Das Gespenst von Weimar – Teil 2
Gestern hatten wir die Medienlandschaft der heutigen Berliner Republik mit der Weimarer Republik verglichen und festgestellt, daß der heutige Bürger sich vielgestaltiger und ausgewogener informieren kann, als sein Urgroßvater oder seine Uroma in den goldenen zwanziger Jahren. Das Internet hat Information demokratisiert. Heute vergleichen wir mal die Wirtschaft.
Im Ersten Weltkrieg hatte sich eine gelenkte Planwirtschaft mit staatlichen Verbandsstrukturen etabliert. Diese Zentralverwaltungswirtschaft blieb der Weimarer Republik erhalten und zahlreiche Kriegswirtschaftsgesellschaften wurden nicht aufgelöst, sondern nur umbenannt. Im März 1919 wurde das Kohlenwirtschaftsgesetz erlassen und der Reichskohlenverband gegründet. Auf Millionen Flugblättern wurde den Massen suggeriert: „Die Sozialisierung ist da! Das Kohlensyndikat wird sofort sozialisiert.“ Im „Handbuch für die Wähler der USPD“ zur Reichstagswahl 1920 war vermerkt, daß das Kohlenwirtschaftsgesetz „an Stelle der früheren schrankenlosen Privatwirtschaft die deutsche Gemeinwirtschaft“ begründen sollte.“
Parallel wurde die Planwirtschaft in der Kaliindustrie zementiert. Am 24.4.1919 wurde das Gesetz über die Regelung der Kaliwirtschaft erlassen, ein Reichskalirat entstand nach dem Muster des Reichskohlenverbands.
Am 1.4.1920 wurde der Eisenwirtschaftsverband von der Reichsregierung ins Leben gerufen. Seine Aufgaben waren die Sicherstellung des dringenden Eisenbedarfs, die Festsetzung und Regelung der Inlandspreise, die Regelung der Ein- und Ausfuhr von Eisen und Stahl sowie die Regelung des Schrotthandels. Die Befugnisse des Reichswirtschaftsministeriums umfaßten die Genehmigung der Geschäftsordnung, das Ablieferungssoll, die Enteignung von Erzeugnissen, Bestandsaufnahmen, Durchsuchungen, Beschlagnahmen, die Festsetzung von Ausfuhrkontingenten und die Erlangung von Auskünften von Beteiligten. Gefängnisstrafen bis zu einem Jahr und Geldstrafen bis 500.000,- Mark konnten verhängt werden, wenn gegen Vorschriften des Reichswirtschaftsministeriums verstoßen wurde.
Der Wirtschaftsverband für Rohteer und Teererzeugnisse sowie der Schwefelsäureausschuß folgten. 1925 wurden der Halbzeugverband, der Röhrenverband, der Walzdrahtverband, der Grobblechverband, der Stahleisenverband und andere Syndikate neu formiert.
Wie in der Industrie herrschten im Handwerk mittelalterliche Korporationen. 1926 gehörten den Innungen eine Million Meister an, das waren 75 %. Im Vergleich mit 1913 hatte sich die Zahl der Innungsmitglieder verdoppelt, selbst gegenüber 1919 war sie um 300.000 angewachsen. Etwa 800.000 Meister waren Mitglieder von Zwangsinnungen, 200.000 von freiwilligen Innungen.
Im Dezember 1919 wurden die Außenhandelsstellen geschaffen. Im September 1923 wurde ein Kommissar für Devisenerfassung ernannt. Devisenzwangswirtschaft gab es vom Beginn der Weimarer Republik bis zum November 1924 und ab dem 15.7.1931.
Mit dem Beginn der Weltwirtschaftskrise wurde am 17.7.1930 das Brotgesetz erlassen. Die Reichsgetreidestelle ließ Hunderttausende Tonnen Roggen aufkaufen. Um den Roggen als Futtermittel wieder loszuwerden wurden die Zölle auf Mais und Gerste auf schwindelnde Höhen getrieben. Nachdem man weiter auf dem Roggen sitzen blieb, wurde der staatliche Verwendungszwang von Roggen bei der Brotherstellung eingeführt. Bereits am 4. Juli 1929 waren die Mühlen verpflichtet worden, nur deutschen Weizen auszumahlen. Um den Zuckerpreis hoch zu halten wurde die deutsche Zuckerindustrie zwangskartelliert und die „Wirtschaftliche Vereinigung der deutschen Zuckerindustrie“ geschaffen. Der mit staatlichen Zwangsmaßnahmen künstlich erhöhte Zuckerpreis führte zu Absatzschwierigkeiten, die den Abbau des Zuckerberges verzögerten.
