Die bleierne Zeit bis zum Herbst
Zwischen dem Brexit und dem Fideszexit gibt es eine Gemeinsamkeit. Sowohl der Austritt Britanniens aus der EU als auch der Ausschluß der ungarischen Regierungspartei aus der Europäischen Volkspartei EVP dauern und ziehen sich in die Länge. Das könnte einen übergreifenden Grund haben.
Sowohl das Vereinigte Königreich als auch Orbán spielen erkennbar auf Zeit. Auf die Zeit nach der Europawahl und auf die Zeit nach der Wahl neuer Brüsseler Politkommissare. Viele derzeitige Quälgeister und Eiferer werden aus der Brüsseler Machtarchitektur herausbrechen. Teils aus Altersgründen, teils wegen rückläufiger Zahl von Abgeordneten der zentralstaatsaffinen Extremistenparteien, teils weil die EU-Länder und Parteien vernünftigeres Personal nominiert haben oder nominieren werden. Als Parlamentarier und als Kommissare.
Voraussichtlich werden im Herbst mehr Politiker ins EU-Parlament einziehen, die nationale Interessen ihrer Länder vertreten und damit rationaler handeln. Zum Beispiel Italien. Vor fünf Jahren wurden sehr viele Exkommunisten ins EU-Parlament entsandt. Dieses Mal werden etwa drei Viertel der Italiener den fortschrittlichen Kräften wie Lega und M5S zugeordnet. Nicht nur die Lega und die 5 Sterne werden mit neuem Personal in Brüssel aufkreuzen. Auch die Forza wird sich ändern. „Ich beschloss, mich den Europäern vorzustellen, um meine Stimme in ein Europa einzubringen, das verändert werden muss“. So sagte Silvio Berlusconi, der seine Entscheidung motiviert, indem er erklärt, „um die Kommunisten aufzuhalten“. Berlusconi hat mit den Sozialdemokraten im EU-Parlament noch alte Rechnungen offen, die beglichen werden müssen. Steinbrück und Schulz hatten ihn auf das gröbste beleidigt.
Die 5 Sterne wollen Parteien aus Kroatien (Zivi Zid), Finnland, Polen (Kukiz 15), Griechenland und die französischen Gelbwesten an sich binden, die der Transparenz und der Bürgerbeteiligung verpflichtet sind, um eine gemeinsame Fraktion des Ausgleichs im EU-Parlament zu gründen. Und Salvinis Lega wird natürlich durchstarten. Etwa ein Drittel der italienischen Sitze im EU-Parlament dürften ihr zufallen.
Ein weiteres großes Land, welches nach Rechts rückt ist Deutschland. Die Sozialdemokraten dürften fast halbiert ins Europaparlament einziehen, die CDU arg gerupft. Die AfD dagegen dürfte von einem auf etwa 14 Parlamentarier zulegen. In der CDU schafften nicht alle alten Eisen wieder nominiert zu werden. Es ist ein Generationswechsel im Gange. Die Nichtwiederwahl vom europäischen Methusalem Elmar Brok spricht Bände. Die größte Gefahr für die Merkelgetreuen ist nämlich der Generationswechsel in allen Systemparteien.
In Polen ist mit einer deutlichen Stärkung der konservativen Regierungspartei gegenüber der Bürgerplattform zu rechnen, weil letztere doch zu merkelhörig agiert hat. Auch der Einzug von Kukiz 15 mit etwa 7 % wird die realistischen Kräfte in der EU stärken.
Aus Spanien werden voraussichtlich erstmals konservative Abgeordnete – und zwar der VOX-Partei – ins EU-Parlament einziehen.
Auch die Nominierung der Kommissare dürfte interessant werden. Bisher waren ja fast alle Mitglieder der Kommission von Linksparteien ernannt worden, bzw. es waren Versorgungsfälle nach Brüssel abgeschoben worden. Mit der Grenzöffnung haben die europäischen Regierungen gelernt, daß die Besetzung der Brüsseler Posten viel entscheidender ist, als die jener an der Heimatfront. Ein Umdenken hat schon lange eingesetzt.
Sollten der Brexit und der Ausschluß oder Nichtausschluß der Fidesz aus der EVP bis nach der Europawahl oder bis nach der Neubesetzung der Kommission hingezögert werden, könnten sich ganz neue Perspektiven ergeben. Bis zum Nichtaustritt des Vereinigten Königreichs aus der EU.
Dr. Merkel hat mit ihren Alleingängen alles Vertrauen in die Vertragstreue der Gemeinschaft zerstört. Für Deutschland kommen voraussichtlich harte Zeiten. Viele Länder werden für die deutschen Egotrips in der Migrations- und Energiepolitik, aber auch für einige undiplomatische sozialdemokratische Ausraster Rache nehmen. Dabei braucht Deutschland viel Solidarität von Freunden, zum Beispiel bei den Diesel- Stickstoff- und Feinstaubgrenzwerten. Ob die deutsche Politik die Autoindustrie noch retten kann, wird sich erst noch zeigen.
Merkel und die deutschen Medien denken: „Viel Feind, viel Ehr“. Aber bisher lief die deutsche Geschichte so: „Viele Hunde sind des Bären Tod“.