Der Schlaf der revolutionären Wachsamkeit
Die musikalische Umrahmung von Revolutionen war immer schon ein aufreibendes Unterfangen. Wolf Biermann hat sich nicht ohne Erfolg dran versucht, Cäsar, Gerulf Pannach, Klaus Renft und viele andere haben es ihm gleichgetan. Es war ein einziges Katze- und Maus-Spiel mit Verboten, Zuchthaus, Ausbürgerungen, Spitzelei, Alkoholismus, Ausreiseanträgen, Jugendwerkhof, ganz viel Romantik und skurrilen Situationen. Ich erinnere mich, wie die Stasi bei einem Diestelmann-Konzert, wo auch der sturzbesoffene Cäsar immer wieder auf die Bühne schwankte, vor Begeisterung mit den Füßen getrampelt hat. Neben den Stasi-Soldaten saß auch die Vorsitzende des beim Ministerrat angesiedelten Komitees für Unterhaltungskunst Gisela Steineckert bei den Zuschauern, sie war damals als Oberzensorin für Texte verschrien. Die Kahane der 80er. Denn trotz allem volkstümlichen Getue haben die Mächtigen natürlich immer versucht, die Musik zum Verstummen zu bringen. Wie sie das heute auch tun.
Wenn man das herablassende Geschreibsel der deutschen Systempresse über so angepaßte Sänger wie Helene Fischer, Andreas Gabalier oder Frei Wild liest, hat man wieder den Angstschweiß des Politbüros der SED in der Nase.
Musik kann sehr heiter sein. Immer, wenn ich einem Parteisekretär begegnete, pfiff ich grinsend „Die hab ich satt“ vor mir her. Das Schöne: Die kannten weder die Melodie, noch den Text.
In der Endphase des Stalinismus ergriff die Musik die Massen. Anfang 1988 hatte der Generalsekretär Gorbatschoff erwähnt, daß jeder sozialistische Staat sein gesellschaftliches System frei wählen könne.
Am 19. Juli 1988 trat Bruce Springsteen in Weißensee auf. Die Partei wollte ein Solidaritätskonzert für irgendein mittelamerikanisches Drecksloch draus machen, ich glaub es war Nikaragua. Springsteen konterte das aus: „Es ist schön, in Ost-Berlin zu sein. Ich bin nicht für oder gegen eine Regierung. Ich bin gekommen, um Rock ’n’ Roll für euch zu spielen in der Hoffnung, dass eines Tages alle Barrieren abgerissen werden.“
Das Ding hatte mindestens 300.000 Besucher, die die Ohren anlegten. Das Konzert war genehmigt worden, um etwas Dampf abzulassen, der 1988 schon satt auf dem Kessel war. Aber es trat das Gegenteil ein. Die Leute wollten Alles. Die Westpresse behauptete natürlich, daß die Leute nur zum Bumsen nach Ostberlin gefahren wären, aber das war natürlich Propagandaquatsch mit Soße.
Derweil träumte man in Brüssel noch vor sich hin. Am 25. Juni hatte man eine gemeinsame Erklärung über die Aufnahme offizieller Beziehungen zwischen der Europäischen Gemeinschaft (EG) und dem Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) unterzeichnet. Kurz vor der Geschäftsaufgabe. Daran zeigte sich wieder einmal, wie rückständig und hinterwäldlerisch die in der Selbstdarstellung sich „liberal und weltoffen“ gebenden Schlafmützen sind.
Am 18. November 1988 wurde die Auslieferung der sowjetischen Zeitschrift Sputnik unterbunden. Im Rahmen der sowjetischen Glasnost- und Perestroika-Politik standen Einträge drin, die Honecker nicht schmeckten. Letzte Notbremse, wenn man ein Periodikum der im Lande stationierten Soldateska ext.
Am 21.1.1989 verzichtete die Ungarische Sozialistische Arbeiterpartei auf ihre Führungsrolle, am 6. Februar fand das erste Treffen am Runden Tisch in Warschau statt. Die Kommunisten geben ihre Macht an der Garderobe ab.
Am 13.-15. Februar 1989 schläferte Sabrina die revolutionäre Wachsamkeit in Moskau ein. Mit Offiziersmützchen und Uniformjacke tobte sie über die Bühne, während die Jungs im Publikum ausrasteten. Denen hing die Zunge raus.
