TTIP und der Gasmarkt
Erdgas ist neben Arbeit, dem Maschinenpark und Elektroenergie eines der Lebenselexiere der Industrie. Der Energiepreis bestimmt in vielen energieintensiven Branchen die Wettbewerbs- und Wachstumsaussichten.
Nach einer Studie des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. vom 26.11.2013 beträgt der Industriegaspreis in Deutschland und Frankreich das 4fache des amerikanischen Preises, in Großbritannien und den Niederlanden das 3fache. In den Vereingten Staaten war das ein Eurocent pro kWh, in Deutschland 3,99 Cent. Natürlich ist auch der Preis für die privaten Haushalte in Europa und insbesondere in Deutschland vielfach höher als in den Vereinigten Staaten. 2012 war es in Deutschland der 2,6fache Preis.
Es hat sich ein riesiger Unterschied des Preises zwischen Nordamerika und Neuseeland einerseits und Europa und Ostasien andererseits gebildet.
Schiedsrichter im Streit um amerikanische Gasexporte ist das staatliche Department of Energy in Washington DC, welches Genehmigungsbehörde für die US-Ausfuhren ist. In den vergangenen Jahren hat das Energiedepartment von mehr als 20 Anträgen auf den Export von Flüssiggas nur sechs genehmigt. Diese Ausnahmen betrafen Ostasien nach der tsunamibedingten Abschaltung der japanischen Meiler.
Ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Vereinigten Staaten hätte natürlich zur Folge, daß die Ausfuhrverbote für amerikanisches Gas Geschichte wären. Nun würde sich der europäische Gaspreis beim Abschluß eines Freihandelsabkommens nicht schlagartig nach unten entwickeln. Deutschland hat ja langfristige Verträge über teures russisches Gas. Südeuropäische Staaten haben laufende Kontrakte mit arabischen Monarchien und Republiken, z.B. Algerien und Katar. Und die technischen Voraussetzungen für den Handel mit Flüssiggas müßten schrittweise erweitert werden. Es fehlt zum Beispiel eine Pipeline von Spanien über die Pyrenäen nach Frankreich.
Um Gas aus Amerika nach Europa und Asien zu exportieren, muß es zu LNG verflüssigt werden. In den USA werden derzeit in Sabine Pass, Lake Charles und Hackberry (Louisiana), Freeport und Corpus Christi (Texas), Coos Bay und Astoria (Oregon) sowie Cove Point, Maryland Verflüssigungsstationen gebaut, um LNG nach Europa und Asien exportieren zu können. Umgekehrt wird in vielen europäischen Ländern an Rückvergasungsstationen gearbeitet, außer in Deutschland. Besonders fleißig sind hier die Niederlande. Über vorhandene Leitungssysteme kann dieses Gas nach Deutschland fließen.
Nicht alle Leute in Europa sind über billiges amerikanisches Gas erfreut. Und auch in Amerika gibt es Widerstände. Auf der anderen Seite des großen Teichs gibt es die America Energy Advantage (AEA) als eine Gruppe von Unternehmen und Organisationen, die das Gas im Land behalten will, um eine Renaissance der amerikanischen Industrie durch reichliche und billige Versorgung mit Erdgas zu bewirken. Die AEA behauptet, daß LNG-Exporte (LNG ist verflüssigtes Erdgas, welches für den Transport in Produktentankern geeignet ist) zu einer geringeren amerikanischen Beschäftigung führen würde und die Wiederauferstehung der amerikanischen Industrie behindern würde.
Die Exportgegner ziehen argumentativ alle Register: “Die US-Regierung muß sicherstellen, dass wir die schnell wachsende zukünftige Nachfrage nach Erdgas in unserem Land decken, bevor wir blindlings in den massiven Export von LNG gehen”, sagte zum Beispiel Peter Huntsman, Präsident und CEO der Huntsman Corporation, eines international tätigen Chemieunternehmens mit der Firmenzentrale in Salt Lake City, Utah.
Die AEA hat ein Gefälligkeitsgutachten mit folgendem Inhalt anfertigen lassen: Die US-Wirtschaft würde mehr profitieren, wenn Erdgas in der heimischen Fertigung verbraucht wird, statt es als LNG zu exportieren. Es wären mehr als 90 Mrd.$ Investitionen in energieintensiven US-Produktionen angekündigt (auch deutsche Betriebe gehören dazu. BASF produziert gerne und mit Erfolg in den Staaten). Diese Investitionen könnten eine Verdoppelung des BIP, eine Verachtfachung der Dauerarbeitsplätze in den betreffenden Industrien und eine Vervierfachung der Stellenangebote im Baugewerbe auslösen, so die AEA. Die durch billiges Gas erzielbare US-Produktion würde das Handelsdefizit um 52.000.000.000 $ jährlich verringern, verglichen mit $ 18 Milliarden Euro für den Export von Erdgas als LNG.
Auch in Europa gibt es Gegner des Imports von Erdgas aus den Staaten. Ex-Bundeskanzler Schröder, der als Gasmanager auf der russischen Gehaltsliste steht, dürfte nicht begeistert sein. