Auf meiner Ranch bin ich König
Die Reichsbürger reagieren auf die erodierende Legitimität des Staates. Seine eigentlichen Aufgaben – Verteidigung nach außen und innen sowie die Rechtspflege – nimmt er seit Jahrzehnten nicht mehr ordentlich wahr. Da liegt der biedermeierliche Rückzug ins Private auf der Hand. Er betrifft nicht nur die Reichsbürgerszene, sondern breite Schichten der Gesellschaft. Die Nichtwähler, die GEZ-Verweigerer, ein guter Teil der Hartzer, die Punker, die Antifa, die Gothen und Emos, die ethnischen Parallelgesellschaften. Viele basteln an ihrer eigenen kleinen Welt. Daß dieser Rückzug nun immer bizarrere Formen annimmt ist eine Spiegelung der verkorksten Politik der letzten Jahrzehnte, insbesondere der Minderheitenvergötzung. Auf ihrer kleinen Ranch wollen nun immer mehr Leute König sein.
Das Reichsbürgertum hat viele Ausdrucksformen, eine ist die Vorstellung des Fehlens einer politischen Führung. Statt dessen sei die Republik 1990 zu einer Finanz-GmbH mutiert.
Ohne Vorgeschichte ist das nicht erklärbar. Etwa hundert Jahre – unter ständig wechselnden Fahnen des Kaiserreichs, der Weimarer Republik, des Dritten Reichs, der DDR und der Bundesrepublik – wurde den Leuten eingeimpft, daß das Kapital bestimmt, was in Deutschland gemacht wird. Die Politik hätte nichts zu sagen, nur die Konzerne würden bestimmen, wo es langgeht. Für Politiker und Medien ist diese Art von Verschwörungstheorie sehr bequem. Man kann alle Verantwortung an die Wirtschaft wegschieben und immer mehr Macht anhäufen, weil Teile der Wähler glauben, daß die Politiker wie gefährdete Arten vor dem gewerblich-technischen Sektor geschützt werden müßten.
Wenn man sich das Personal in den DAX-Vorständen ansieht, kommen einem Zweifel am Einfluß der Wirtschaft auf die Politik. Schon seit Jahren lassen sich die Vorstände der beiden Energiekonzerne RWE und E.ON von den Medien und der Politik ihr solides Geschäftsmodell widerspruchslos ruinieren. Erst kamen die Kernkraftwerke unter die Räder, nun werden die restlichen Grundlastkraftwerke von Zeitungsfritzen und hörigen Politikern in Frage gestellt. Auch die Netzbetreiber werden nur gegängelt. Genauso wird der Versicherungssektor am Nasenring durch die Arena geschleift. Die Allianz – im wesentlichen ein Versicherungskonzern – wird durch die Niedrigzinspolitik und die politische Verpflichtung Staatsanleihen zu halten vorsätzlich geschädigt. Die Vorstände von den drei deutschen Autobauern sehen tatenlos zu, wie der deutsche Motorenbau als Kern der Wertschöpfung von grünen Spinnern diskreditiert und unter dem Vorwand von Feinstaub, einer Stickstoffverbindung und CO2 ruiniert wird. Bosch ist bereits mit in den Strudel der Softwareprobleme von VW geraten, andere Zulieferer werden folgen. Der Südzucker-Vorstand sieht der zuckerfeindlichen Hetze der Medien und von Frau Künast tatenlos zu.
Das Gespenst der Geheimen Weltregierung durch Großkonzerne geht um. Der Kabarettist Olaf Schubert zählt um diese Verschwörungstheorie durch den Kakao zu ziehen, auch die Firma Fliesen-Kießling zu den Mächtigen der Welt. Nur die Investmentbanker können sich die Macht mit den Politikern wirklich teilen, weil sie die Staatsschulden verwalten. Und die Medienkonzerne halten die Politiker regelrecht in der Furcht. Morgens schauen die Politiker ängstlich, wie sie am Vortag beurteilt worden sind.
Obwohl alle Fakten dagegen sprechen, wird das Märchen von der mächtigen Wirtschaft nach wie vor verbreitet und von Vielen auch geglaubt. Darunter auch von den Reichsbürgern. Sie behaupten, die Bundesrepublik gäbe es gar nicht und sie wäre wenn überhaupt eine GmbH, also letztlich ein Wirtschaftsunternehmen aus dem Finanzsektor. Hier ein Beispiel von der Seite „Wahrheiten.org“:
Die BRD – ein Unternehmen mit beschränkter Haftung?
Im Impressum der Bundesrepublik Deutschland – Finanzagentur GmbH steht folgendes:
Die „Bundesrepublik Deutschland – Finanzagentur GmbH“ ist ein Ende 2000 gegründetes Unternehmen des Bundes mit Sitz in Frankfurt/Main. Alleiniger Gesellschafter ist die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesministerium der Finanzen.
