Der Krieg und die Expressionisten

Die Expressionisten waren fast alle kriegsbegeistert. Fast undenkbar ist der Erste Weltkrieg ohne Maler an der Front und die Propaganda in Kunstblättern. Und die Maler kämpften ebenso gerne mit dem Bajonett, als mit dem Pinsel.

Rückblickend schrieben El Lissitzky und Hans Arp 1925: „Aus Kubismus und Futurismus wurde der falsche Hase, das metaphysische deutsche Beefsteak, der Expressionismus gehackt.“ Der Gegensatz zwischen dem Impressionismus und dem Expressionismus liegt vor allem darin, dass die Impressionisten malten, was sie sahen, während die Expressionisten malten, was sie fühlten, und damit die Provokation und den Tabubruch verschärften. Edmund Husserl versuchte dieser radikaleren Provokationspraxis eine Theorie zu unterlegen: Das „Schauen“ des expressionistischen Künstlers wurde dem Sehen des Impressionisten gegenübergestellt, und dieses Schauen war eine Wesensschau. Der „Sturm“-Herausgeber Kurt Hiller grenzte sich und die Expressionisten von den „Ästheten“ ab, die nur Wachsplatten für Eindrücke seien.[1] Den neuen Pinselstrichen und Affekten sollte von Anfang an – sehr deutsch und sehr zeitgemäß – ein tieferer Sinn untergeschoben und bedeutet werden.

Das Palau-Archipel war vor dem Ersten Weltkrieg eine abgelegene deutsche Inselgruppe in Ozeanien. Die Maler Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff und Ernst Ludwig Kirchner betrieben ihr Atelier an einem Hauptverkehrsweg, der Berliner Straße in Dresden. Später kamen Max Pechstein und Emil Nolde hinzu. 1903 hatten sie die Palau-Kunst kennengelernt und etwa 1909, nachdem sie sich aus vornehmlich philosophischen, werbetechnischen wie sexuellen Motiven für „Primitiv“ entschieden hatten, dekorierten sie ihre Ateliers im eckigen, maskenhaften und dekorativ-bunten Palau-Stil. Welcher europäische Mann der Jahrhundertwende war nicht überzeugt von der Triebhaftigkeit und Exotik der Südseefrauen, die wegen ihrer Palmröckchen, prallen Lippen und exotischen Bauchtänze die Phantasie anregten.

Franz von Stuck malte 1905 die „Verwundete Amazone“ und Hermann Hesse hat diesem Frauentyp in „Klingsors letzter Sommer“ (1919) ein literarisches Denkmal gesetzt:

„Sie hieß Kül Kalüa, die braune scheue Prinzessin, schlank und langgliedrig schritt sie im Pisanggehölz, honigglänzend unterm saftigen Dach der Riesenblätter, Rehauge im sanften Gesicht, Katzenglut im starken, biegsamen Rücken, Katzensprung im federnden Knöchel und sehnigen Bein. Kül Kalüa, Kind, Urglut und Kinderunschuld des heiligen Südostens, tausend Nächte lagst du an Klingsors Brust, und jede war neu, jede war inniger, war holder als alle gewesen.“

Speerschleudernde Lolitas nahmen Amor die Arbeit weg.

Die Primitivität der Formensprache, die grellen schwarzen, gelben und roten Ornamente wie auch die aufgeregten Vorstellungen von den Fortpflanzungsvorbereitungen der Naturkinder lieferten den Dresdner Malern eine perfekte antibürgerliche und antiakademische Plattform zum Bruch mit der Konvention und zur Provokation der materialistischen Philister.

Farben und Maltechnik pappten die nackten Figuren mit dem Hintergrund in einer Ebene zusammen. Die Erde war wieder eine Scheibe. Der glatte Hintergrund erzeugte ein zweidimensionales Raumgefühl, die Körper hatten ornamentale eckige Umrisse und wirkten hölzern, wie mit der Laubsäge aus Sperrholz gefertigt und hinterher rosa oder grünlich angelegt. Geschlechtsteile wurden größer dargestellt, als sie in der Örtlichkeit vorgefunden wurden. Später wurden die afrikanischen Modelle Sam und Milli angeheuert, welche die Distanz zwischen Dichtung und Wahrheit wieder verringerten. Kirchner begründete seine formal etwas hinfälligen Kreationen tiefgründig-germanisch.

