Am Beispiel des Arabischen Frühlings war es ja auch keine große Kunst, dessen Scheitern vorauszusagen. Man fragt sich nur, warum dann 80% der Leute und 99% der Mainstreammedien von blühenden Landschaften in der Sahara ausgegangen waren? In diesem Punkt sind wir inzwischen wirklich weiter: Wir haben uns an die Dreistigkeit der Lügen des Mainstreams gewöhnt und haben auch ziemlich konkrete Vorstellungen, wie die Konstrukteure des Chaos dadurch zu dessen Profiteuren zu werden gedachten. Für die betroffene Region müssen wir jedenfalls Wirtschaftseinbrüche, Arbeitslosigkeit, Krieg und vor allem religiöse Unterdrückung in leider auch von Konrad Kustos ungeahntem Ausmaß bilanzieren. Dennoch ziemlich recht gehabt, damals am 15. Januar 2012. Rechthaben kann manchmal richtig wehtun:
Nun haben sie fertiggewählt in Ägypten. Wahlen sind demokratisch, verhindern Alleinherrschaften und haben sich bei uns bestens bewährt. Sie sind einfach toll, weil sie zum Grundkonsens unseres Zusammenlebens gehören. Noch besser sind Wahlen allerdings, wenn bei ihnen auch Demokraten Demokraten wählen. Da sieht es nun in Ägypten, einem der einflussreichsten Länder Arabiens, schon schlechter aus: rund 40% für die offiziell als moderat-islamistisch eingestufte Partei der Muslimbrüder, mehr als 20 Prozent für die radikale Partei des Lichts. Insgesamt eine dramatische Mehrheit islamistischer Kräfte. Da staunen unsere Medien, hatten sie doch seit Monaten den Aufbruch der Araber in eine Zeit der Freiheit bejubelt, und nicht nur in Ägypten geht der Schuss nun nach hinten los.
Symptomatisch, wenn auch nur ein beliebiges Beispiel, für diese realitäts- und verstandsferne Propaganda ist ein Foto im Stern und der beigestellte scheinbar wertfreie Bildtext. Seitenfüllend sind da keulenschwingende, martialisch gekleidete Polizisten und flüchtende Demonstranten zu sehen. Und für die, die nicht fähig sind, sich Bilder anzusehen, erklärt der Text die Lage: „Polizisten zerren eine Demonstrantin über den Asphalt, dabei wird ihr Oberkörper entblößt.“ Das gehört zwar zu einem ganz anderen Bild, aber es hilft, Stimmung aufzubauen. Kein Wunder, so weiter, dass „viele Ägypter“ (wie viele denn?) schon immer gewusst (oder eher geglaubt?) haben, das Militär lüge, wenn es behauptet, „niemals friedliche Demonstranten“ anzugreifen (Lügen ist ja auch pfui). Wer sich aber das Bild etwas genauer ansieht erkennt, dass kurz zuvor ein Hagel von Pflastersteinen auf die Polizisten niedergegangen sein muss.
Vielleicht nostalgierte der Texter die seligen Zeiten, als er noch als Hausbesetzer in der ersten Reihe gegen die Vertreter des Bullenstaates kämpfte? Konrad Kustos war damals auch dabei, aber er erkannte genau dort, dass asoziale Gewalt gegen den Staat zur Durchsetzung von Minderheitsinteressen nicht die Lösung sein kann.
In Ägypten jedenfalls steht der seiner – wie auch immer zu bewertenden – stabilisierenden Führung beraubte Staat destruktiver Gewalt an vielen Fronten gegenüber. Beispielsweise müssen die beschimpften Polizisten Minderheiten wie die Kopten gegen islamistische Übergriffe schützen, oder es gibt eine Razzia in der Konrad-Adenauer-Stiftung. Wer kann da im weit entfernten Deutschland vorgeben zu wissen, wer oder was Ursache und Wirkung ist und welche Interessen hinter den Aktionen stecken? Das weiß auch selbst das Journalistengrüppchen vor Ort nicht, das sich seine aufsehenerregenden Filmaufnahmen gerne von Handykameras der Fanatiker mit deren verzerrenden Blickwinkeln überspielen lässt.