An ihrem letzten Auftrittstag, dem 15. Februar wurde der im Mai des Vorjahres begonnene sowjetische Truppenrückzug aus Afghanistan abgeschlossen. Am 5. April erfolgte die Wiederzulassung der Solidarność in Polen, am 2. Mai begann der Abbau des ungarischen Stacheldrahts an der Grenze nach Österreich, der Eiserne Vorhang bekam Risse. Im Mai 1989 wurden die Massen mit der gefälschten Kommunalwahl endgültig auf die Palme gebracht. Im kommenden Jahr war die DDR Geschichte. Das Lied dazu „Wind of Change“.
Die musikalische Begleitung des Umbruchs wurde im Westen kaum wahrgenommen. Aber sie war mehr als revolutionäre Deko. Sie gab der Revolution den Sound. Sowas fehlt im Moment noch. Vielleicht kann die geplante AfD-Stiftung was für die Musik tun?
Thema wird auch anderswo aufgegriffen:
https://philosophia-perennis.com/2018/01/24/es-ist-genug/
Danke für diese Sicht der Dinge.
Allerdings erschien „Wind of Change“ erst 1991, da war die ganze „Wende-Show“ schon Geschichte. Mich persönlich haben die Lieder von Stephan Krawczyk durch Aufruhr, Widerstand und Mauerfall begleitet. Am 15. Januar 1990 (Fall der Stasi-Zentrale) hörte ich spätabends nochmals seine Lieder und wußte, das er „gesiegt“ hatte.
Bin nicht in jeder Hinsicht einer Meinung mit dem Autoren. – Was soll’s, muß ja auch nicht sein. Trotzdem lesenswert.
Nur mal so am Rande: „Musik kann sehr heiter sein. Immer, wenn ich einem Parteisekretär begegnete, pfiff ich grinsend ‚Die hab ich satt‘ vor mir her. Das Schöne: Die kannten weder die Melodie, noch den Text.“
Wäre es nicht noch viel schöner gewesen, wenn die Heinis beides gekannt hätten? Dein Grinsen wäre noch breiter gewesen und deren Frust noch größer! 😉
Varieté Identitaire ist doch eigentlich schon ganz nett: http://bit.ly/2DEkR8E
Zweifelsohne ist Biermann eine besonders interessante Persönlichkeit, auch als Künstler, die man bekanntlich seit dem „Alten Fritz“ nicht „genieren“ soll. Zur Wahrheit gehört auch, daß er im D“D“R-Unrechtssystem niemals ernsthaft gemaßregelt wurde wie tausende andere, Bestandteil einer Schickeria war, die die Stasi mit Glacéhandschuhen anfaßte.
Ich nehme ihm dreierlei besonders übel: Wie er kurz nach seinem Start in der BRD mit den linkesten Typen (DGB, JuSo) gemeinsame Sache machte(Auftritt in Stuttgart-Fellbach) und gar propagierte, er sei vom „Regen in die Jauche gekommen“. Wir haben ihn denn bei einem seiner ersten Auftritte – in Tübingen – mit echter Jauche rund ums Veranstaltungslokel (Mensa Morgenstelle) zum Nachdenken bringen wollen. Nachgedacht hat er auch nicht, als ich ihn aufforderte, sich gegen die von der linken Stadtverwaltung verfügte Grab-Zwangsräumung des von der D“D“R-Stasi ermordeten Bernd Moldenhauer zu engagieren(Bergfriedhof Tübingen). Jedenfalls gab es keine Antwort. Und dann war da noch der Fall des rechten Liedermachers Frank Rennicke, der gerade wegen seines „Heimatvertriebenenlieds“ von der BRD-Gesinnungsjustiz abgeurteilt worden war. Biermann sollte sich, gelegentlich eines Auftrittes in der Reutlinger Listhalle, für den verfolgten „Kollegen“ einsetzen, unser Flugblatt dazu lesen, wenigstens eine Resolution unterschreiben. Doch auch das lehnte er ab. Er hat sich zwar später von der Linken (z.B. „Friedensbewegung“, Nachrüstungsdebatte, Veranstaltungsblockaden (=“wie ein zärtlicher Schlag in die Fresse“) zunehmend ab- und der CDU zugewandt. Aber ging es ihm da vielleicht nur um die volleren Fleischtöpfe?
Tya, die Dichter mit der feuchten Hand.
Mein Lieblingslied. Nie hätte ich gedacht, dass es ein halbes Jahrhundert später nochmal wie neu wird.
Schade, schade, dass der Dichter die Peilung verloren hat.
P.s. Stimmt, es fehlt die Musik. Bei Klonovsky gibts immerhin schon ein neues Intro.