Die Fernsehräte rechtfertigen sich
„Wer sich verteidigt, klagt sich an“, pflegte mein Vater mir gelegentlich klarzumachen. Die ZDF-Fernsehräte beginnen sich zu verteidigen und klagen sich damit an.
CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer zeigt sich bestürzt über die Eskalation im Fall Böhmermann. „Das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Die Auswirkungen der Diskussion zeigen sich in der Absage der Sendung und im Personenschutz für Jan Böhmermann – dass dies notwendig geworden ist, ist in einer freien Gesellschaft unerträglich“, sagt Scheuer der „Welt“. „Der aktuelle Fall Böhmermann zeigt, dass Erdogan nicht nur Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei mit Füßen tritt, sondern auch Europa seine Vorstellungen aufzwingen will“, sagt Scheuer. „Hier dürfen wir nicht nachgeben.“ Man müsse den Stil von Böhmermann nicht gutheißen. „Aber dass es solche Satire gibt, gehört zum aufgeklärten Europa. Punkt.“
So berichtete es gestern die „WELT“. Und sie hatte noch weitere Politikerstatements auf der Pfanne: „Ist ein Witz, dass #Erdogan in Deutschland die Mittel des Rechtsstaats gegen #Böhmermann nutzt, die er in der Türkei mit Füßen tritt…CL“ (Mit CL verschlüsselt sich Christian Lindner von der FDP).
Der SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sprach sich für die Streichung des derzeit vieldiskutierten Paragrafen 103 des Strafgesetzbuchs aus. Die Strafrechtsvorschrift, die die Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter ahndet, gehe zurück auf die Majestätsbeleidigung, sagte Oppermann in Berlin. „Das ist eine antiquierte Vorschrift. Die passt nicht mehr in unsere Zeit“, ergänzt er.
Drei Insiderkommentare waren das. Warum? – Weil alle drei im ZDF-Rundfunkrat sitzen. Sie tragen die Verantwortung dafür, daß die Grenzen des satirischen Spielfelds überschritten worden sind. Sie tragen auch die Verantwortung, daß das ZDF quasi ein Staatssender ist.
Der ZDF-Fernsehrat ist alles andere als ein Querschnitt der fernsehenden Bevölkerung, wacht aber über das Programm. Dieser Fernsehrat hat die Aufgabe, für die Sendungen des ZDF Richtlinien aufzustellen und den Intendanten in Programmfragen zu beraten. Er hat 77 Mitglieder. Davon sind 19 Mitglieder der CDU/CSU. 12 gehören der SPD an, 3 der FDP, eins der Linken und drei den Grünen. Insgesamt haben 51 % der Räte ein Parteibuch. Von der Bevölkerung gehören zum Vergleich knapp 2 % Parteien an.
Noch skandalöser ist die Entsendung von Lobbyisten. Das sind in diesem Fall wirtschaftliche Nutznießer der Auftragsvergabe bei Film- und Fernsehproduktionen. Mindestens drei Mitglieder des Fernsehrats leben direkt von der Filmförderung. Weitere acht sind klar dem Medienbereich zuzuordnen und vertreten auch wirtschaftliche Eigeninteressen, die mit Zuschauerinteressen nie identisch sein können. Insgesamt sind das 11 Medienvertreter = 15 % der Räte. Da sind Landesmedienvertreter noch nicht mitgezählt.
Über die Verbandsvertreter im Rat kann man sich trefflich streiten. Fast die Hälfte der Leute, die ich kenne, gehören keiner der folgenden Organisationen an: Kirchen und Zentralrat der Juden, Gewerkschaft und Arbeitgeberverband, Handwerks-, Landwirtschafts- und Handelsverband. BUND und Nabu, Vertriebenenbund und Opfer des Stalinismus, kommunale Spitzenverbände und Olympischer Sportbund. Die Verbandsvertreter werden auf Vorschlag der dort bezeichneten Verbände und Organisationen durch die Ministerpräsidenten berufen. Die Verbände und Organisationen haben in ihre Vorschläge die dreifache Zahl der auf sie entfallenden Vertreter aufzunehmen. Das heißt, die Ministerpräsidenten können sich genehme Günstlinge aus den Vorschlagslisten herausklauben.
Solange das ZDF mit Zwangsgebühren finanziert wird, sollte eigentlich der Bund der Steuerzahler die Fernsehräte entsenden.
Von einer Staatsferne der Mitglieder des Fernsehrats kann überhaupt keine Rede sein. Wenn der Türkenpräsident sich über Verunglimpfung durch das zwangsfinanzierte deutsche Staatsfernsehen beschwert, hat er also Recht.
Die deutschen Medien lassen nun Mitglieder des Fernsehrats Kommentare zu Böhmermann abgeben, und das hat ein Geschmäckle. Die WELT hat beispielsweise „vergessen“ zu erwähnen, daß Scheuer, Oppermann und Lindner Insider sind, die über ihre Kommentierung nur die eigene Haut retten wollen, oder was davon noch übrig ist.
Wenn die wütenden Türken in der Hitze des Gefechts mal zwei Minuten kühl nachdenken würden, würden wahrscheinlich alle Mitglieder des Fernsehrats Personenschutz benötigen, und nicht nur Böhmermann. Was soll das den Steuerzahler kosten? Alleine ein Rund-um-die-Uhr-Schutz für den mißratenen Kabarettisten und seine Familie kostet ab 40.000 € im Monat. Böhmermann sollte seine Personenschützer selbst bezahlen. Reich genug ist er ja, wenn er für das ZDF arbeitet.
Es wird Zeit, ARD und ZDF zu privatisieren. Dann kann jeder wildgewordene „Intellektuelle“ dort nach Herzenslust provozieren, ohne daß eine Staatsaffäre entsteht.
Ihr letzter Absatz ist die Kernaussage Ihres Aufsatzes.
Hinzuzufügen ist: Meinungsfreiheit im GG ohne Einschränkung, statt diesem Schaumstoffbegriff Menschenwürde. Was man darunter auch immer verstehen mag. Etwas konkreter umd damit enger fassend hätte es schon sein dürfen. Dass dass ging sieht man ja u. a. am Artikel 5. Aber so sind wir. Haben große Probleme uns von alten Dingen zu trennen, auch dann, wenn sie definitiv überflüssig sind.
Der Deutsche Fernsehfunk wird kaum durch akademische Feinheiten verbessert werden, sondern mit dem Staat zusammenbrechen. Ich bedaure es, aber die Uhr für zivilisierte Reformen scheint abgelaufen. Déjà-vu 89.