In den Tagesthemen lief vor einiger Zeit ein Beitrag, in dem eine verschleierte syrische Frau hysterisch kreischend alle Soldaten Assads als Mörder beschimpfte. Vielleicht sind sie das auch wirklich, vielleicht machen sie auch nur einen undankbaren Job als Vertreter eines regulären Staates, aber was ist das für ein Journalismus, der diese suggestiven Bilder als einziges Argument benutzt, um die Bösartigkeit des Regimes zu belegen? Sollte nicht Journalismus auch die Positionen der Gegenseite zu Wort oder Bild kommen lassen? Sollte er nicht persönliche Betroffenheit von objektiven Zuständen trennen? Sollte er nicht emotionale Manipulation vermeiden?
Ebenso einseitig wurde von Anfang an über die gesamte „Arabische Revolution“ geschrieben. Ohne zu wissen, worum es genau geht und nach jahrzehntelangem Schweigen zu den bisherigen Zuständen, war der Presse plötzlich gleichgeschaltet klar: Die herrschenden Regimes sind bitterböse, die Aufständischen sind deshalb automatisch gut. Sie suggerierten Zustände wie beim Prager Frühling oder den Montagsdemonstrationen.
Mag das für das relativ moderne Tunesien noch mit Einschränkungen zutreffen, so war das schon bei Libyen eine Leugnung eines Bürgerkriegs unterschiedlicher Stämme, bei dem mit hoher Wahrscheinlichkeit ein totalitäres Regime auf das andere folgen wird. Nur mit dem Unterschied, dass das alte Regime seine Unterdrückungsmechanismen auch gegen archaische und aggressive Ideologien einsetzte, das neue diese fördern wird.
Jedenfalls forderten die Medien massiv den Bombenkrieg der Weltgemeinschaft mit 20.000 Bombereinsätzen, mehr als 1000 toten Zivilisten schon nach wenigen Monaten und geschätzt einer Milliarde US-Dollar Kosten monatlich (komisch, dass in den Medien so gut wie nichts über diese immensen Kosten geschrieben wurde). Wohlgemerkt ging es um einen Angriffskrieg gegen einen souveränen Staat. Natürlich, es galt ja, Zivilisten zu retten, wenn auch nicht die, die die Bomben dann auf den Kopf bekommen haben.
Aber wie ist das jetzt mit China, wann greift die Weltgemeinschaft dort ein und an, wo dort doch die Menschenrechte noch ganz anders mit Füßen getreten werden? Niemals, eben, die können sich nämlich wehren. Und wer legt überhaupt fest, wann man keinerlei Angriffskriege führende, souveräne Staaten angreift und wann nicht? Die UNO (was maßt die sich da an?) und wenn die UNO nicht mitspielt, dann eben die NATO oder wer sonst gerade zur Hand ist?
In Arabien jedenfalls folgt auf die materielle und moralische Intervention des Westens ein Scherbenhaufen. Überall triumphieren bei den freien Wahlen Islamisten, mal „moderate“ (wie die Moslembruderschaft, die immerhin im deutschen Verfassungsschutzbericht 2010 ausführlich Beachtung findet), mal Hardliner, die es unter der Scharia nicht machen und schon Revolutionspolizeien aufbauen, um gegen alles Unverschleierte, Freizügige, Homosexuelle und fast alles Kulturelle mit Schlagstock und Elektroschocker vorzugehen.
Warum haben die Medien diese zumindest mögliche Entwicklung von Anfang an ignoriert oder ausgeschlossen? Aus einer romantischen Sympathie für Revolutionen? Die fortschrittlichen unter den Revolutionären werden die ersten sein, die den entfesselten Islam zu spüren bekommen. Drei Tage nach der Abschlachtung Gaddafis verkündete der Übergangsrat Libyens, im neuen Leben werde das islamische Recht Scharia die Grundlage aller Gesetze sein und bestehende Gesetze, die im Widerspruch zum Islam stünden, würden annulliert. Aus Freiheitsliebe?
Haben unsere Meinungsführer denn tatsächlich nicht die Lektionen aus dem Iran oder Afghanistan begriffen, was Freiheit in Ländern bedeutet, die aufgrund ihres ökonomischen und zivilisatorischen Entwicklungsstandes noch gar nicht reif für umfassende demokratische Freiheiten sind? Oder umgekehrt: Haben sie in der Schule die Information verpennt, dass es ein autoritärer Herrscher wie Kemal Atatürk geschafft hat, die Türkei zu säkularisieren und einigermaßen zivilisationskompatibel zu machen? Ist die Sprengkraft islamistischer Denkweisen auch nach 9/11 nicht in ihren Köpfen angekommen? Sehen sie nicht, welche Sogkraft der Islam in den unterentwickelten Ländern dieser Welt schon ohne einen unterstützenden westlichen Propagandaapparat hat? Wollen sie wirklich nicht wahrhaben, dass ihr ganzer aufgesetzter Fortschrittsoptimismus in der Destabilisierung der ganzen arabischen Region mündet und damit ein Zündeln am Pulverfass ist?