Am 26. März 1930 wurde das Reichsmaisgesetz erlassen, der neu geschaffenen Reichsmaisstelle mußte ab dem 1. April 1930 der gesamte importierte Mais angeboten werden. Zahlreiche Verordnungen für die Verwendung von bestimmten Produkten folgten: der Beikirnungszwang für Margarine, der Beimälzungszwang für Brauereien, der Beizellungszwang für Papierfabriken, der Holzbeischliffzwang bei der Zelluloseherstellung, der Beischmelzzwang für Eisenerz sind Beispiele für die Entfaltung der Zwangswirtschaft. Weitere Marterwerkzeuge aus der Folterkammer der Kriegswirtschaft waren die bis zum 19. Juli 1926 geltende Preistreibereiverordnung und die Preisprüfungsstellen. 1931 wurde bereits wieder ein Preiskommissar berufen. Er wurde mit erheblichen Vollmachten ausgestattet, bis zur Möglichkeit der Betriebsschließung.
Als die Bankenkrise ausbrach und die Danatbank zahlungsunfähig wurde, verfügte die Reichsregierung Anfang 1932 kurzerhand Bankenzusammenschlüsse: Die Danat-Bank und Dresdner Bank einerseits und die Commerz- und Privat-Bank und der Barmer Bank-Verein Hinsberg, Fischer & Co. in Düsseldorf andererseits mussten miteinander fusionieren.
Viele Wirtschaftswissenschaftler der Weimarer Zeit, hier wären exemplarisch der Sozialdemokrat Rudolf Hilferding und Joseph A. Schumpeter zu nennen, machten sich über den Charakter der wirtschaftlichen Zwangvereinigungen etwas vor. Die Frage, die es zu lösen galt war: Waren diese Wirtschaftsvereinigungen, die durch staatlichen Druck zustandegekommen waren, dennoch freiwillige privatwirtschaftliche Zusammenschlüsse mit überwiegend privatwirtschaftlichem, individualistischem und damit kapitalistischem Charakter, oder waren es privatwirtschaftliche Monstren mit staatlichen Abhängigkeiten und überwiegend planwirtschaftlichem Charakter?
Es war ein deutscher Sonderweg des Wirtschaftens: Wenn gerade einmal keine Preiskontrollen durchgeführt wurden (nur 4 Jahre von Juli 1926 bis Juli 1930) gab es bei der Preisbildung schon das Gesetz von Angebot und Nachfrage. Die längste Zeit wurden jedoch die Produktionsmenge und die Preise gesteuert. Der Außenhandel war praktisch ein staatliches Monopol, das nur zeitweilig gelockert wurde. Devisenzwangswirtschaft gab es bis Ende 1924 und ab dem Juli 1931 wieder. Fast alle staatlichen Eingriffe verbargen sich hinter der Fassade der Selbstverwaltung der Wirtschaft. Die Machtfülle der Wirtschaftsverbände gegenüber den Einzelunternehmungen erinnert an die Allmacht der Zünfte gegenüber den Meistern, die detaillistische Reglementierung gleicht auch der bei den Zünften. Einige Kartellverwaltungen der Weimarer Zeit hatten bis zu 1.000 Mitarbeiter und übertrafen die Zahl der Mitarbeiter in den Verwaltungen der angeschlossenen Betriebe bei weitem.
Der sozialdemokratische Wirtschaftspolitiker Hilferding (1877-1941) räumte den Verlust der kapitalistischen Prinzipien ein, er idealisierte die Möglichkeiten der Planwirtschaft, er diagnostizierte den endgültigen Zugriff des Staats, aber er ahnte seltsamerweise nicht, daß am Schluss weder ein demokratischer noch ein marxistischer Staat, sondern ein Staat mit einem reformistisch begründeten Herrschaftsanspruch zugreifen würde. NSDAP und KPdSU konnten auf den Ergebnissen der sozialdemokratischen Politik der Weimarer Zeit bruchlos aufbauen.
Gegen diese massive Weimarer Zwangswirtschaft sind die Eingriffe der Merkel-Administration in die Wirtschaft Kindergarten. Trotzdem fragt man sich, welche Aktie man heute guten Gewissens noch kaufen kann.
Die Großbanken sind durch staatliche Anweisung mit wertlosen Staatsanleihen vollgepumpt und schwächeln wegen der Nullzinspolitik der EZB. Die Großbetriebe der Energiewirtschaft sind durch die Energiewende am Boden zerstört. Ihr Kraftwerkspark ist durch die Regierung entwertet worden, egal ob es Kernkraft-, Kohle- oder Gaskraftwerke sind, Wasserkraft- und Pumpspeicherwerke kämpfen ums Überleben. Bis vor wenigen Monaten vertrauten die Aktionäre in die Autoindustrie. Es ist das passiert, was viele vorausgesagt haben. Durch nutzlose und überzogene Abgasvorschriften ist sie ruiniert worden. Die runterverkleinerten Motoren haben nicht mehr die Lebensdauer wie ihre Vorgänger. Jetzt muß sich Südzucker fürchten: Fanatiker wollen den Zuckerverbrauch kriminalisieren. Der Chemie- und Grundstoffindustrie wird über die Energiepreise langsam der Hahn zugedreht. Sie wandert aus.
