Der kalte Krieg in den Karpaten
Bei vorangegangenen Wahlen in der Ukraine seit dem Zerfall der Sowjetunion zeigte sich ein Bild gegenseitiger Abneigung von Russen und Ukrainern. Viele Anekdoten aus der Sowjetzeit bescheinigen, daß es sich wirklich um alte Erbfeinde handelt, hat Stalin im Holodomor doch etliche Landstriche der Ukraine fast ausgelöscht. Die Ukrainer nennen die Russen wegen der spitzen Bärte, die sie früher getragen haben „Ziegenböcke“. Zum Beispiel die Blutkommissare Trotzki, Lenin und Bucharin hatten alle so einen Bart wie Martin Schulz. Auch die russische Delegation für die Verhandlungen in Rapallo mit Krassin, Tschitscherin und Joffe an der Spitze reiste mit Spitzbärten nach Ligurien. Fragt ein Ukrainer einen Fremden: „Bist du ein Ziegenbock?“ Der antwortet „Nein“. „Na dann können wir ja russisch miteinander sprechen.“ Eine weitere – russische – Anekdote illustriert die derzeitige Liebe zwischen den orthodoxen Brüdern: Putin grillt den ukrainischen Präsidenten über dem Kohlenfeuer. Daneben steht der weißrussische Präsident Lukaschenka und fragt: „Wladimir Wladimirowitsch, warum drehst du ihn so schnell?“ Putin: „Langsamer kann ich nicht. Er stiehlt Kohle.“
Als Putin die Krim aus der Ukraine herauslöste hat er das Kräfteverhätnis in der Restukraine zugunsten der Ukrainer und zulasten der Russen verändert, denn auf der Krim leben überwiegend Russen. Die Russen werden es in Zukunft etwas schwerer haben eine nationale Wahl in der Ukraine zu gewinnen. Dieselbe Wirkung hat die Unabhängigkeit der beiden russischen Volksrepubliken im Osten. Es gibt im Leben keinen Vorteil, den man ohne Nachteile erkaufen kann. Auch Putin kann nicht zaubern.
Die Ukraine ist als Multikultistaat weiterhin ein Pulverfaß. Pater Tenebrarum hat ein umfangreiches historisches Kartenwerk ins Netz gestellt, um die Dinge zu verstehen. Leider englisch kommentiert, aber meine Leser im Westen kommen damit sicher etwas besser zurecht als der Autor dieser Zeilen.
Nachdem es im Süden und Osten der Ukraine seit langem raucht, gibt es in den multikulturellen auch von Ungarn bevölkerten Karpaten ein neues Schlachtfeld. Die ungarische Presse berichtete, daß der örtliche ungarische Konsul ausgewiesen worden sei. Der ungarische Großgesandte in Kiew, Ernö Keskeny, wurde seitens der ukrainischen Regierung darüber informiert. Der Konsul habe die Ukraine binnen dreier Tage zu verlassen, weil er ungarische Pässe augegeben habe. Das ist jedoch keine neue Praxis. Seit 1990 wurden 100.000 ungarische Pässe ausgegeben. Das ist zum Beispiel erforderlich, um der Jugend höhere Bildung zukommen zu lassen, denn in der Ukraine gibt es keine ungarische Uni und keine höheren Schulen, die ungarisch unterrichten. Würde sich vermutlich auch nicht rechnen, diese Infrastruktur für 150.000 Leutchen vorzuhalten.
In der ganzen ukrainischen Führung sind Doppelpässe weit verbreitet. Einige Leute haben drei davon. Die Hysterie, die jetzt entfacht wurde, ist insofern verwunderlich und wurde vielleicht von irgendwelchen NGOs angeheizt, die für ihre Schmach in Ungarn Rache nehmen wollen.
Ungarn hat reagiert und den ukrainischen Konsul rausgepfiffen. Außerdem blockiert es die Teilnahme der Ukraine an NATO-Treffen und zukünftig sicher auch EU-Beitrittsgespräche. Die Ukraine hat derweilen in erster Lesung ein neues Sprachengesetz durchs Parlament gebracht, das Minderheitensprachen diskriminiert. Beamte müßten die Staatssprache kennen, auch in Schulen würden sich die Rücksichtnahmen auf Minderheiten reduzieren. Viele Ungarn können nicht ukrainisch, was sie von Amt und Würden ausschließt. Russen sind natürlich genauso betroffen. Die russsiche Nachrichtenseite Sputnik hat genüßlich rausgefädelt, welche Großkopfeten welche Pässe haben, und daß der ukrainische Innenminister auch nicht ukrainisch spricht.
Die Formalitäten beim Grenzübertritt nach Ungarn wären schikanöser geworden wird berichtet. Wie so etwas aussieht habe ich exemplarisch 1982 mal miterlebt. Auf dem Grenzbahnhof Bratislava-Petrzalka mußten alle Ungarn dreimal aus- und wieder einsteigen und dreimal auf dem Bahnsteig alle Koffer für den tschechoslowakischen Zoll öffnen. Die Prozedur hat fast vier Stunden gedauert. Internationale Fahrpläne sind auf dem Balkan rein informativ, wenn es darum geht Nadelstiche zu verpassen.
László Brenzovics, Präsident des Ungarischen Kulturvereines von Transkarpatien (KMKSZ) jammerte in der ungarischen Presse: Nur auf Ungarn könnten sich die Karpaten-Ungarn noch verlassen, viele Gemeinden würden ohne Budapest dahinwelken.
Die Ukraine ist auf Grund ihrer fatalen Geschichte und fehlenden Biegsamkeit eine Büchse der Pandora geworden.
Der romantische Dichter Adam Mickiewicz blickte 1834 sentimental auf das freiheitliche Multikultireich Litauen zurück, zu dem auch die Ukraine gehörte:
Litwo! Ojczyzno moja! ty jesteś jak zdrowie;
Ile cię trzeba cenić, ten tylko się dowie, Kto cię stracił.
(Litauen! Wie die Gesundheit bist du, mein Vaterland;
Wer dich noch nie verloren, der hat dich nicht erkannt.)
Litauen ist lange verloren und bis auf die Grundmauern zerstört; es läßt sich in der alten Vielfalt nicht rekonstruieren, weil jeder inzwischen des anderen Teufel ist. Die Teilungen Polens, die Ansiedlungsrayons, die Progrome, der Erste Weltkrieg, der Holodomor, die große Säuberung, der Zweite Weltkrieg, Jalta und die Verschenkung der Krim an die Ukraine haben dazu beigetragen.