Das Unternehmen ist kein Kindergarten
Es gibt Unternehmen mit angeschlossenen Betriebskitas. Manche Betriebe sind allerdings insgesamt Kindergärten. Sie werden als Kleinbetriebe autoritär und patriarchalisch oder als Großbetriebe nach dem veralteten sozialistischen Stabliniensystem geführt.
Es gibt immer noch den Chef, der nach Feierabend durch den Betrieb schleicht und an den Arbeitsplätzen nachschaut, was gearbeitet worden ist. Im hochgefahrenen Computer kann man nachschauen, welche Dateien am gleichen Tage geöffnet worden sind und welche neu angelegt wurden. Man kann jeden Tag die Anwesenheitsdauer nachchecken. Auch vor dem Feierabend gibt es für den Kontrollfreak ein breites Betätigungsfeld. Man kann sich jeden Brief, der rausgesendet wird zur Unterschrift vorlegen lassen und man kann daran rumkorrigieren. Mit und ohne Begründung dem Mitarbeiter gegenüber. Man kann jeden Kundenkontakt an sich ziehen und bei jeder Beratung persönlich dabei sein. Man kann die Mitarbeiter wie im Kindergarten behandeln.
Im Großbetrieb kann man eine vielfach abgestufte Hierarchie von Entscheidungsbefugten und Antreibern installieren. Noch in meiner Jugend hatte ich mich nach den Anweisungen von vorgesetzten Brigadieren, Abteilungsleitern und einer reichlichen Anzahl von Stabsstellen zu richten. Wenn man Glück hatte, waren die Vorgesetzten faul und man konnte machen, was man wollte. Faule Vorgesetzte verlassen sich eher auf die Intelligenz der Untergebenen. Schlimm wurde es, wenn das Leitungspersonal fleißig wurde oder wenn es Angst hatte, dümmer zu sein, als die Untergebenen.
Der Kleinbetrieb mit eifersüchtigen Zwergen an der Spitze bleibt in der Regel klein und unbedeutend. Das liegt daran, daß die Mitarbeiter demotiviert sind. Sie lassen sich treiben und bringen nicht die Leistung, die eigentlich erwartet wird. Wer ewig gegängelt wird, hat keine Lust Initiativen zu entwickeln. Nur der Erfolg beflügelt zu höherem Engagement. Gute Leute kündigen in solchen Läden und ziehen weiter. Die Kunden merken das in der Regel wes Geistes Kind der Chef ist.
Bei größeren Betrieben kommt es sehr auf die Unternehmenskultur und den Leitungsstil an. Letztlich ist der Chef stilprägend. Ein typischer Überflieger war zum Beispiel Lothar Späth in seiner Jenaer Zeit als Reformator eines sozialistischen Optikkonzerns. Eines Tages in den frühen 90er Jahren mußte ich einen Schlüssel für eine konzerneigene Immobilie besorgen, um die Veräußerung vorzubereiten und wartete gerade im Foyer der Konzernzentrale auf den Mitarbeiter, der die Liegenschaften verwaltete. Zwei Putzfrauen und ein Pförtner waren in eine intensive Unterhaltung vertieft, als Späth mit einem Troß von Managern im Gefolge durch die Halle stürmte. Die beiden Frauen und der Pförtner blieben völlig unbeeindruckt und führten ihre Konversation weiter. Aha, dachte ich, die Mitarbeiter sind Luft für ihn. Und die wissen das genau. Am selben Abend las ich zufällig in einer deutschen Tageszeitung, daß die Chauffeure der Stuttgarter Staatskanzlei vom Ministerpräsidenten wieder gegrüßt würden, seitdem Erwin Teufel im Amt war.
