40 60 wollten wir nicht

Alle Discoveranstalter haben in der Russenzeit gegen 40 60 verstoßen. Die FDJ immer und der Wirt sowieso. 40 60 das war die Anweisung von den Ostberliner Natschalniks 40 % Musik aus dem NSW und 60 % einheimische Produktion zu spielen. NSW, das muß man den 68ern erklären: „Nichtsozialistisches Wirtschaftsgebiet“.

Gegen die Produktionsstudios von Hollywood und Memphis und deren mafiöse Vertriebssysteme hatten Warschau, Budapest, Prag und Ostberlin nicht viel aufzubieten. Bukarest und Sofia schon garnicht. Wenn Musiker mal rausgelassen wurden passierte auch wenig Bahnbrechendes. Eine zeitgenössische Anekdote ging so:

Was ist ein Streichquartett? – Ein Synfonieorchester, von einer Westreise zurückgekehrt.

Ausnahmen waren Nina Hagen, die goldene Stimme aus Prag, Omega, Jürgen Hart und Karat. Omega konnte zum Beispiel mal im Westen produzieren, danach rasselten sie mit der Staatsmacht zusammen und hatten wieder Innendienst. Hier eine sehr späte Aufnahme des Gyöngyhajú lány (Mädchen mit den Perlen im Haar) der ins Rentenalter gekommenen Truppe vom Heldenplatz aus dem Jahr 2014.

Es war oft das letzte Lied bei der Disco, ein bißchen kuschelig.

Der Karat-Titel „Über 7 Brücken“ wurde von Peter Maffay nachgesungen, wahrscheinlich sind für die Rechte harte Devisen geflossen. Der singende Sachse von Jürgen Hart wurde gar von den Kessler-Zwillingen gekapert. Ich fragte mich damals immer warum nicht die Originale, sondern Covers im Westradio gesendet wurden. Waren Karat und Hart so unprofessionell, daß man sie den bundesdeutschen Ohren nicht zumuten konnte? Nina Hagen war nach ihrem vergessenen Farbfilm schneller im Westen, als sie gucken konnte. Und Karel Gott schleimte sich penetrant bei der Kommunistischen Partei ein, um immer wieder Freigang zu bekommen. Bis zur Ekelhaftigkeit. Kaum jemand hat so viel im Westen produziert wie Gott und dafür zu Hause unendlichen Schaden angerichtet.

Aber das waren Ausnahmen. Die Regel war niedliche Provinzmusik, die im Osten hängen blieb. Hier mal ein Beispiel von Renft.

Der Wessi wollte von der Kolchose nichts hören und Renft wurde erst rausgelassen, als es für immer war. Dabei war der Text höchst subversiv. In einer Kulisse der asiatischen Eigentumslosigkeit mit kollektiven Gänsen der Anspruch an das eigene Lieschen.

Nun hätte nach dem Zusammenbruch die musikalische Mauer zwischen Ost und West ja in sich zusammenstürzen können. Aber sie stand. Ich kaufte erst mal jahrelang CDs, die man im Osten nicht bekommen hatte. Nachholende Ausflüge in die 60er bis 80er. Musik, von der man angenommen hatte sie nie wieder zu hören, die 1990 plötzlich aus der Gruft auftauchte. Auch MDR nutzte die Chance und arbeitete jahrelang das Versäumte auf. Die Ostbands hatten im vereinten Radio Sendepause. Eine seltene Ausnahme war 1993 Kling Klang.

Nun sind 30 Jahre vergangen und die verkrusteten Strukturen der staatlichen und privaten Sender lassen die Musik des Ostens in alter Tradition links liegen. Warschau, Prag, Bratislawa, Dresden, Erfurt, Ljubljana und Budapest liegen musikalisch weiter hinter dem  Mond. Es dominieren eingefahrene Vertriebsstrukturen, die Schere im Kopf, Überheblichkeit, manchmal auch politische Zensur. Der Westen igelt sich kulturell ein, der Osten neuerdings auch. Manchmal habe ich den Eindruck, daß der Osten Hollywood nicht mehr in dem Maße hören will, wie das früher der Fall war. Das wäre zumindest eine neue Entwicklung. 40 60 würde heute vielleicht gehen. Aber wer will außer Dr. Merkel, dem Maasmännchen und AKK noch Zwang?

Der Tanz ums Goldene Kalb nennt sich kulturelle Suprematie und ist nicht neu. Zur Zeit Christi bestimmte Rom den Geschmack bis in die germanischen Hinterzimmer. Im Barock und Rokoko wurde überall Paris nachgeäfft. Um 1840 paßte man sich dem englischen Geschmack an, ab 1900 bestimmte die deutsche Lebensreform was gemacht und schön gefunden wurde, bis in die Sowjetunion und die Türkei. Nach deren Zusammenbruch übernahm Hollywood 1945. Es ist inzwischen dekadent geworden und wird den Löffel abgeben. Aber an wen?