Die Altparteien wollen Deutschland entdemokratisieren
Bereits auf den ersten Blick fällt eins ins Auge: die Bürgernähe geht in großen Gemeinden und Landkreisen verloren. Nicht nur daß die Wege zum Verwaltungssitz länger werden. Die Bíndungen der Bürger an das Gemeinwesen werden schwächer. Das spiegelt sich vor allem in Wahlbeteiligungen. Deutschlandweit werden In Großstädten und Großkreisen meistens nur noch um die 40 % erreicht, während kleine Gemeinden unter 1.000 Einwohnern Beteiligungen um 80 % aufweisen können. Das Interesse an gemeindlichen Angelegenheiten und das ehrenamtliche Engagement gehen mit der Größe allgemein zurück.
Aber auch finanziell ist eine Verwaltungsreform, die die Kommunen und Kreise größer macht keineswegs mit Einsparungen verbunden. Wieder einmal ist es Landrat Münchberg vom Weimarer Land, der an der Spitze der Kritiker einer Gebietsreform steht. Er schreibt:
„Größe (…) hat mit Leistungsfähigkeit nichts zu tun. Es gibt keinen nachgewiesenen Zusammenhang zwischen Größe und Wirtschaftlichkeit. Die (thüringische) Landesregierung hat solche Tatsachen nicht vorgelegt. In Bayern gibt es 19 Landkreise mit weniger als 100.000 Einwohnern. Kleine bayerische Landkreise sind erfolgreich.“
Auch mit dem Märchen, daß eine Gebietsreform nichts kostet räumt er auf:
„Die Gebietsreform hat in anderen Bundesländern erhebliche Aufwendungen erfordert.
Sachsen Anschubfinanzierung (offiziell) 160 Mio. Euro
Sachsen (inoffiziell, SPD Fraktion) 500 Mio. Euro
Mecklenburg-Vorpommern 432 Mio. Euro
Sachsen-Anhalt (mit Teilentschuldung) 600 Mio. Euro“
Die laufenden Kosten der Verwaltung explodieren nach einer Gebietsreform. Bekannt ist, daß die Verwaltungskosten in Sachsen-Anhalt mit Großgemeinden und Großkreisen pro Kopf der Bevölkerung 7 % über denen von Thüringen liegen. Auch in Sachsen ist alles teurer geworden. Landrat Münchberg dazu:
„Die Kreisumlagen steigen, die Personalkosten der Landkreise steigen, aber auch die Personalkosten des Landes ziehen wieder an.“ Kein Wunder, denn alles was früher ehrenamtlich für einen Appel und ein Ei erledigt wurde, müssen teure Beamte und Angestellte übernehmen.
Einmal war ich in Querfurt, einer Stadt mit 155 Quadratkilometern Ausdehnung. In einem Ortsteil war ein Schaukasten mit amtlichen Mitteilungen zerstört worden. Alleine die Besichtigung des Schadens durch das Bauamt machte eine Dienstreise von 20 km Länge erforderlich. Und damit war noch nichts repariert. Vor der Gebietsreform wurde kein Schaukasten zerschmissen, weil die Leute ihre Anliegen einem Dorfbürgermeister persönlich mitteilen konnten und Probleme vor Ort gelöst wurden.
Der Thüringer Rechnungshof hat nach einer Prüfung der Landkreise für 2011 bis 2015 festgestellt:
„Ein Zusammenhang zwischen Einwohnerzahl und Finanzstatus konnte im Rahmen dieser Prüfung nicht festgestellt werden. Nur bei wenigen Landkreisen ist die dauernde Leistungsfähigkeit gefährdet bzw. nicht mehr gegeben. Ausschlaggebend für die Prognose sind insbesondere die Steuerkraft der kreisangehörigen Kommunen, die Höhe der Sozialausgaben, die Abhängigkeit von staatlichen Zuweisungen, die Schulden und die damit für Zinsen gebundenen Mittel sowie das Vorhandensein von Rücklagen.“
Landrat Münchberg geht auch auf die Bindung der Bürger zu ihren Landkreisen ein:
„Die (thüringische) Landesregierung behauptet, dass die Bürger keine feste Bindung zu ihren Landkreisen hätten, sie belegt nicht, worauf sie diese Auffassung stützt. (…) Weil manche Befürworter der Gebietsreform politische Technokraten sind, weil sie in Wirklichkeit bindungslos nur auf Machterhalt und Steuerung aus sind, weil sie Bindungen in Landschaften und Körperschaften nicht empfinden können, vermögen sie in solchen Kategorien nicht zu denken.“
Münchberg faßt zusammen:
„Es heißt jetzt öfter, wir lebten in einem „Postfaktischen Zeitalter“. Auf Deutsch: Tatsachen spielen keine Rollen mehr. Stattdessen bestimmen Ideologien und „gefühlte“ Wahrheiten das Handeln, diese besonders, wenn die Sachverhalte etwas komplizierter sind.“
Aus meiner 17jährigen Erfahrung als Bürgermeister kann ich noch hinzufügen: In kleinen Gemeinden sind in Gemeinderäten normale Leute, die keinen Bezug zu Parteiapparaten haben und noch wissen, wie und wo die Steuergroschen verdient werden. Im Kreistag Weimarer Land ist das schon etwas anders. Dort sind von 46 Kreistagsmitgliedern mindestens 10 Angestellte von Parteien, Ministerien und Fraktionen, dazu kommen einige hauptamtliche Bürgermeister mit Parteibuch. Die Abhängigkeit der Kreispolitik von den Landesparteiapparaten der CDU, der Linken und Grünen ist deutlich spürbar. Da werden oft Kreisinteressen den Parteiinteressen geopfert. Besonders bei der Müllbeseitigung ist das für die Bürger sehr teuer geworden. Es wurde vom Kreistag nicht die billigste Verbrennungsanlage ausgewählt, sondern eine teure, die parteipolitischen Interessen einer Landespartei entsprach.
Je größer die Gebietskörperschaften werden, desto stärker wird die Kommunalpolitik zur verlängerten Werkbank der zentralen Apparatschiks. Die letzten normalen Leute sollen aus den Parlamenten verschwinden. Man will von den Parteizentralen aus durchregieren. Das ist der Wunsch der Politbürokraten aller Parteien und aller Länder.
Das ist doch nur folgerichtig und konsequent. Wenn schon die durch Brüssel verordnete und von der deutschen Regierung und Politik im vorauseilendem Gehorsam noch überbotene und forcierte Entnationalisierung, dann muß auch die regionale Entwurzelung der Deutschen erfolgen. Dabei hört sich der Begriff „Gebietsreform“ so freundlich und unverdächtig, ja irgendwie sogar nach „Modernisierung“ an. Dann doch lieber Stärkung des Zentralismus durch eine deutliche Steigerung der Zahl der Abnicker in der Volkskammer 2017. Ähh, im Bundestag natürlich. 😉