Längs und quer unter der Motorhaube
Der in Wolfsburg in den 80er Jahren als altes Eisen ausrangierte Volkswagenmotor wurde in der DDR weitergebaut. Das ganze technisch antik gewordene Produktionsband war von Niedersachsen nach dem Osten verlagert (oder entsorgt?) worden. Der Motor wurde zunächst im Quereinbau unter die Kühlerhaube des „Wartburg“ gezwängt. Er war etwas zu groß für den herkömmlichen 353er. Ein Längseinbau wurde beim 1.3-Prototyp versucht, aber es funktionierte nicht. Während man im Trabant-Motorraum noch genügend Platz für einen kleinwüchsigen Monteur hatte, herrschte wegen der hochgezüchteten Technik des vergleichsweise luxuriösen „Wartburg“ unter der Haube drangvolle Enge.
Der Wartburg sollte also mit dem alten Golf-Motor in Serie gehen und nun waren wegen dem Quereinbau noch ein Paar Probleme zu lösen. Unter der Kühlerhaube mußte alles neu organisiert werden und es wurde auch eine neue Fahrzeugheizung entwickelt. Der Hersteller, der VEB Fahrzeugheizungen Kirchberg (Kreis Zwickau-Land) benötigte eine neue Fertigungshalle dafür. Die neue Halle wurde geplant, außerdem auch die Außenanlagen. Zum Schluß wurde noch ein aufwändiger Zaun um das Betriebsgelände vorgesehen. Als auf dem Papier alles fertig war, kam vom Ministerium für Allgemeinen Maschinen-, Landmaschinen- und Fahrzeugbau aus Ostberlin ein Sparkommissar, der die Investition auf ihre Effektivität prüfen sollte.
Im VEB Fahrzeugheizungen waren schon alle versammelt: der Betriebsleiter, der Investbauleiter und die Projektanten. Es wurde vereinbart, den Zaun um das Betriebsgelände der voraussehbaren Sparwut des Ostberliner Kontrolleurs zu opfern und die anderen Bau- und Anlagenteile dadurch zu retten. Als diese Vereinbarungen getroffen waren, kam der simpel gestrickte Ostberliner hereinspaziert, stellte sich vor und sah sich den Prototypen der Fahrzeugheizung an, der in der Mitte des Raums aufgebaut war: „Also Jenossen, icke bin der Meinung, daß die Trabantkühlung, äh die Wartburchkühlung…“ Hier wurde er das erste mal vom Betriebsleiter unterbrochen: „die Wartburgheizung!“ „…also äh, die Wartburchheizung eine volkswirtschaftlich bedeutsame Investition ist, mit der wir den Investitionszielen des Ministeriums und der Erfüllung der Hauptaufjabe ein jroßes Stücke näher kommen“. Er blickte in Richtung des Prototyps und bemerkte: „Also dette soll die Trabantkühlung, äh die Wartburchheizung sinn, is det Schwarze – er meinte sicherlich das „Jehäuse“ – aus Plaste?“
Nun muß man dem geneigten Leser aus dem wilden Westen sicher noch erklären, welches die „Hauptaufjabe“ war. Auf dem 8. Parteitag der SED 1971 wurde die Hauptaufgabe des sozialistischen Aufbaus definiert als „Erhöhung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus des Volkes auf der Grundlage eines hohen Entwicklungstempos der sozialistischen Produktion, der Erhöhung der Effektivität, des wissenschaftlichen Fortschritts und des Wachstums der Arbeitsproduktivität“. „Aus jeder Mark, jeder Stunde Arbeitszeit, jedem Gramm Material einen größeren Nutzeffekt!“, war die erklärende Parole für das begriffsstutzige und aufsässige Volk.
Nach diesem Ausflug ins Berliner Reich der Wünsche, Phrasen und Sprachregelungen zurück nach Kirchberg. Nun wurde dem Sparkommissar umständlich erläutert, auf Grund welcher Materialeinsatzbestimmungen das Gehäuse nicht aus Metall, sondern aus Plastik hergestellt werden sollte. Nach diesem Abschweif wandte er sich der Bauinvestition zu und besah flüchtig die Pläne und die Baukostenzusammenstellung. Abschließend faßte er sein Prüfungsergebnis zusammen: „Äh, also Jenossen, icke habe die Investition jeprüft und muß feststellen, daß alle Normative für den Neubau der Trabantkühlung äh Heizung injehalten“ Hier unterbrach ihn wieder der Betriebsleiter: „der Wartburgheizung!“ „also äh, der Wartburchheizung injehalten wurden. Aber Jenossen, ich schlare vor, die Innzäunung für die Fertijungshalle später innzuordnen“.
Selbstredend fand ich es unpassend und beleidigend, daß er alle als Genossen ansprach. Selbst den sächsischen Genossen war leicht unwohl, mit diesem Berliner Exemplar verbal verhausschweint zu werden. Wir haben hier ein klassisches Beispiel, welchen Nutzen staatliche Eingriffe in die Technik bringen und welchen niedrigen Bildungsstand Politiker haben. Die dirigistische Herangehensweise war im Stalinismus auch nicht kultivierter, als heute bei den Abgasvorgaben der EU. Nur daß den Brüsseler Bürokraten der Untergang noch bevorsteht.
Nun hatte der Kommissar also tatsächlich den Zaun gespart, die Investition war gerettet, aber wofür er gespart hatte, blieb ihm bis zum Schluß verborgen. Im letzten Satz verhaspelte er sich noch einmal und faselte von der „Wartburchkühlung“. „Wartburgheizung!“ rief der Betriebsleiter genervt dazwischen.
Es dauerte etwa zwei Jahre und der Motor wurde doch noch längs eingebaut. Ein Wartburg war nachts heimlich nach Wolfsburg gebracht worden und dort fanden die Konstrukteure eine Lösung. Und die Fahrzeugheizung mußte wieder angepaßt werden. Als der Motor richtig rum im Wartburg steckte, schlug die Stunde der deutschen Einheit und fast niemand wollte das Museumsfahrzeug haben. Am 10. April 1991 rollte der letzte Wartburg 1.3 vom Band.
Zur DDR-Volkswirtschaft gab es in den 80ern eine Anekdote. Eine japanische Delegation hatte die DDR besucht und wurde zum Schluß gefragt, was ihr am besten gefallen hat. „Am schönsten waren die Museen: Pergamon, Robotron und Pentacon!“
Hieß die Firma nicht Pentacon?
Ja, Pentacon in Dresden.
Gut aufgepaßt! Danke!