nur nichts mit dem Text zu tun, sondern das Belehrende, das der deutsche Heyne-Verlag (ein Unterfall von Random House = Bertelsmann) dem deutschen Leser angedeihen lässt, ist eine Verzerrung der Wirklichkeit, die der Autor zutreffend beschreibt und die beim Vergleich mit den USA jener Zeit ins Auge springt: Auch dort wurde die Roosevelt-Depression erst 1939 durch das gigantische Rüstungsprogramm beseitigt. Eingriffe dieser Art finde ich extrem störend. Ebenso finde ich lästig, dass man den Eingriffen erst durch zeitraubende Textvergleiche auf die Schliche kommt.
Josef Kraus/Richard Drexl: Nicht einmal bedingt abwehrbereit. Die Bundeswehr zwischen Elitetruppe und Reformruine. München, Finanzbuch, 2019.
(2) Das Buch von Kraus und Drexl ist etwas für gefestigte Naturen. Der Leser nimmt teil an der nun schon seit Jahrzehnten andauernden systematischen Zerstörung der deutschen Streitkräfte. Mit spitzer Feder werden die Hauptsünden benannt:
*Komplette Interesselosigkeit der politischen Führung an den Streitkräften,
*die Besetzung der Spitzenpositionen mit parteipolitischer Ausschussware,
*das rigorose Mundtodmachen alles Soldatischen,
*das Beurteilen von Wehrtechnik durch Leute, die nicht wissen, wo bei einem Gewehr vorne und hinten ist,
*das Anbeten von Outsourcing bis zur Feststellung, dass es die benötigten Spezialdienstleistungen außerhalb der Streitkräfte überhaupt nicht gibt,
*die Nichtaus- und -fortbildung der Soldaten (besonders krass beim fliegenden Personal zu erkennen, weil dieses durch Nichtstun die Pilotenlizenzen verliert),
*die Nichtbevorratung von Ersatz für Verschleiß, sodass die Truppe Stück um Stück die noch funktionierenden Großgeräte als Ersatzteilspender ausschlac htet,
*das Verbot, sich auf die Tradition deutschen Soldatentums zu berufen mit entwürdigenden Unterkunfts- und Spind-Kontrollen (auch der Oberleutnant der deutschen Luftwaffe Helmut Schmidt hatte in der nach ihm benannten Hochschule von der Wand zu weichen),
*das Nachlaufen gegenüber politischem Schnickschnack, wie die Nichteinführung von Schützenpanzern, deren Sitze nicht für Schwangere geeignet seien.
Bei vielen der Beispiele fragt man: Ist das Satire, oder ist das wirklich wahr. Es ist wahr. Dazu gehört auch die Tatsache, dass zwar die Streitkräfte geschrumpft sind, und noch weiter als das, weil nicht einmal das kümmerliche Restsoll erreicht wird, dafür aber ist die Zahl der Generale und Admirale gleich geblieben. Merke: Lametta schmückt, aber ohne Baum ist es Müll. Und auch das: Die Bundeswehr wurde nicht nur kaputtgespart, sie wurde zudem durch die verfassungswidrige Abschaffung der Wehrpflicht aus der Mitte des Volkes entfernt. Ein unverzeihlicher Hieb gegen die deutsche Souveränität mit unabsehbaren Folgen.
Kraus und Drexl unterbreiten eine Reihe von radikalen Vorschlägen, wie die Armee zu reparieren wäre. Damit haben sie recht, denn sie mögen gar nicht erst den Verdacht aufkommen lassen, dass sie nur Meckerei zu bieten hätten. Doch beide wissen: Was sie vorschlagen, ist in den Wind gesprochen, solange das politische Establishment nicht seine Einstellung zur Wehrhaftigkeit Deutschlands grundlegend ändert. Indessen: Der schier unglaubliche Zustand unseres politischen Personals lässt es nicht zu. Beide Autoren sind halb und halb Optimisten in der Hoffnung, dass es sich dennoch ändern möge. Das Buch ist zu empfehlen – jeder, der von fernen Auslandseinsätzen schwärmt, sollte es vorher gründlich gelesen haben.
Für einen Folgeband würde ich mir wünschen, dass die Autoren mit demselben Ernst und ebendemselben Biss der deutschen Wehrdoktrin, falls es denn irgendwo noch eine solche gibt, zu Leibe rücken. Erst wenn wieder einigermaßen klar ist, wofür wir die Streitkräfte brauchen (aus meiner Sicht: dringlich brauchen), ist der Platz da für die radikalsten Reformen, die eines Scharnhorsts würdig wären. Vorbedingung: Das Trallala von der Traditionslosigkeit deutschen Soldatentums gehört in den Müllschlucker der deutschen Geschichte.
©Helmut Roewer, September 2019
Geopolitik, in Deutschland leider ein Unwort.
Zitat: „die Nichtbevorratung von Ersatz für Verschleiß, sodass die Truppe Stück um Stück die noch funktionierenden Großgeräte als Ersatzteilspender ausschlachtet,“ War das nicht ein prinzip des real existierenden Sozialismus?
War wohl eher Unumgänglichkeit denn Prinzip.
Aber eine hübsche Brücke haben Sie geschlagen zum DDR-2.0-Claim der Blauen. Chapeau!
Schwerter zu Pflugscharen!
☕