Merkel verträgt keinen Schluck
In Bierzeltreden sind schon öfter Themen vergeigt worden, seitdem Franz-Josef Strauß das Pult als Vortragender geräumt hat. Nun ist es auch Kanzlerin Merkel so gegangen. Nach einem kleinen Schluck aus dem Maßkrug verrannte sie sich.
„Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei. Das habe ich in den letzten Tagen erlebt“, so Merkel im bierseligen Truderinger Zelt mit Bezug auf das G7-Treffen in Taormina. „Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in die eigene Hand nehmen“. In Washington wurde das als Zusage dargestellt, die deutschen Rüstungsanstrengungen zu vergrößern. Präsidentensprecher Sean Spicer: Großartig sei das, es entspräche dem, was der Präsident gefordert habe.
Doch ganz so harmonisch, wie von Spicer behauptet, fügen sich die Absichten dies- und jenseits des Atlantiks nicht ineneinander. Zumindest die elitistische deutsche Presse legte das Merkel-Statement so aus, daß Merkel die Bündnistreue der USA anzweifle. Da sind wir wieder auf der Lieblingsklaviatur der Medien: Trump als willenlose Marionette von Putin und Steve Bannon als sein Anarchist.
Eine empirische Betrachtung legt jedoch ganz andere NATO-Risiken offen: Die Vereinigten Staaten und Europa ertragen mit Engelsgeduld die Provokationen des Bündnispartners Türkei, sie haben sich jahrzehntelang griechischer Obstruktion gebeugt. Als wenn der türkisch-griechische Konflikt, der anno 1071 begann und dem tausendjährigen Jubiläum zustrebt, für die NATO nicht schon Belastung genug wäre.
Gerade hat die Türkei sich darin ausgezeichnet, die Zusammenarbeit der NATO mit Österreich zu torpedieren, während sie Besuche von Bundestagsabgeordneten bei den deutschen Soldaten in Incirlik immer wieder behindert hat. Auch muß bezweifelt werden, ob sie als islamisches Land überhaupt ins Wertesystem des Westens paßt. Die Minderheitenpolitik gegenüber den Kurden oder die Vernichtungspolitik gegenüber den Christen in der Türkei führt immer wieder zu massiven Zweifeln daran.
Man kann vom Eingreifen der NATO in den Kosovo-Konflikt 1998 während der Clinton-Präsidentschaft halten was man will. Die Analyse der damaligen Abläufe im Bündnis legte Zerwürfnisse zwischen verschiedenen Bündnisstaaten offen, und damit ein Grundsatzproblem der NATO. Mindestens drei Partner standen auf der bellizistischen Bremse, während insbesondere die rotgrüne deutsche Regierung zu den Antreibern der militärischen Lösung gehörte. Unvergessen: Bundesaußenminister Fischers Holocaust-Vergleich. Zu den Staaten, die sich Präsident Clinton und Bundeskanzler Schröder entgegenstellten, gehörte auf jeden Fall Griechenland. So wurde es damals zumindest vom Lügenfernsehen behauptet. Und es ist wohl auch was dran. Sicher wird Griechenland immer ein engeres Verhältnis zu Rußland und Serbien haben, als das lateinische Europa.
Was wäre, wenn nun wirklich ein Konflikt in Osteuropa ausbrechen würde, wie von den elitistischen Medien fast täglich an die Wand gemalt: Ein Überfall Rußlands auf Polen meinetwegen. Würde Amerika den Bündnisfall verweigern? Die USA, die den Militärhaushalt gerade um 10 % erhöhen? Oder wären nicht eher andere Staaten Wackelkandidaten? Die Lügenpresse berichtete über eine Meinungsumfrage, die den Willen der deutschen Bevölkerung zum Beistand in Zweifel zog. Und auch die deutsche Regierung hat verschiedene Schwierigkeiten mit den Visegrad-Staaten des Ostens. Bundesaußenminister Gabriel hat kürzlich bis weit nach Mitternacht mit Präsident Putin getafelt. Das ist nicht zu kritisieren. Aber würde er so viel Zeit auch für Victor Orban in Budapest oder Miloš Zeman in Prag haben? Oder gar für Andrzej Duda in Warschau?
