Sinn und Unsinn des Landlebens
Vor einigen Tagen hat sich der sonst so treffsichere Architekturjournalist Dankwart Guratzsch mit einem WELT-Artikel über Sinn und Unsinn des Landlebens vertan. Sein Fazit: Es sei wegen langen Wegen und der Erforderlichkeit eine Zweitautos einfach ineffizient. Und den Goldstücken könne man das Land überhaupt nicht zumuten.
Noch vor dreißig Jahren war der Landbewohner dem Städter um Meilen voraus: Er brauchte nicht wegen jedem Käse anstehen. Das Wohnungsamt kannte man in den Dörfern nur dem Namen nach. Viele knappe Dinge konnte man mit etwas Geschick selbst erzeugen. Insbesondere Obst und Gemüse waren immer zur Hand. Schafsfleisch, von dem der Städter nicht einmal ahnte, wie es schmeckt, konnte man selbst erzeugen. Für die Ablieferung von Produkten gab es märchenhaft hohe Preise, die oft über den Verkaufspreisen im Handel lagen. Und der Handel mußte alles abnehmen. Einmal hatte ich schon Mitte Juli ein Feld frei. Schwarze Rettiche bekommt man da noch hin. Ich säte aus und brachte im Herbst säckeweise Rettiche in den Handel. Der Markt war völlig überführt, aber ich hatte mein Geld. Planwirtschaft kann auch schön sein, allerdings nur für den Produzenten.
Anfang der 90er Jahre wurden viele Gärten aufgegeben und Haustiere abgeschafft. Das lag einerseits an der plötzlichen Verfügbarkeit von landwirtschaftlichen Produkten im Handel, zweitens an der geänderten Preiskulisse und drittens wollten die Leute endlich verreisen. Gurken aus Holland bekam man in jeder Kaufhalle für ein Spottgeld, der Eierpreis ging völlig in die Knie und nun wollten auch die Tierhalter mal nach Spanien oder Kroatien. Die Tiere wurden verkauft und man machte richtig Ferien. Statt in den Wald zu gehen und Brennholz zu machen, ließ man sich einen Tank für Flüssiggas eingraben oder man baute eine Ölheizung. Gas und Öl waren spottbillig. Das deutsche Dorf drohte damals zur Siedlung zu verkommen. Man hörte noch etwas Gebell, aber wo war das Muhen, das Blöken, das Quieken, das Meckern und das Gegacker?
Diese schöne neue Welt des Nichtstuns und der Bequemlichkeit ist schon lange wieder Geschichte. Inzwischen wird fast flächendeckend mit Brennholz und Braunkohle geheizt. Das alleine spart mehr wie ein Zweitauto kostet. Und die Zahl der Nutztiere ist in steilem Anstieg. Die Zahl der Rindviecher hat sich nicht nur in der CDU, sondern auch im Stall und auf der Weide stark erhöht, auch bei Schafen sind die Herden gewachsen. Lediglich Hühner sind wegen der Vogelgrippe und tiefen Eierpreisen nicht mehr ganz so beliebt, wie früher. Der Nebenerwerbslandwirt ist im Kommen, die Zahl der Pickups und Traktoren steigt rapide.
Der Autor dieser Zeilen erzeugt Kartoffeln, Tomaten, Bohnen, Blumen, Rettiche, Rote Beete, Birnen, Äpfel, Pflaumen, Stachelbeeren, Johannisbeeren, Himbeeren, Weintrauben, Süß- und Sauerkirschen, Aprikosen, Mirabellen, Sanddornbeeren, Brombeeren, Brennholz und Schafsfleisch selbst. Im Winter wird Hauswein und Schleenschnaps bereitet. Da lohnt sich das Leben auf dem Lande und es hat Sinn. Man guckt öfter in die Kühltruhe oder in den Kamin als ins Fernsehen und ist immer in Bewegung.
Beneidenswert..
Man könnte es auch noch drastischer sagen. Während heute die Stadtmenschen gerade noch wissen, wie man die neueste App downloadet, ok viele selbst nicht mal das, ist es noch gar nicht so lange her, selbst in einem so fortschrittlichen und zivilisierten Land wie Deutschland, daß Jemand, der kein Haus oder eine Unterkunft bauen konnte spätestens im Winter erfror. Das Jemand, der sein Land nicht fruchtbar machen oder sich selbst Geräte zur Jagd oder zum Fischen fertigen konnte, verhungerte, bevor er überhaupt an Familie und Nachkommen denken konnte. Das Jemand, der sich nicht selbst, geschweige denn seine Familie verteidigen konnte, Opfer von Raub und Mord wurde. Man könnte das endlos fortsetzen. Die Menschen heite im degenerierten Westen leben in einer TV-Blase, kennen Natur nur vom Urlaub, wenn überhaupt und sind selbst bei einer so schlecht gemachten und völlig harmlosen TV-Trashstory wie dem „Dschungel“ nach 2-3 Tagen am Ende der Kräfte und der Nerven. Noch schneller und radikaler geht es dann in der realen Natur. Wir sind außerhalb unserer Betonburgen nicht mehr überlebensfähig!
@treu
Mit derselben Logik haben wahrscheinlich schon die Hoehlenmenschen den ersten Stroh- oder Lehmhuettenbauern nahelegen wollen, was sie fuer Lullis sind.
