Repräsentationslücken in Frankreich und Deutschland
Vor den Medien hatten immer schon alle Furcht. Die Politiker, die Gewerkschafter und die Bischöfe. Noch vor hundert Jahren hatten deshalb fast alle Parteien, Gewerkschaften und Kirchen eigene Zeitungen, um ihre Schäfchen zu erreichen. Die letzten Relikte der alten Zeit in Deutschland waren der Bayernkurier der CSU und der Vorwärts der SPD. Die Partei- und die meisten Verbands- und Kirchenblätter sind im Zuge der Konzentrationswelle im Pressewesen untergegangen.
Ganz ähnlich ist es in Frankreich gelaufen. Die Medien haben die Parteien mit der Skandalisierung von Petitessen kaputtgemacht, die Sozialisten genauso wie die Republikaner. Und die Nationale Sammlungsbewegung sowieso. Außerdem und nicht zuletzt haben sie die Politik in Weidezäune eigepfercht, die zu verlassen mit Liebesentzug bis Diffamierung bestraft wurde. Die Gewerkschaften wurden von TV und Print auf einen Kurs gedrängt, wo sie die Arbeiter verraten haben, in der Energie- und Mobilitätspolitik genauso wie in der Einwanderungsfrage. Emanuel Macron wurde von den Medien zum Präsidenten hochgesendet und schöngeschrieben, in einer Situation, wo die ganze politische Landschaft Frankreichs bereits in rauchenden Trümmern lag. Als Phoenix aus der Asche wurde Macron gefeiert. Böse Zungen behaupten immer noch, daß das finanziell gut ausgestattete Soros-Netzwerk hinter seiner Wahl stand.
Nun beklagt Professor Wolf Lepenies in der WELT aktuell den leeren Raum zwischen dem Präsidenten und den Gelben Westen, das Fehlen vermittelnder Institutionen wie Parteien und Gewerkschaften, welche früher Interessen gebündelt hätten. „Noch radikaler als de Gaulle hat Emmanuel Macron durch die Pulverisierung der traditionellen Parteien den politischen Leerraum geschaffen (…) Daß Macron sich jetzt direkt mit dem „Volk“ konfrontiert sieht, ist eine fatale Konsequenz seines politischen Erfolgs.“
Das ist eine Fehleinschätzung. Die Parteien sind nicht von Macron pulverisiert worden, er hat lediglich das bereits entstandene Vakuum im politischen Gefüge zur rechten Zeit geschickt genutzt. Sicher war sein Vorgänger Hollande mit dem Amt überfordert, sein Rückzug ins Private des Elysee-Palastes im letzten Regierungsjahr beweist das. Nach der Erschießung kommunistischer Redakteure, dem Bataclanmassaker und dem „Kraftfahrzeugunfall“ in Nizza war den Franzosen klar, daß die parteiübergreifend seit den 70er Jahren von Gaullisten, Sozialisten und Republikanern betriebene Ausländerpolitik auf der ganzen Linie gescheitert war. Die Medien aber breiteten Hollandes nebensächliche Affären genüßlich aus, etwas, was noch in den 60ern und 70ern undenkbar gewesen wäre. Der Präsidentschaftskandidat der Republikaner wurde wegen seiner Bereicherungssucht an den Pranger gestellt, einer Eigenschaft, die in der ganzen politischen Oberschicht Frankreichs flächendeckend virulent ist. Darüber hinaus haben die Parteien und Gewerkschaften alle Positionen geräumt, die mit der Verteidigung der Lebenssituation der Mittelschicht zu tun haben.
Frankreich hat noch ein selbstgemachtes Repräsentationsproblem. Das Mehrheitswahlrecht führt dazu, daß Jean-Luc Melenchons Linksbewegung mit 2,5 Mio. Stimmen 17 Abgeordnete in die Nationalversammlung gebracht hat (2,9 %), die Front National mit 3 Mio. Stimmen sogar nur 8 Abgeordnete (1,4 %). Die Opposition findet im Parlament nicht statt, obwohl sie ein Viertel der Wähler hinter sich hatte. Nur das Häuflein der Republikaner ist im Parlament angemessen vertreten, hat mit den derzeitigen Anliegen der Mittelschicht jedoch wenig am Hut. Würden die Republikaner die Kraftstoffpreissenkung unterstützen, würden sie von den Medien als „Klimaleugner“ ans Kreuz geschlagen. Ein zu großes Risiko?