„Der Romane gewinnt seine Form aus dem Objekt aus der Naturform. Der Germane schafft die seine aus der Phantasie, aus der inneren Vision, und die Form der sichtbaren Natur ist ihm ein Symbol. Für den Romanen liegt die Schönheit in der Erscheinung, der andere sucht sie hinter den Dingen.“

Am 12. September 1914 schrieb der Blaue-Reiter-Maler Franz Marc in diesem tiefgründigen ideologisch-teutonisch-verbohrten Geist von der Front an seine Frau Maria:

„Ich denke so viel über diesen Krieg nach und komme zu keinem Resultat; wahrscheinlich, weil die ›Ereignisse‹ mir den Horizont versperren. Man kommt nicht über die Aktion hinweg, um den Geist der Dinge zu sehen. Jedenfalls macht der Krieg aus mir keinen Naturalisten, – im Gegenteil: ich fühle den Geist, der hinter den Schlachten, hinter jeder Kugel schwebt, so stark, dass das Realistische, Materielle ganz verschwindet.“[2]

Der Name der Künstlerkommune „Brücke“ kann naturgemäß missgedeutet werden. Es handelt sich weder um eine Brücke von Dresden zum Palau-Archipel, auch nicht um eine Brücke der Kulturen im allgemeineren Sinne. Vielmehr war Friedrich Nietzsche der Sinn- und Namensgeber:

„Was groß ist am Menschen, das ist, dass er eine Brücke und kein Zweck ist: was geliebt werden kann am Menschen, das ist, dass er ein Übergang und ein Untergang ist…“

Der Begriff des Expressionismus wurde nur in den deutschsprachigen Ländern verwendet, Herwarth Walden sprach 1913 ausdrücklich von „Deutschen Expressionisten“.

„Mit revolutionärer Verve erschienen jetzt, seit cirka 1905, die Deutschen, ihre Begabung zum faustischen in der Moderne einzubringen und der französischen Avantgarde endlich ein Gegengewicht zu bieten, eines, das aus ihrer nationalen Psyche resultierte. Eines, das sich in Worte wie die folgenden kleiden ließ: ´Der deutsche Mensch, das ist der dämonische Mensch an sich….Umgetrieben, umgewirbelt von solcher Dämonie des Werdenden und niemals Seienden erscheint der Deutsche den anderen Völkern.´ So 1925 der idealistische Philosoph Leopold Ziegler (1881 – 1958) in dem Buch ´Das Heilige Reich der Deutschen´ … Fiebernde Unrast, Bevorzugung des Prozessualen anstelle der in sich ruhenden Form, Hang zum Mystizismus – all das schien die ´deutsche Wesensart´ für den neuen Stil zu prädisponieren.“[4]

Hermann Hesse schilderte in „Klingsors letzter Sommer“ einen expressionistischen Schöpfungsprozeß:

„…ein Antlitz wie eine Landschaft gemalt, Haare an Laub und Baumrinde erinnernd, Augenhöhlen wie Felsspalten – sie sagten, dies Bild erinnere in der Natur nur so wie mancher Bergrücken an ein Gesicht (…) In diesen rasend gespannten Tagen lebte Klingsor wie ein Ekstatiker. Nachts füllte er sich schwer mit Wein und stand dann, die Kerze in der Hand, vor dem alten Spiegel, betrachtete das Gesicht im Glas, das schwermütig grinsende Gesicht des Säufers. (…) Er hatte einen Traum, in dem sah er sich selbst, wie er gefoltert wurde, in die Augen wurden Nägel geschlagen, die Nase mit Haken aufgerissen; und er zeichnete das gefolterte Gesicht, mit den Nägeln in den Augen, mit Kohle auf einen Buchdeckel…“

Der Expressionismus verfuhr nach der Parole „Viel Feind – viel Ehr“, er versuchte durch Provokation Aufmerksamkeit zu erregen, verschaffte sich dabei ein Heer von internen und externen Feinden und nur wenige Freunde. In die Ausstellungen zogen jene aus, die das Gruseln lernen wollten. Meidner kritisierte, dass die Brücke-Maler die Negerkunst favorisierten, was von den Gegenwartsthemen ablenke, Max Beckmann beklagte die „sentimentale Geschwulstmystik“, die Dadaisten bestritten den Anspruch der Expressionisten, Kunst zu schaffen, die die Essenz des Lebens ins Fleisch brennt, Alfred Rosenbergs „Kampfbund für deutsche Kultur“ reihte die Expressionisten in die entartete Kunst ein, die „Linkskurve“ bezeichnete Kandinsky und Klee als darlings der Bourgeoisie und Alfred Kurella sah sie unter den Antreibern des Faschismus. Der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund dagegen bescheinigte ihnen „echten deutschen Charakter“.[5] Die kulturtheoretischen Fronten waren so verworren, wie die expressionistische Malerei selbst.