Nachdem ich eine Weile im Foyer gewartet hatte, kam der Mann, der die Schlüssel verwaltete. Er hatte sich den Schlips gerade mit einem Ei bekleckert und eröffnete mir daß der Schlüssel weg sei. Ich hatte die Aufgabe, die Tragfähigkeit der Decken des zu veräußernden Objekts zu ermitteln, weil der Kaufinteressent ein Hotel daraus umbauen wollte. Ich verschaffte mir durch die Zertrümmerung einer Fensterscheibe Zugang und erledigte meine Aufgabe. Aus den Decken hatte ich mehrere Bohrkerne entnehmen lassen, um die Deckendicke zu ermitteln und die Tragfähigkeit zu berechnen. Der Leser wird wegen der beschriebenen Episode im Foyer nun denken, daß sich Lothar Späth nicht für diese technischen Details interessierte. Nein, er war weil es um den Kaufpreis ging, nach einer Woche persönlich vor Ort zum Beckmessern. Ein Mitarbeiter mußte ein Brett unter die Löcher halten und Späth maß selbst nach. Für Details hat er sich schon interessiert, aber nicht für die Menschen in seinem Unternehmen an sich. Er hat sich bei der Betonstärke der Decken übrigens böse vermessen, weil er zu den Umständen nicht nachgefragt hat und nicht sehen konnte, daß die unteren drei Zentimeter des Lochs aus einer dicken Putzschicht bestanden. An dieser Anekdote kann man alle Eigenschaften des Überfliegers exzellent illustrieren, wobei ich Späth nicht die ganze Lebensleistung abstreiten möchte. Im Schnorren von Fördergeldern für Jena war er Spitze.
Seinen Mitarbeitern mehr auf die Pelle ging der Gründer der optischen Industrie in Jena, Carl Zeiss. Er war nicht nur ein in höchste Präzision vernarrter Tüftler, sondern auch ein strenger Patron. Instrumente, die nicht genau genug gingen zerstörte er persönlich mit dem Vorschlaghammer und zahlte den gescheiterten Gehilfen in solchen Fällen keinen Lohn.
Dieser Patriarchalismus überlebte eine ganze Weile. Vor Weihnachten 1988 fand eine Leitungssitzung bei Zeiss statt. Generaldirektor Wolfgang Biermann kontrollierte den Stand der Planerfüllung und der Rechnungsstellung. Für letztere war im Kombinat Prof. Dr. Klaus Mütze zuständig. Biermann fragte nach dem Stand einer wichtigen Exportrechnung und der Professor kam ins Stottern. So wie Zeiss den Ausschuß seiner Gehilfen mit dem Hammer zerschlagen hatte, so ging Biermann zu Professor Mütze, schnitt ihm den Schlips ab und schlug vor, daß Mütze sich von Stund an Schlafmütze nennen solle. Nach der Sitzung drückte Biermann dem Professor, der übrigens in der Staatssicherheit organisiert war, 25 Ostmark für den Schlips in die Hand.
So, das war ein Querschnitt durch die Führungsphilosophie und –praxis einer Hochtechnologiefirma. Der Chef war immer die stilprägende Person.
In der Dienstleistungsgesellschaft der Gegenwart sind Leitungsmethoden, die vor 100 Jahren in der Schraubenfabrik oder in der Meisterwerkstatt funktionierten, unangebracht. Mit der Aufsplitterung der Sortimente und Leistungen, bei immer kleineren Serien und immer mehr auf den Kunden angepaßten Lösungen brauchen die Mitarbeiter mehr Eigenantrieb, der mit Eigenverantwortung gekoppelt sein muß.
In den modernen Branchen hat der patriarchalisch geleitete Betrieb ausgedient. Der Autor hat viele Jahre ein großes Ingenieurbüro geleitet und die Mitarbeiter weitgehend laufen lassen. Im Laufe der Jahre gab es ein paar Probleme mit dieser Philosophie, von etwa 7.000 Verträgen sind etwa 50 nicht optimal oder schlecht erfüllt worden. Andererseits waren die Kunden von vielen Mitarbeitern so begeistert, daß sie immer wieder Aufträge gaben, um mit diesen Leuten weiter zu arbeiten. Und dieses feedback war wiederum ganz wichtig für die Motivation. Unter dem Strich waren die Erfolge dieser Firmenphilosophie vielfach größer, als die wenigen Mißgeschicke.
Der moderne innovative Betrieb, der auf einen stabilen Mitarbeiterstamm angewiesen ist, ist gut beraten, eine abgestufte Verantwortungshierarchie zu installieren, in der jeder Mitarbeiter Kompetenzen nach seinen Fähigkeiten erhält. Die Arbeitszufriedenheit und die Leistung steigen garantiert.
Unsichere Chefs dulden keine guten Leute neben sich. Schon bei der Einstellung von Personal achten sie darauf, daß die Kandidaten ihnen nicht über den Kopf wachsen. Diese verwerfliche Praxis ist der Tod jeder Spitzenleistung. Selbstverständlich muß jeder Mitarbeiter nach Möglichkeit besser und kompetenter sein, als der Chef. Wenn man gute Leute ein bißchen Chef spielen läßt, geht das. Und der Arbeitgeber kann sich manchmal ein paar Minuten zurücklehnen.
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