Mit dem Frühling ist das so eine Sache, er kommt, wenn es an der Zeit ist. Manchmal früher, manchmal später und manchmal schaut er kurz um die Ecke und verschwindet wieder. Für Freiheit gibt es historische Parameter. Im Mittelalter gab es nicht zufällig keine Demokratie, und zur antiken griechischen Demokratie sollte man mal die Sklaven, Besitzlosen und Frauen befragen. Auch im frühen Feudalismus war eine repräsentative Demokratie noch nicht möglich, und was selbst von unserer Freiheit zu halten ist, wird ja wöchentlich in diesem Blog thematisiert. Für eine bestimmte Stufe der Freiheit muss es einen bestimmten Reifegrad der Bevölkerung ebenso geben, wie entsprechende Kommunikationsmöglichkeiten, kulturelle und ökonomische Grundlagen, ein nötiges kollektives Wissen, das auch Erfahrungen mit Vorstufen dieser neuen Freiheit einschließt.
Der Islam sorgt in den arabischen Ländern dafür, dass es diese Grundlagen einer Freiheit nach westlichem Muster nicht gibt, und die fehlenden Grundlagen sorgen umgekehrt dafür, dass der Islam dort als Heilslehre immer populärer wird. Er suggeriert den von der entwickelten Welt abgehängten Ländern und ihren Bewohnern eine von Allah gewährte Überlegenheit, die es nicht gibt. Das beste, was solchen Ländern passieren kann, ist ein moderater, dem Neuen aufgeschlossener Autokrat oder eine entsprechende Oligarchie oder Junta, die religiösen und anderen ideologischen Fanatismus unterdrückt und einen gewissen Freiraum gibt, der über das enge Korsett archaischer islamistischer Unterdrückungsstrategien hinausgeht und alternative Verhaltensweisen einzuüben ermöglicht.
Dies alles hat der Westen ja nun erfolgreich weggebombt, wegfinanziert oder weggeschrieben. Syrien wird der nächste Dominostein der Stabilität sein, der fällt. Um im Bild zu bleiben: Dieser Frühlingsanfang ist keinesfalls, wie die Medien uns glauben machen wollen, ein kalendarischer, sondern bestenfalls ein klimatischer oder besser eine bloße Witterung. Die so möchtegern weltoffen und human agierenden Medien unseres Landes vergessen ebenso wie die gleichverlautenden (was ja inzwischen keine Überraschung mehr ist) Politiker völlig, dass dieses Land, für das sie eigentlich zuständig sind, auch eigene Interessen hat. Freiheitlichkeit beispielsweise, aber auch Sicherheit und Stabilität. Was ist also los mit den Medien? Welche Interessen stecken hinter ihrer Blindheit?
Normalerweise spiegeln die Medien (seltener) die Interessen der Menschen oder (meistens) die Interessen irgendwelcher Machtstrukturen. Ein einfacher, aber meist untrüglicher Mechanismus. Diesmal aber erschließen sich zumindest Konrad Kustos die Motive nicht. Die deutsche Bevölkerung hat ebenso ein Interesse, ein weiteres Erstarken eines totalitären Islamismus zu verhindern wie die in unserer Demokratie wirklich Machthabenden. Ist der ideologische Einfluss der Moralisten, der weltfremden Gutmenschen vielleicht schon derartig groß geworden, dass er sich sogar gegen Machtpolitik und globale Wirtschaftsinteressen durchzusetzen vermag? Freuen sich die Medien nur, wenn in der Welt mal wieder ordentlich was los ist, wozu eine destabilisierte Welt am besten taugt? Oder haben die alten Mächtigen einfach ein fatales und kontraproduktives Interesse an einer Destabilisierung Arabiens, um sich neue Märkte zu erschließen? Vielleicht hilft ja ein Blog-Kommentator meiner Ratlosigkeit auf die Sprünge…
Eine Antwort auf “Arabischer Herbst”