Der Bündnisfall wird von den Regierungen beraten. Und da hätten wieder insbesondere die Türkei und Griechenland die Gelegenheit und die Motivation eine Verteidigung Europas – gegen wen auch immer – zu verhindern. Denn an die Tore Europas klopft ja weniger Rußland, sondern vor allem die Türkei, der ganze Nahe Osten und Afrika. Einige NATO-Länder sind von den Kerninteressen Europas viel zu entfernt. Sowohl geografisch, als auch kulturell. Erdogan propagiert offen die Islamisierung Deutschlands und Österreichs.
Eine grundlegende Überlegung ist der Kanzlerin völlig fremd: Gegen massive Bedrohungen – kämen sie aus Teheran, Moskau oder einem anderen kernwaffenbesitzenden bzw. hochgerüsteten Staat – ist der Beistand von Bündnispartnern mit Kernwaffen und Luftabwehrsystemen unabdingbar. Frankreich ist technisch und finanziell von den erforderlichen Fähigkeiten noch meilenweit entfernt. Sicher kann ein Bündnis mit Frankreich den Kernwaffenschirm der USA irgendwann ersetzen. Vor diese Option haben die Götter allerdings den Schweiß und den Durchhaltewillen von etwa dreißig Jahren gesetzt.
Bevor die militärischen und finanziellen Hausaufgaben gemacht sind, ist das Bierzeltgeschwafel der Kanzlerin nicht zielführend und unverantwortlich. Es ist auf innenpolitische Effekte ausgerichtet, kurz den Wahlkampf. Aber die Vermischung von Innen- und Außenpolitik ist und bleibt unprofessionell. Solide Politiker halten die Außenpolitik aus dem Parteienstreit heraus. Von Konrad Adenauer bis Helmut Kohl wurde das so gehandhabt. Unter Kanzler Schröder begann in wilhelministischer Manier das internationale Moralisieren und Besserwissen – ein Desaster. Merkel ist darin noch eifernder als Schröder.
Auf Dauer führt dieses ständige Belehren von Nachbarn und weit entfernten Kulturen in außenpolitische Isolation, so wie 1914, als Deutschland auf der internationalen Bühne fast allein dastand. Mit etwas mehr Geschick wäre die Entfremdung mit England und Rußland vor dem Ersten Weltkrieg vermeidbar gewesen. Knackpunkte waren damals die unnötige und teure Flottenrüstung (die Zukunft Deutschlands liegt auf dem Wasser…) und ein überflüssiges Interwiev, welches der Kaiser dem „Daily Telegraf“ gab. Einige Untiefen dieses Fettnäpfchens waren: Er, der Kaiser gehöre zu einer englandfreundlichen Minderheit in Deutschland – womit er einräumte, daß die Mehrheit englandfeindlich sei. Durch einen von ihm entworfenen Schlachtplan sei der Burenkrieg der Engländer in Südafrika gewonnen worden. In Wirklichkeit hatte Wilhelm 1896 dem Präsidenten der Burenrepublik Transvaal telegrafisch zu einem Sieg über die Engländer gratuliert. Der deutsche Flottenbau richte sich nicht gegen England, sondern gegen Fernost-Staaten, was eine durchschaubare Viertelwahrheit war.
Ähnlich desaströs die derzeitige deutsche Regierungspropaganda gegen die Kernwaffenmächte USA, Rußland und Großbritannien sowie gegen die Visegrad-Staaten. Merkel kann Freund und Feind nicht mehr unterscheiden. Alle Dissidenten der Klimareligion und Kritiker der Masseneinwanderung werden gleichermaßen mit der Säure der Kritik übergossen. Selbst ihr Ziehkind Erdogan – sie hatte ihm im Herbst 2015 die angeknackste politische Karriere gerettet – wurde kürzlich von ihr geschulmeistert. Großmutter hatte in ihrer Lebensapotheke für solche Patienten einen Spruch: Hochmut kommt vor dem Fall.
Die Gelegenheit wäre großartig, aus Deutschland wieder einen souveränen Staat zu machen. Dazu gehört aber, sich zu überlegen, was man will. Braucht man überhaupt eine Armee (Costa Rica hat z.B. keine), und man verzichtet völlig, seine Interessen international irgendwie wahrzunehmen. Oder möchte man eine eigene, wehrfähige Armee, um das Land zu schützen. Da eine EU-Lösung eher in einen Zukunftsroman (Dys- oder Utopie?) gehört, und Länder mit Kernwaffen wie England oder Frankreich uns niemals an den Drücker lassen, müssten dann zwangsläufig eigene Kernwaffen her. Das wäre ein Spaß auf internationaler Bühne.
Merkel stellt sich vermutlich eher ein grünlich-protestantisches Lala-Land vor.