Als man sich seine Nachbarn noch aussuchen konnte
In Mechelroda, einer Gemeinde im ersten sächsisch-weimarischen Verwaltungsbezirk, tagte am 02.04.1860 eine Gemeindeversammlung.
Entsprechend der damals geltenden Gemeindeordnung hatten die männlichen Einwohner das Recht, in Vollversammlungen über die Aufnahme von Auswärtigen in den Gemeindeverband abzustimmen. Am 2. April 1860 hatte der Bürgermeister Gottschalg so eine Versammlung der Nachbarn einberufen, da Johann David Bergner aus Roschnitz nach Mechelroda umziehen wollte.
Im folgenden der Auszug aus der Versammlungsniederschrift:
Gegenwärtig: Herr Bürgermeister Gottschalg, Herr Vorsitzender Jacob Busch
Auf Einladung erschienen heute abend 8 Uhr die hiesigen Nachbarn, an der Zahl 28, denen 36 Stimmen zustehen, im Gasthof zu einer Versammlung.
Vor der Versammlungseröffnung wurde folgender Beschluß gefaßt:
Jeder, der sich zum Nachbar in hiesiger Gemeinde anmeldet, ist verbunden, gleichwohl ob er von derselben aufgenommen oder nicht, der Gemeinde einen Eimer gutes einfaches Bier zu geben und den Betrag dafür, zuvor die Gemeinde zusammenkommt, zu bezahlen beim Gemeinderechnungsführer. Dieser Beschluß gilt nur für Auswärtige.
Der erste Gegenstand der Verhandlung betraf die Aufnahme des Johann David Bergner aus Roschnitz in den hiesigen Gemeindeverband (Kauf des Sulzaschen Hauses). Dieser Aufnahmegesuch wurde bis auf weiteres vertagt und demselben aufgegeben, erst noch ein Sittenzeugnis aus seinem Geburtsort beizubringen.
Diese Sorgsamkeit bei der Aufnahme Fremder hatte natürlich einen Grund: Jeder Einwohner hatte genau wie heute für die Gemeinde Lasten zu tragen. Es mußten Steuern gezahlt oder Frondienste geleistet werden, um die öffentlichen Wege und Gräben zu erhalten, den Feuerschutz zu organisieren, den Bürgermeister, den Gemeinderechnungsführer und den Lehrer zu bezahlen. Jedes Jahr zu Johanni waren die Verpachtungen zu erneuern, Unterhandlungen mit der Kommunalaufsicht und dem Gut waren zu führen, Wahlen zu organisieren, die Grenzsteine bei einem jährlichen Umritt zu inspizieren. Das alles in einer steinreichen Gegend mit der Ackerwertzahl 28 (der schlechteste Boden im Landkreis). Die Natur schenkte den Bauern im Gebirge nichts.
Da konnte man unfähige und faule Individuen nicht gebrauchen. Jede Gemeinde achtete darauf, daß man nur tüchtige, integrierbare und nach Möglichkeit auch wohlhabende Leute zuziehen ließ, die bei der Erfüllung der anstehenden Aufgaben nützlich waren. Man wollte die für die Allgemeinheit erforderlichen Arbeiten damals nicht auf wenige, sondern auf möglichst viele Schultern verteilen.
Soviel für heute zur Fachkräfteeinwanderung.
Es hätte ein Gutes gehabt – nur wenige nutzlose Wessis hätten sich hier niederlassen können.
Es wäre interessant, wann, wie, wozu und von wem dieses Recht eigentlich abgeschafft wurde,
Zwischen 1850 und 1871 wurden die meisten Kommunalordnungen umgestellt, die Vollversammlung der Einwohner abgeschafft und die Freizügigkeit hergestellt. Ich denke die Bundesstaaten hatten Interesse an höheren Steuereinnahmen und wollten mehr Umzug in die Industriezentren. Das war auch eine militärische Frage, die den Eisenbahnbau und die Rüstungsindustrie berührte. Deutschland hatte zwischen 1866 und 1890 mit den Bismarckschen Reformen den Grundstein für seine industrielle und militärische Stärke gelegt. Zwischen 1870 und 1890 herrschten in Deutschland übrigens auch Gewerbefreiheit und Marktwirtschaft.
also wenn ich die „Satzung“ richtig verstanden habe scheint der Eimer Bier das entscheidende Kriterium gewesen zu sein um überhaupt über eine Aufnahme des neuen Gemeindemitglieds zusammen zu kommen,eine positive Entscheidung lag da noch in weiter Entfernung.Das heißt: man legte dort bereits die Korruptionsregeln fest wer was und wofür jemand die Lasten zu tragen hatte.
Schade das man sich bei der Uni Freiburg für die Einsichten in die digitalisierte alte Zeitung anmelden muss was früher ohne Anmeldung ging.Dort sprach man das der Landesherr für diese Zeit die Preise festsetzte,nämlich für das Entgeld der Straßenbeleuchtung zb dieses gleichmäßig auf die Anzahl aller Leuchten aufzuteilen ist so das jede Familie oder Einzelperson der Gemeinde den selben Wert zu zahlen hatte.Da hatte der Gemeinderat keine Chance zu manipulieren,aber, vielleicht hat da jeder noch freiwillig ne Kanne Bier vorbei gebracht weil die Beleuchtung so billig war
Im Heimatbuch unserer Gemeinde kann man nachlesen, daß noch bis ins vorige Jahrhundert hinein der Gemeinderat entschieden hat, ob heiratswillige Paare vor den Traualtar treten durften. Die Eheschließung konnte untersagt werden, aus dem einfachen Grund, daß ein armer Tagelöhner und eine mittellose Magd zusammen keinen Hausstand gründen konnten, ohne bald der Gemeinde auf der Tasche zu liegen. Auf diese Weise wollte man die Entstehung von kinderreichem Prekariat verhindern.
Natürlich wurden auch außerehelich Kinder geboren, aber die kamen ins Findelhaus oder in die Obhut der Kirche (die damals noch nicht pädophil durchseucht war).