Es gibt keine uneingeschränkte Vertragsfreiheit mehr. In zwei Bundesländern müssen die Discobesitzer jeden Gewalttäter hereinlassen. Firmen müssen bei der Auswahl von Bewerbern Nichtdiskriminierungsregeln beachten. Sicher, das läßt sich umgehen. Wer ist schon so doof und nimmt Bewerber vom Arbeitsamt oder inseriert freie Stellen in der Zeitung?
Die Organisation in Zwangskammern und Zwangsinnungen gibt es immer noch. Sie ist in einigen Branchen sogar rigider, als in der Weimarer Zeit. Vor allem ist die Mitgliedschaft teurer geworden.
Devisenbewirtschaftung gibt es heute nicht. Preistreibereiverordnungen existieren nur noch in der Wohnungswirtschaft. Eine vollkommen staatlich durchorganisierte Wirtschaft mit übergeordneten Kartellbehörden ist sozialistische Geschichte. Was allerdings auffällt: Durch Normungsaktivitäten der EU gibt es bei vielen Produkten wegen hohen Markteintrittsschranken nur noch wenige Hersteller und keine Konkurrenz mehr. Da muß man kein Kartell mehr bilden. Mit wem denn?
Kritisch ist auch anzumerken, daß die Staatsquote von 1930 bis 2015 von rund 30 % auf über 50 % angestiegen ist. Früher lohnte es für die Arbeiter mit dem Kapitalisten über den Lohn zu streiten. Heute streitet sich die Gewerkschaft lieber mit dem Staat, weil der das Geld hat. 1930 waren überwiegend Arbeiter der Privatwirtschaft in Gewerkschaften, heute sind es folglich Beamte und Staatsdiener. Beim Innenminister, bei Rundfunk- oder Theaterintendanten ist mehr zu holen, als bei einem Bau- oder Transportunternehmer.
Trotz aller Mängel in der Wirtschaftsverfassung unserer Berliner Republik bleibt doch das Fazit, daß sich marktwirtschaftliche Inseln in einem bürokratischen Meer erhalten haben. Oder marktwirtschaftliche Pfützen in der bürokratischen Wüste. Das gibt der heutigen Wirtschaft verglichen mit der Weimarer Zeit mehr Kraft.
In der Wirtschaft geht ein Vergleich zwischen der Weimarer und der Berliner Republik 1:0 für Berlin aus. Wenn man allerdings Bonn mit Berlin vergleichen würde, würde wohl die Bonner Zeit als effektiver hervorgehen.
Morgen im dritten Teil der Betrachtung über das Gespenst von Weimar werden wir uns der Kultur widmen.
„Morgen im dritten Teil der Betrachtung über das Gespenst von Weimar werden wir uns der Kultur widmen.“
Dem dunkelsten Kapitel im derzeitigen Deutschland – neben der Bildung!!1
Danke für die wirtschaftsgeschichtlichen Streiflichter aus „Weimar“. Parallelen verkneift man sich wohl besser – wg Hyperdingsbums.
ach, was soll uns das schon groß sagen ?
Es ist doch bekanntt und die Spatzen pfeifen es von den Dächern, dass alle Gesetze, die die Wirtschaft betreffen, nicht in den Ministerien sondern in den Unternehmensberatungen geschrieben. Hier soll uns eingeredet werden, der Staat und nicht die Wirtschaft wäre daran schuld.
Letztendlich ist es dem Kapitalisten egal, wo er sein Geld verdient, egal ob mit Kohle oder Windkraft. Und offensichtlich läuft es mit der Kohle nicht mehr so gut. Also kauft er sich den Staat und macht sich die Gesetze, die Windkraft bevorzugen, und zieht sein Kapital aus der Kohleverstomung zurück. Der Dumme dabei ist der kleine Mann, der seinen Arbeitsplatz im Kraftwerk verliert.
Wie soll es also anders werden, mit einem Staat, den sich der Kapitalist gekauft hat ? Es folgt darauf nur ein Staat, den er sich noch nicht einmal mehr kaufen muss, wie 1933.
„Kapitalismus“ 🙂
Egoismus und Kapitalismus – war schon immer so und wird auch so bleiben; mehr werden. Ganz kleines Kerzenlicht in DE.