Der Schatten von Augustus über Europa
Gerade ist anläßlich des 200. Geburtstages von Theodor Mommsen an die von ihm verfaßte „Römischen Geschichte“ erinnert worden. Zeit, einen Blick in den Wälzer zu werfen. Die demokratischen Institutionen der römische Republik standen vor dem Beginn der christlichen Zeitrechnung schön längere Zeit auf wackligen Beinchen. Der Hauptgrund war die Eroberung immer größerer Gebiete rund ums Mittelmeer, das Ausgreifen in immer fremdere Kulturen. Die längeren Wege, die vielen Sprachen, das immer zahlreicher werdende Militär und die immer häufiger werdenden Rebellionen irgendwo an den Rändern des Imperiums. Die immer öfter nach einer Diktatur strebenden Militärs. Die Vergewaltigung der damals bekannten Welt war mit den tradierten Institutionen der demokratischen Stadtrepublik Rom auf Dauer nicht vereinbar und vom Senat nicht steuerbar.
Nun gibt es in solchen Fällen globaler Ambitionen auch immer einen Totengräber demokratischer Institutionen. Es war damals Gaius Iulius Caesar (100 v. Chr.- 44 v. Chr.). Er machte die typische römische Ochsentour durch die Ämter und gelangte durch ein Bündnis mit Crassus und Pompeius 59 v. Chr. zum Konsulat. In den folgenden Jahren 58 bis 51 v. Chr. eroberte er ganz Gallien und schrieb ein Buch darüber. Im Römischen Bürgerkrieg von 49 bis 45 v. Chr. setzte er sich gegen seinen ehemaligen Verbündeten Pompeius durch und errang die Alleinherrschaft. Am 10. Januar 49 v. Chr. überquerte er mit 5.000 Mann der dreizehnten Legion den Grenzfluss Rubicone, der eigentlich nur ein besserer Graben bei Rimini ist, und marschierte auf Rom. Daher der Ausspruch „den Rubikon überschreiten“. Noch ein zweites historisches Zitat wird Caesar aus diesem Anlaß zugeschrieben: „Die Würfel sind gefallen“. Auch der Marsch auf Rom selbst wurde zur geschichtlichen Legende, so daß Mussolini ihn 1923 wiederholte. Nach seiner Ernennung zum Diktator auf Lebenszeit fiel Caesar einem Attentat zum Opfer. Marcus Brutus messerte ihn mit 23 Stichen. Bitte keinen Vergleich mit dem Bürgermeister von Altena.
Wir befinden uns, ohne daß es schon alle gemerkt haben, in einer ähnlichen Situation wie Rom vor der Zeitenwende. Die Europäische Union hat sich von einer Zollgemeinschaft und einer Auszahlstelle von Agrarsubventionen zu einem multikulturellen vielsprachigen Reich mit allumfassenden Machtansprüchen und Kompetenzen gewandelt. Nach der Übertragung von immer mehr Entscheidungen an die Europäische Union sind die demokratischen Institute der deutschen Republik und der anderen Mitgliedsstaaten zu Schatten ihrer selbst verkommen. Der 18. Bundestag (2013 bis 2017) wurde von Dr. Merkel überhaupt nicht mehr gefragt und war eine Art Volkskammer, nachdem schon der 17. ein Schattendasein geführt hatte. Der Bundesrat ist seit gut zehn Jahren nur noch eine Verhinderungskammer, SPD, CDU/CSU und Grüne haben jeder für sich die Blockademehrheit. Die neuzeitliche Personifizierung des Totengräbers der republikanischen Institutionen heißt Dr. Merkel.
Mit ihrem politischen Abgesang wird es nicht getan sein, wie das Ende der römischen Republik beweist. Auf den gemesserten Caesar folgte nämlich bereits 31 v. Chr. Augustus, der das Kaisertum, die Alleinherrschaft endgültig durchsetzte. Weil sich die Problemkulisse nicht geändert hatte. Weil Demokratie in einem global engagierten unüberschaubaren überdehnten Multikultistaat nicht haltbar war und auch heute nicht ist. Augustus vermied jeden Anschein, eine Diktatur errichten zu wollen, sprach sogar von der „restitutio rei publicae“, der Wiederherstellung der Republik und nannte sich bescheiden princeps, „erster Bürger“. Die Brüsseler Kommissare schwätzen auch immer von mehr Demokratie, wenn sie mehr Macht in Besitz nehmen wollen.
In Augustus Tatenbericht, den er am Ende seiner Karriere schreiben ließ, heißt es:
„In meinem 6. und 7. Konsulat, nachdem ich den Bürgerkriegen ein Ende gesetzt hatte, habe ich, der ich mit Zustimmung der Allgemeinheit zur höchsten Gewalt gelangt war, den Staat aus meinem Machtbereich wieder der freien Entscheidung des Senats und des römischen Volkes übertragen. Für dieses mein Verdienst wurde ich auf Senatsbeschluss Augustus genannt. (…) Seit dieser Zeit überragte ich zwar alle an Einfluss und Ansehen; an Amtsgewalt aber besaß ich hinfort nicht mehr als diejenigen, die auch ich als Kollegen im Amt gehabt habe.“
Er gab sich nicht den allgemein verhaßten Königstitel, aber er ließ sich von den eingeschüchterten republikanischen Parlamentariern all jene Ermächtigungen übertragen, die ihm in ihrer Bündelung zu einer königsgleichen Stellung verhalfen. Da er aber die republikanische Ordnung formal wiederherstellte, konnte er sich gleichzeitig als Retter und Beschützer der Republik darstellen. Erinnert alles sehr an die Märchen vom „demokratischen Zentralismus“ aus der Russenzeit und den Obersten Sowjet.
Nach dem Ausscheiden von Dr. Merkel aus der Politik steht ganz Europa und damit natürlich auch Deutschland an einer Wegscheide. Entweder es läuft wie damals in Rom, daß ein demokratisch nur noch formal legitimiertes, unkontrollierbares europäisches Quasikaisertum in Brüssel entsteht oder die Staaten holen sich alle Kompetenzen aus Brüssel zurück und stärken in überschaubaren regionalen und kulturellen Zusammenhängen ihre demokratischen Institutionen.