Die „Bundesrepublik Deutschland – Finanzagentur GmbH“ ist bei ihren Geld- und Kapitalmarktgeschäften nur und ausschließlich im Namen und für Rechnung der Bundesrepublik Deutschland oder ihrer Sondervermögen tätig.
[…] Die „Bundesrepublik Deutschland – Finanzagentur GmbH“ ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung und im Handelsregister des Amtsgerichts Frankfurt/Main unter der Nummer HRB 51411 eingetragen.
Ende 2000 soll die GmbH also gegründet worden sein? Schaut man sich den Handelsregisterauszug an, steht dort aber ein ganz anderes Datum, nämlich „Gesellschaftsvertrag vom 29.08.1990“. So ein Zufall, in genau diesem Jahr fand auch die „Wiedervereinigung“ statt.
So eine abseitige Verschwörungstheorie, die den Staat als Finanzagentur begreift, gedeiht nur auf dem Humus der Theorien von der bösen Wirtschaft und dem allmächtigen Monopolkapital. Die Stamokap-Einpeitscher vom linken Flügel der SPD und die Volksverblödungsministerin Honecker, vorher die Herren von der NSDAP und von den Wandervögeln haben jahrzehntelang Vorurteile gezüchtet, die in der Gegenwart seltsame Blüten treiben.
Im Programm der Linken heißt es „Der Kapitalismus von heute ist räumlich und zeitlich entgrenzt, er hat sich die ganze Welt untertan gemacht.“ Im SPD-Programm: „Die wirtschaftliche Macht konzentriert sich in global agierenden Unternehmen, Banken und Fonds.“
Das muß man mal mit den letzten Nachrichten abgleichen. VW und die Deutsche Bank werden in Amerika von staatlichen Institutionen wie Umweltbehörden und Gerichten gerade zur Schnecke gemacht. Wo konzentriert sich da wirtschaftliche Macht? Der Ausflug von Mercedes-Benz nach Amerika ist grandios gescheitert. Daimler-Crysler wurde rückabgewickelt. Der Internetriese Facebook muß sich in Deutschland gerade kleinlichen Zensurwünschen eines saarländischen Provinzlers unterwerfen. Die irische Regierung hatte Apple mit Steuerprivilegien auf die grüne Insel gelockt und nach Jahren will die EU die Zusagen der irischen Finanzverwaltung widerrufen. Haben die Kommunisten und Sozialdemokraten nicht eine total gestörte Wahrnehmung? Und die CDU? Wer zwang Frau Dr. Merkel die Großbanken zu retten? Da war Druck aus Washington und Paris dahinter.
Die Nachrichten zu VW, zur Deutschen Bank, zu Facebook und Apple belegen, daß internationale Großkonzerne von der Politik wie Wurfpuppen herumgeschleudert werden. Das hindert die Reichsbürger nicht an die Deutschland-Finanz-GmbH zu glauben.
Wenn der König von Deutschland (der sich von anderen angeblich rückwärtsgewandeten Reichsbürgern ausdrücklich distanziert) auftritt wird es oft skurril. Eine Szene vor Gericht: „Sie heißen Peter Fitzek, Wohnhaft in Wittenberg? „Ich wohne am Petersplatz 1, im Königreich Deutschland“, antwortet Fitzek. „Und ich heiße nicht Fitzek.“ Er ist „Oberster Souverän“ in seinem Königreich Deutschland. Peter, der Erste.
Wenn König Peter der Erste sein Lügen-Spieglein befragt:
„Spieglein, Spieglein an der Wand
Wer ist der Mächtigste im ganzen Land?“
So antwortet das:
„Herr König, ihr seid der Stärkste hier,
nur das Kapital hinter den sieben Bergen
bei den DAX-Vorstands-Zwergen
ist noch tausendmal stärker als ihr!“
Das Thema „Reichsbürger“ wird m.E. derzeit sehr ambivalent diskutiert.
Ok – Waffengewalt duldet keine Gnade, egal ob Derjenige Reichsbürger oder Ausländerbeauftragter ist. Die Verknüpfung Reichsbürger – AfD ist ein Reflex unserer dummen und geschichtslosen Journalistenkaste. Das Bayerns Innenminister Zimmermann jeden Reichsbürger aus dem öffentlichen Dienst entfernen will ist nur konsequent. Man kann sich nicht den derzeitigen Strukturen verweigern, aber deren Vorteile genießen wollen.
Soweit, sogut.
Gewundert haben mich allerdings die vermeintlichen Antworten in diversen Medien auf die sogenannten „Irrtümer“ der Reichsbürger. Gut – manche sind wirklich skurril, andere jedoch entbehren nicht einer gewissen Logik.
1. Das Deutsche Reich besteht fort und heißt eben nur Bundesrepublik in den Grenzen von 1990 (laut BVG). Komisch nur, dass das vor 1990 auch die Bundesrepublik war, nur eben kleiner. Mal so, mal so. Zumindest die Alliierten müssten das wissen – alle 4, nicht nur die westlichen.
