Afrika, Leichen, Messer und Tote

Im Sommer 1973 fanden in Ostberlin die Weltfestspiele der Jugend statt. Sie sind unvergessen, weil Walter Ulbricht gerade gestorben war und die Staatstrauer auf Anweisung von Erich Honecker entfiel.

Nicht weit von Ostberlin befand sich bei Schwedt an der Oder ein Straflager: Pinnow-Ost. Die Insassen von Pinnow-Ost mußten normalerweise sechzehn Stunden am Tag arbeiten. Es gab Außenkommandos, zum Beispiel im Petrochemischen Kombinat in Schwedt. Man konnte mehrere mit Stacheldraht und Mauern umwehrte Betonwerke sehen. Während der Weltfestspiele wurde wegen umherirrenden westlichen Korrespondenten die Arbeit mit Häftlingen in Außenstellen eingestellt.

Um die Sträflinge zu ersetzen wurden die Studenten meines Studienjahres nach Schwedt zum sogenannten „Studentensommer“ gefahren. Das waren drei Wochen Arbeit um die „Verbindung zur Arbeiterklasse“ zu fördern. Gleichzeitig wirkte man so dem Arbeitskräftemangel entgegen. Mit der Arbeiterklasse kamen wir übrigens nicht in Berührung, nur mit einigen Wärtern und Brigatieren von Pinnow-Ost.

Schwedt war damals eine Ansammlung aus zwei Neubaugebieten und vier Wohnlagern. Einer der Stadtteile wurde von den Einwohnern wegen seiner in der Bauphase steckengebliebenen Außenanlagen „Bangladesch“ genannt, einer wegen seiner hohen Ziermauern „Westberlin“. Das Verhältnis von männlicher und weiblicher Bevölkerung war damals etwa 3:1, was nie guttut. Wir bekamen das Werkzeug der Sträflinge in die Hand und schaufelten aus dem reichlich anstehenden märkischen Sand einen Wall, der den Auffangraum eines Erdölbehälters begrenzte. Maschinen wie Radlader oder Bagger gab es damals noch nicht oder sie waren selten und wurden wie Goldstaub behandelt. Schaufeln und eine Rüttelplatte mußten reichen.

In den Mittagspausen lernten wir von einem Genossen ein aufschlußreiches Lied, welches erst jetzt nach 45 Jahren hochaktuell ist. Denn 1973 war Afrika ja noch halbwegs geordnet. Mit ein paar Ausnahmen freilich. 1964 wurde die arabische Oberschicht in Sansibar von den afrikanischen Exsklaven massakriert, aber Kaiser Bokassa von Zentralafrika, der seinen schwarzen Untertanen die Ohren abschnitt, wurde erst nach den Weltfestspielen gekrönt. Auch die Massaker an den Matabele und Tutsis fanden erst viel später statt. Hier der Liedtext:

Durch die Wüste Kalahari quält sich schwitzend die Safari.
Kein Tropfen war mehr in der Flasche, leer ist auch die Kalebasse.

Refr.: Humba humba Hassa, Humba humba hassa, hejohejo, hejohejo
Humba humba hassa, humba humba hassa, hejohejo, hejohejo

Schlimmer, als des Durstes Qualen war die Angst vor Kannibalen.
Kommt der Häuptling Wumba-Wu, reicht ne Tasse Eiter zu.

Refr.

Auf den Teichen schwimmen Leichen mit aufgeschlitzten Bäuchen.
In den Bäuchen stecken Messer von den bösen Menschenfresser.

Refr.

Auf den Straßen fließt der Eiter, der Verkehr geht nicht mehr weiter.
Und schon mancher Straßenfeger stolpert über tote Neger.

Refr.

In den Kellern auf den Kohlen sitzen Neger mit Pistolen.
Und sie schießen auf die Weißen, die mit Bratkartoffeln schmeißen.

Refr.

Nun könnte man vermuten, daß das Lied ein Racheakt der um die Teilnahme an den Weltfestspielen geprellten Genossen war. In unterbeschäftigten Kreis- und Bezirksleitungen wurden ja viele Anekdoten und viel Folklore ersonnen. Ich persönlich vermute eher, daß es ein liberales oder sozialdemokratisches Spottlied auf den Hottentottenkrieg in Deutsch-Südwest war. Also Lyrik der Jahrhundertwende. Aber wie oft wird aus Satire Realität, und Realität geht in Satire über! Mittlerweile registrieren wir im Görli, in Asyllagern, Kaufhallen oder in der Berliner S-Bahn die wilden Gebräuche des Schwarzen Kontinents.

Dr. Google schweigt sich zu dem Lied aus. Weiß einer meiner Leser etwas über die Entstehungsgeschichte, die Intention oder den Dichter?