Der Weltuntergang ist der neuen Oberklasse der Medienzaren wichtiger, als das Monatsende der modernen Sansculotten. Neureligiöse Erweckung und wissenschaftsfeindlicher Obskurantismus haben die Auseinandersetzung mit realen Problemen schon seit Jahren aus den Schlagzeilen verdrängt. In Frankreich genauso wie in Deutschland. Vor zwanzig Jahren schlug sich Kanzler Schröder mit den banalen Lohnnebenkosten herum und mit der lokalen Arbeitslosigkeit des „abgehängten Packs“, so die heutige Etikettierung ihrer Ex-Wähler durch die SPD. Schmidt hatte den Terrorismus und die Inflation an der Backe. In Frankreich alles Themen, an denen ganze Generationen von Präsidenten der Grande Nation grandios gescheitert sind.
Wer kümmert sich heute noch um den Geldbeutel der kleinen Leute und die innere Sicherheit? Alle Realpolitik ist aufgegeben zugunsten horizontloser globaler Rettungsphantasien. Macron opfert genauso wie Merkel an den Altären der Klimareligion und der Moslembrüder. Größenwahn, ein altes deutsch-französisches Laster.
Wenn vermittelnde Instanzen zwischen Volk und Regierung wirklich für erforderlich gehalten werden, bilden sie sich irgendwann. Die Alternative für Deutschland war so ein Versuch. Weil die Nationale Front von Dr. Merkel alternativlos zu sein schien. Als Vermittlungsinstanz ist die AfD grandios gescheitert, da sie mit den neuen deutschen Medienmachern im Clinch liegt. Professor Lepenies liegt wohl falsch, wenn er annimmt, daß es zwischen dem produktiven Mittelstand und den parasitären Oberklassen einen von Großorganisationen organisierten Ausgleich geben könne. Weder die AfD noch die Nationale Sammlungsbewegung Frankreichs sind diesbezüglich hilfreich, weil sie von den Medien nur als Störenfriede karikiert werden. Das intolerante und vernagelte Establishment läßt es nicht einmal zu, daß eine wohlerzogene junge Dame mit PC-Doppelnamen Parlamentsvizepräsidentin des Bundestags werden kann.
In Frankreich dieselbe Situation: Der Präsident und sechs von sieben Vizepräsidenten der Nationalversammlung gehören dem Wahlverein von Macron an, ein Vizepräsident der befreundeten MODEM. Die Opposition wurde aus diesem Gremium genauso wie in Deutschland ausgesperrt.
Die Eliten wollen sich in nichts hereinreden lassen. Schlimmer als Könige und Kaiser bewachen sie ihre Wahrheitstempel und weisen alle Beratung und Moderation weit von sich. Nicht einmal Hofnarren können sie ertragen. Nun treffen Feuer und Wasser unvermittelt aufeinander. Es raucht in der schönen Stadt Paris.
Das Mehrheitswahlrecht hat Vor- und Nachteile. Bei uns würde es bedeuten: Keine oder nur 2 – 3 Grüne sowie max. 2 Linke im im Bundestag. Hätte seine Vorteile, oder, Herr Prabel?
Ich denke die Grünen würden dann stärkere Parteien infiltrieren. In Frankreich war das teilweise so, in Italien unbedingt.
Aber direkt gewählte Abgeordnete haben mehr Selbstständigkeit ihrer Parteiführung gegenüber als unsere Listenheinis. Da hätten grüne Spinner deutlich weniger Chancen.
Das Erwägen der Vorteile des Mehrheitswahlrechts für Dummland ist rein akademisch. Das Blockparteiensystem wird da überhaupt keine Luft heranlassen, denn nur das Verhältniswahlrecht bietet der Politkaste maximale Abzockmöglichkeiten; oder warum sonst ist der Bundesaffenstall im Reichstagsgebäude so aufgebläht worden wie nie zu vor?