Alles mit Mass, eine arbeitsteilige Gesellschaft hat auch ihre guten Seiten. Die ist nebenbei ein definierender Aspekt von Zivilisation, die hier doch auch irgendwie im Mittelpunkt des Interesses steht. Etwas Bodenhaftung ist recht, aber man muss es nicht uebertreiben…
@Michael B., mir ging es weniger darum, die Vorteile der modernen Entwicklung allg. in Zweifel zu ziehen, sondern in überspitzter Form rein um das Thema der Fähig-und Fertigkeiten. Im allg. und speziell auch im realen Leben und da bin zumindest ich fest der Überzeugung, daß uns vergangene Generationen, noch die Generation unserer Großväter, insbesondere auch die Landbevölkerung, eine Menge voraus hatten. Von der physischen und psychischen Härte und Überlebensfähigkeit ganz zu schweigen. Das können Sie gern anders sehen und die verfettete moderne Wohlstandsgesellschaft und deren verweichlichten Kinder und Jugendlichen heutzutage ausblenden. Ich habe damit kein Problem. 😉
Treu, Sie haben scheinbar etwas Probleme mit Grautoenen 🙂
Natuerlich sehe ich auch solche Dinge, aber Ihre Kanonade hatte fast schon Adlerschen Zuschnitt (zugegeben weniger Faekalsprache) und hinterliess in mir einen etwas zu starken Wunsch nach Regression und guten alten Zeiten. Moeglicherweise trog der Eindruck.
Ich selbst bin koerperlich ganz gut in Schuss, wie meine Frau und Kinder auch. Trotzdem wird der Eine schon oefter mal als duenn bezeichnet, was schon in diesem winzigen Beispiel auch eine gewisse Verschiebung der Wertstaebe signalisiert. In meiner Jugend gehoerte der eher zu den Zaehen mit durchaus Muskeln, die Bewertenden meist zu den um mehrere Stufen zu Fetten.
Ich selbst kann Einiges von den genannten Dingen ganz gut ausfuellen, aber nicht Alles (bin z.B. kein Landei). Aber ich kann eben auch Dinge, die i.a.R. weder Landeier noch Wuestensoehne beherrschen. Auch Einstein war wohl beim Hausbau eher nicht hilfreich.
Vor allen Dingen gehoere ich zu den Nettosteuerzahlern und zwar zum echten Kern, dessen hoeheres Einkommen nicht dadurch, dass das direkte Staats- Steuer- oder andere unproduktive Knete ist (oeffentlicher Dienst, Beamte, ‚Helfer‘, GEZ-Medienschaffende) wieder konterkariert wird. Ist wohl nach Schaetzung mancher Leute heute schon allein bei Betrachtung der bevoelkerungsanteilmaessigen Anzahl dieser Zahler fast elitaer. Ich stimme dem zu 😉
@Werter Michael B., irgendwie kommt mir das, was Sie schreiben, sehr bekannt vor. 😉 Wir 15 Millionen müssen den Karren also weiter am laufen halten, wobei müssen natürlich auch relativ ist, aber Verzicht ist schwerer als Verlust und zum Aussteiger, hin zum „Landei“ und Selbstversorger taugt auch nicht jeder. Ich jedenfalls nicht, wie meine Frau mir immer bestätigt, wenn etwas repariert werden soll und ich den Handwerker rufen muß. 😉
In HU, wo ich mir den Rettungssitz zulegte, kau ich grad meine Pfirsiche, die Pflaumen sind in Marmelade und Truhe, die Aprikosen auch, der restliche Wein muß auch noch weggefuttert werden…etc etc etc
Es befriedigt einen Urinstinkt in mir, wenn ich Nahrung und Vorrat aus Nutzgarten anlege. Es macht mich also „glücklich“ verrenkt im Baum zu hängen oder während ich dies eingebe elf Pfirsiche zu spachteln.
Aber lohnen tut das nicht. Wenn meine Früchte reif sind, kosten sie in jedem Supermarkt 50-70 Cent das Kilo. Aprikosen mehr, Kartoffeln weniger.
Auch Holz machen lohnt nicht wirklich – Hartholz liegt bei 80 Euro.
Ich spar da nur, wenn mein Stundensatz unter den Mindestlohn fallen darf.
Aber hier in HU muß ich für dieses Leben nicht auf dem Land leben – ich habe 1600m2 und gehe in 15 Minuten zu einem Westdiscounter, ein HU-Supermarkt ist noch näher. Ich brauche also nicht mal einen Erstwagen.
Aber D ist nicht HU und HU ist eher wie die DDR war, nämlich mit subsistent lebendem Volk.
Insofern sehe ich diesen Doc Text etwas kritisch.
Wir leben in einer Welt, in der 39 EUR Flüge existieren. Das zahlt so mancher als Tagessatz Miete. Wenn diese völlig falsche Preisgestaltung kippt, wenn also Energie wieder teurer wird (wohl erst in einigen Jahren), dann wird auch der „Stundenlohn“ des Subsistenten steigen. Alleridngs auch die KFZ Betriebskosten.
Fazit: Wer zur Arbeit muß, sollte bei der Arbeit leben. Egal ob Fabrik oder Pfaumenbaum.