Karfreitagsgedanken

Der Autor Hannes Stein hat in der WELT ausgebreitet, daß das „jüdisch-christliche Abendland“ eine dreiste Lüge wäre. Aber hätte es das Christentum ohne das Alte Testament überhaupt gegeben? Jesus steht mit dem Neuen Testament auf den Schultern der jüdischen Patriarchen, auch wenn er im Kern ein Neuerer war.

Wer Zweifel an der christlich-jüdischen Prägung Europas hat, der sollte mal ein Wochenende nach Rom fahren. Denn nirgends sieht man den Vorher-Nachher-Vergleich so einprägsam wie in der Ewigen Stadt.

Es müssen ja nicht gleich die Katakomben sein, die Einblicke in die Kampfzeit zwischen Antike und Christentum geben. Es reicht eigentlich ein Besuch im Kolosseum. Das Menschenbild hat sich doch etwas geändert. Die rohen Gladiatorenspiele, die Kämpfe mit Löwen, Nilpferden, Dromedaren und Elephanten hörten nach der Übernahme des Christentums Schritt für Schritt auf. Zuerst die Menschenopfer, später auch die Tierhetzen. Weil Morden verboten wurde.

Seneca berichtete als Zeitgenosse von Kaiser Augustus:

„Durch Zufall bin ich im Mittagsprogramm des Zirkus gewesen – Scherze erwartend, Witze und etwas Entspannung, womit sich der Menschen Augen vom Menschenblut erholen: das Gegenteil ist der Fall. In den vorherigen Kämpfen hatte Mitleid noch Raum; nun läßt man die Spielchen, und es ist der reine Mord: nichts haben sie, sich zu schützen. Dem Hieb mit dem gesamten Körper ausgesetzt, trifft sie jeder Schlag. Das ziehen die meisten den regulären Kampfpaaren und sonst geschätzten vor. Warum sollten sie es nicht vorziehen? Nicht Helm, nicht Schild weist ab das Schwert. Wozu Finten? All das ist Verzögerung des Todes. Am Morgen wirft man den Löwen und Bären Menschen vor, am Mittag den Zuschauern. Mörder werden auf ihren Befehl künftigen Mördern vorgeworfen, und den Sieger heben sie auf für einen weiteren Mord; Abschluß ist der Kämpfenden Tod: mit Schwert und Feuer wird die Sache ausgefochten. Das geschieht, bis die Arena leer ist.“

Foto: Prabel. Kolosseum

Im Jahre 325 n. Chr. erließ Kaiser Konstantin, der das Verbot des Christentums aufhob, ein an die Gouverneure der östlichen Provinzen gerichtetes Edikt:

„In Zeiten, in denen Frieden und innenpolitische Ruhe herrschen, missfallen uns blutige Vorführungen. Deshalb verfügen wir, dass es keine Gladiatoren mehr geben darf. Die, die ihrer Verbrechen wegen früher dazu verurteilt wurden, Gladiatoren zu werden, sollen ab jetzt in den Bergwerken arbeiten. So büßen sie die Strafe für ihre Verbrechen, ohne ihr Blut vergießen zu müssen.“

Im selben Jahr erließ er ein Gesetz gegen Tierhetzen. Praktisch konnte das Publikum diesen tradierten Belustigungen nur langsam entwöhnt werden.

Wie jede Kulturrevolution, dauerte die Umstellung der Herrschaftspraktiken und des Menschenbildes Jahrhunderte, zumal noch die Völkerwanderung mit ihren rauen Sitten dazwischenkam und im Mittelalter die Gedankenwelt des frühen Christentums und der Antike teilweise verlustig gegangen war.

Man kann natürlich zehn Tonnen Literatur herbeischaffen, was unter der Herrschaft von Juden und Christen alles aus dem Ruder gelaufen ist. Solche Erbsenzählerei bringt es nicht. Man muß die großen Linien im Auge behalten, und da hatte das Christentum gegenüber dem Islam auf die lange Sicht von 1.400 Jahren viele Vorteile. Es hat mehr wirtschaftliche Entwicklung erlaubt, es hat der Wissenschaft nicht völlig im Weg gestanden und es hat sich im Gegensatz zum Islam seit dem Jahr 700 noch fortentwickelt. Die Eigentumsrechte der Bürger sind im Westen doch weiter entwickelt, wie in Nordafrika oder im Nahen Osten. Im späten Rom galt in Nordafrika und in Europa das gleiche individualistische Recht. In Afrika wurde es durch islamisches Recht ersetzt. Ein Rückschritt, wie man sieht. Gegenüber dem Atheismus hatte das Christentum den Vorteil einer höheren moralischen Instanz über den irdischen Autoritäten. Der Sozialismus, der darauf bewußt verzichtete, war eine kurzlebige Entgleisung, die mit dem Tod seiner Führer Hitler, Stalin und Breshnew abgeschlossen wurde.

Auch das Judentum hat gegenüber dem Islam Vorteile, wie man durch Vergleich von Israel mit seinen Nachbarn erkennen kann. Haifa ist heute ein Wissenschaftsstandort erster Güte. So etwas haben Kairo und Damaskus nicht zu bieten.

Natürlich hat das Christentum viele Tücken. Immer, wenn  es mit dem Staat zu eng verquickt ist, wird es ekelhaft. Egal ob es die Wiedertäufer waren, die Deutschen Christen, die Christen im Sozialismus oder die staatsfrommen Merkelmitläufer, immer hat die Kirche Reputation verloren und das Christentum Anhänger.

Zu Ostern noch ein frommer Gedanke: So ein weiser Vater im Himmel, der die Sünden in sein großes Buch schreibt, ist gar nicht so schlecht. Jesus hatte übrigens nicht so sehr die kleinen Sünder im Visier, sondern Zöllner, Hohepriester und Steuereinnehmer, die zu große Staatsnähe pflegten, und diejenigen Pharisäer, die glaubten alles richtig zu machen und dabei Hoffart entwickelten. Selbsternannte Gutmenschen gab es schon im biblischen Palästina zuhauf.

Die Grünen und die Journalisten, das sind die Pharisäer der Moderne.