Die Expressionisten waren, auch wenn sie sich zeitweise in Gruppen organisierten, Einzelgänger. 1913 trennten sich die Wege der Brücke-Maler für immer. Nach dem verlorenen Weltkrieg sank die Produktivität von Kirchner, Pechstein, Nolde, Schmidt-Rottluff und Heckel erheblich, obwohl alle in den besten Jahren waren. Auch Beckmann, Meidner, Corinth, Barlach gerierten sich als ausgeprägte Individualisten mit einem Hang zur Exzentrik. Ludwig Rubiner fragte 1912 in der „Aktion“:

„Wer sind die Kameraden? – Prostituierte, Dichter, Unterproletarier, Sammler von verlorenen Gegenständen, Gelegenheitsdiebe, Nichtstuer, Liebespaare inmitten der Umarmung, religiös Irrsinnige, Säufer, Kettenraucher, Arbeitslose, Vielfraße, Pennbrüder, Einbrecher, Kritiker, Schlafsüchtige, Gesindel. Und für Momente alle Frauen dieser Welt. Wir sind der Auswurf, der Abhub, die Verachtung. Wir sind Arbeitslose, die Arbeitsunfähigen, die Arbeitsunwilligen. Wir sind der heilige Mob.“

Rubiner übertrieb die Bedeutung der Frauen; sie hatten im expressionistischen Zwergenhaus allgemein die Aufgaben, welche seinerzeit Schneewittchen wahrgenommen hatte, zuzüglich die des Modellsitzens. Auf der anderen Seite untertrieb er ein wenig; unter den Kameraden waren auch mehrere Rauschgiftsüchtige, überzeugte Rassisten und Antisemiten sowie ein Mörder.

Dem zeitgenössischen intellektuellen Glauben an die reinigende Kraft des Bluts geschuldet, ist die hohe Zahl an Kriegsfreiwilligen unter den Expressionisten: Franz Marc, Oskar Kokoschka, Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, George Grosz, Ernst Barlach, Wilhelm Lehmbruck, Max Ernst, Otto Dix, der im expressionistischen Marktsegment führende Kunsthändler Paul Cassierer und Max Beckmann. Letzterer erklärte seine Entscheidung ästhetizistisch: er würde sich „durch sämtliche Kloaken der Welt, durch sämtliche Erniedrigungen und Schändungen hindurchwinden, um zu malen. Ich muß das.“ Im April 1915 schrieb der Sanitäter Beckmann seiner Frau, dass der Krieg seiner Kunst zu fressen gäbe. Im Sommer desselben Jahres spalteten sich Ideologie und Realität, ihm wurde endlich schlecht und er brach zusammen. Otto Dix dagegen hielt durch und wurde mit dem Eisernen Kreuz dekoriert.

„Der Krieg ist eine scheußliche Sache, aber trotzdem etwas Gewaltiges. Das durfte ich auf keinen Fall versäumen. Man muß den Menschen in diesem entfesselten Zustand gesehen haben, um etwas über den Menschen zu wissen.“[6]

Der Anteil der kriegführenden Expressionisten wäre noch höher gewesen, wenn nicht viele Ausländer, Frauen oder zu alt gewesen wären. Für Kandinsky, Werefkin, Jawlensky, Feininger und Münter war die Meldung an die teutonische Front wegen feindlicher Staatsbürgerschaft schlicht nicht möglich, Rohlfs und Corinth waren viel zu alt zum Kriegsspielen.

Nachdem der Expressionismus als Mode ausgedient hatte, verwendete der völkische Adolf Hitler 1932 ein expressionistisches Wahlplakat. Wollte Hitler mit diesem Plakat, das inhaltlich dem obligaten Führerkult verschrieben war, in ein fremdes ästhetisches Territorium und damit in ein fremdes Wählerpotential eindringen?

Hitler malte selbst impressionistisch was er sah; mit einem kleinen expressionistischen Anflug, was er fühlte; mehr fühlte er sich als reifer Politiker zu den sozialistischen Realisten hingezogen, welche lieber malten, was sie hörten.

Der Eintrag wurde bereits im eBook: „Der Bausatz des Dritten Reiches“ veröffentlicht, welches bei Amazon erhältlich ist.

 



[1] Bengt Algot Sörensen: Geschichte der deutschen Literatur 2, Verlag C.H. Beck, 1997, S. 177 f

[2] Detlev Lücke: Vorausschauender Rückblick. Das XX. Jahrhundert. Ein Jahrhundert Kunst in Deutschland. Altes Museum, Neue Nationalgalerie, Hamburger Bahnhof bis 9. Januar 2000. Der Katalog zur Ausstellung

[3] Norbert Wolf: Expressionismus, Taschen, Köln, Seite 6

[4] s.o. S. 7

[5] Norbert Wolf: Expressionismus, Taschen, Köln, S. 22 ff

[6] s.o. S. 28 ff