Warum Martin Schulz kein Nazi ist
Kein deutscher Politiker ist von Ausländern so oft als Nazi beschimpft worden wie Martin Schulz. Grund genug den Anschuldigungen mal auf den Grund zu gehen.
Martin Schulz hat das Pech, einer ausländerfeindlichen Pöbelpartei anzugehören, die ihr nicht genehme Länder und deren Politiker in den Jahren nach 2000 scharf anging. Wer erinnert sich nicht an die Kavallerie gegen die friedliche Schweiz? Österreich wurde während der Amtszeit von Bundeskanzler Schüssel angegangen, Polen während der Präsidentschaft von Lech Aleksander Kaczyński. Auch Ungarn, Tschechien, Dänemark, die Niederlande bekamen wegen nicht genehmen Regierungen oder wegen nicht auf SPD-Linie liegenden Präsidenten ihr Fett weg. Und der italienische Oppositionsführer Beppe Grillo wurde von der SPD als Clown bezeichnet.
Nach einer endlos langen Anti-Berlusconi-Tirade von Martin Schulz im Europäischen Parlament am 2. Juli 2003 verglich der damalige italienische Premierminister Silvio Berlusconi den EU-Parlamentspräsidenten mit einem KZ-Aufseher. «Signor Schulz, so che in Italia c’è un produttore che sta montando un film sui campi di concentramento nazisti: la suggerirò per il ruolo di kapò. Lei è perfetto!» (Herr Schulz, in Italien gibt es einen Produzenten, der einen Film über nazistischen Konzentrationslager dreht. Sie empfehlen sich für die Rolle des Kapo. Sie sind perfekt!).
Auch die italienische Opposition kann nicht mit Martin Schulz. Am 12.5.2014 berichtete der Focus, daß der italienische Oppositionspolitiker Beppe Grillo im EU-Präsidentschaftswahlkampf eine Karikatur auf seinem Blog veröffentlichte, die Schulz als Nazi mit Peitsche zeigte. Grillo, der des Öfteren mit scharfen Attacken auf Berlusconi auf sich aufmerksam gemacht hatte, schrieb in einem Eintrag auf seinem Internet-Blog der 5 Sterne, der damalige italienische Ministerpräsident habe nicht „völlig falsch“ gelegen, als er Schulz 2003 als „Kapo“ bezeichnet – und damit mit einem KZ-Wächter verglichen – habe.
2010 gab es einen weiteren Schulz-Nazi-Vergleich. Am 24. November berichtete die Alpenprawda SZ, daß der britische Europa-Abgeordnete Godfrey Bloom für einen Eklat gesorgt hätte. Der 61-Jährige von der europafeindlichen Partei UKIP störte eine Rede des SPD-Abgeordneten Schulz mit dem nationalsozialistischen Propaganda-Slogan „Ein Volk, ein Reich, ein Führer“.
Und nun gibt es in der Türkei Nazi-Vorwürfe gegen Schulz. Am 25.4.2016 berichtete die Rheinpfalz über eine chaotische Politikshow im zwangsfinanzierten deutschen Staatsfernsehen. Der Politiker Mustafa Yeneroglu, Regierungsabgeordneter der Nationalversammlung der Türkei und in Köln aufgewachsen, verlangte Respekt vor seinem Land. Es gehe bei der Böhmermann-Sache nicht um Meinungsfreiheit, sondern um gröbste Beleidigungen. „Herr Schulz, wenn jemanden ihnen unterstellen würde, pädophil zu sein und besondere Beziehungen zu Ziegen zu pflegen, dann darf man nicht mit Meinungsfreiheit kommen“, sagte er an den EU-Parlamentspräsidenten gewandt.
Am 5.5. 2016 berichtete der Türkei-Korespondent der „Welt“ Deniz Yücel über die Entmachtung des anatolischen Ministerpräsidenten Davotoglu: „Unter den 27 konkreten Anklagepunkten findet sich der Vorwurf, Davutoglu habe nicht widersprochen, als der EU-Parlamentspräsident Martin Schulz Erdogan wegen dessen Reaktion auf die „ekelhaften Beleidigungen im einem Videoclip“ – gemeint: die Erdogan-Satire von Extra 3 – kritisiert habe. Schulz habe Davutoglu als seinen Gesprächspartner bezeichnet, was Erdogan als „Operation der deutschen Schule gegen die Türkei“ gedeutet habe. Doch Davutoglu habe den Präsidenten im Stich gelassen, als es galt, „diesen Naziverschnitt“ zurechtzuweisen.“
Angesichts der zahlreichen Hitler- und Nazi-Vergleiche ist es erforderlich, die Außenpolitik des Deutschen Reiches zwischen 1933 und 1940 zu beleuchten und mit der SPD-Politik zu vergleichen. Die NSDAP und deren Repräsentanten hüteten sich in der Regel davor, andere Staaten und deren Politiker zu diffamieren und zu beleidigen. Sie wurden mit Friedensparolen und Nichtangriffspakten eingelullt, bis sie relativ überraschend angegriffen wurden.
Diese Strategie und Taktik ist Martin Schulz und seinen Genossen fremd. Sie belehrmeistern und beckmessern bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit halb Europa. Die SPD erinnert deshalb eher an Kaiser Wilhelm, der mit seinen undiplomatischen Äußerungen oft unglücklich in die Außenpolitik des Reiches eingriff. Der bekannteste Mißgriff gipfelte in der Bülow-Affäre, auch Daily Telegraph-Affäre genannt, im Jahr 1908.
Der Kronprinz resumierte nach dem verlorenen Weltkrieg: „Als ich, bald nach jener Zeit der Arbeit im Reichsmarineamt, mehr und mehr auch in die Probleme der äußeren Politik des Reiches eindrang, fand ich immer wieder die von mir schon auf meinen Reisen beobachtete Tatsache bestätigt, dass unser Vaterland in der ganzen Welt wenig beliebt, vielfach geradezu verhaßt war. Abgesehen von der uns verbündeten Donaumonarchie, und etwa von den Schweden, Spaniern, Türken, Argentiniern mochte uns eigentlich niemand recht leiden. (…) Das offenbar herausfordernde, laute Auftreten, das alle Welt bevormundende, fortwährend belehren wollende Gebaren mancher Deutschen im Auslande fiel den anderen Nationen auf die Nerven.“
Statt einer Darstellung von Martin Schulz in SS-Uniform wäre also eine Karikatur mit Pickelhaube, Monokel und Moralkeule treffender. Denn die SPD-Außenpolitik steht mehr in der Tradition des Kaiserreichs.
Für die SPD gibt es übrigens zwei Varianten der Rettung. Die realistische: Marsmenschen landen und übernehmen die Parteiführung. Die phantastische: Die SPD wählt selber einen brauchbaren Vorstand.