2. Deutschland ist nicht souverän. Eine Weisheit, die führende Politiker deutlich, aber am Rande erklöärt haben (u.a. bei Youtube nachhör und -sehbar), Schäuble auf dem Podium einer Sicherheitskonferenz, Verheugen in einem Interview, Gysi im ZDF-Sommerinterview u.a.
Man kann einen Kriegszustand nicht mit einem „Anstelle-von-Vertrag“ beenden. Das notwendige Ding heißt Friedensvertrag lt. geltendem Völkerrecht. Die UNO-Feinstaatenklausel gilt weiterhin. Niemand kann sich vorstellen, dass ein solch existenzielles Papier einfach nur vergessen wurde zu annullieren.
3. Deutschland ist nachwievor erpressbar mit Reparationsforderungen (sh. Griechenland oder Italien).
4. Die Einzigen der Alliierten, die sich an Vereinbarungen gehalten haben sind die Russen, die Deutschland 1994 verlassen haben. Unsere amerikanischen Freunde haben nachwievor den besten NASA-Klebstoff an ihren Stiefeln.
Herr Prabel – da Sie so wie ich russische Anekdoten oder Anekdoten über Russen lieben:
Was ist der Unterschied zwischen den Grünen und den Russen in Deutschland?
Richtig – die Russen sind wir los……
Alle Staaten, die keine Kernwaffen haben sind nicht souverän.
Diese ganze Kritik halte ich im Ansatz für falsch.
Die Reichsbürger sind nur das deutsche Gegenstück zu einer proletarisch-kleinbürgerlichen Bewegung von Leuten, die die Legitimität ihrer Staaten nicht mehr anerkennen, weil diese Staaten eben tatsächlich keine Begründung für ihre Legitmiität vorweisen können, außer ihrer faktischen Macht.
In den USA ist diese Bewegung viel verbreiteter als hier, und dort beruft sie sich ebenfalls auf das Fortgelten historischer Regeln (die aber ganz andere sind und aus der frühen Siedlerperiode stammen), die der heutige Staat nicht mehr anerkennen will. In analoger Weise beziehen sich die hesigen „Reichsbürger“ eben auch auf die hiesige Vergangenheit, was ihnen oberflächlich eine andere Färbung gibt, und dahin gehören auch die antikapitalistischen Tendenzen. Das betrifft aber nicht die emotionale Grundlage der Bewegung, die überall die gleiche ist.
Die Schwäche einer solchen proletarisch-kleinbürgerlichen Bewegung ist natürlich, dass sie Staatsmacht ganz anschaulich als Verfügungsgewalt über Gewehre usw. auffasst – die Leute machen sich daher von der tatsächlichen Macht des Staates gar keinen rechten Begriff und sind ihm hoffnungslos unterlegen. Dass sie ihre Unterlegenheit nicht sehen, sondern immer wieder gegen den Staat anrennen, verleiht ihnen allerdings auch wieder eine Art Würde und auch ein Stück Stärke (verglichen mit der einsichtigeren und daher unterwürfigeren-würdeloseren oberen Mittelschicht).
Der Gedanke, dass der reale Staat sich nur durch seine brutale Existenz legitimiert und durch nichts sonst, dass es an ihm nichts zu idealisieren gibt, ist im antiken Christentum (und heute vor allem im täuferischen Christentum) festgehalten und geläutert worden. Und man muss hoffen, dass alle diese Bewegungen in eine Revitalisierung des ursprünglichen staatsfernen Christentums münden.
Was auch immer die Reichsbürger von ihren Ideen und Vorstellungen her sein mögen, ob idealistische Schwärmer oder konsequente Ablehner der heutigen Gesellschaft und Herrschaft, sie sind letztlich keinerlei tatsächliche Gefahr für den Staat. Sie werden aber dennoch als Ventil und Anlaß genutzt, so wie die Rechten auch, um die Bürger insgesamt einzuschüchtern und staatliche Macht und Stärke zu demonstrieren. Das Ganze frei nach dem bekannten Motto, bestrafe Einen, erziehe Hundert!
zum thema „minderheitenvergötzung“ kann ich das buch „der grüne kommunismus“ von dem ehemaligen AfD Politiker Wolfgang Gedeon sehr empfehlen. Und zwar ganz unabhängig davon, was man sonst von ihm hält. Seine religionskritik mag sehr unglücklich sein und ob man in seinen thesen antisemitismus erkennen mag oder nicht, sei dahingestellt. aber das thema mit der minderheitenvergötzung hat er m.E. sehr treffend auf den Punkt gebracht. Von daher gehe ich auch d’accord mit seiner These, nur wer dies als Grundproblem erkenne, könne an der Politik grundlegend etwas ändern. Wer dies nicht erkenne, könne letztlich nur „Eintagsfliegenpolitik“ betreiben.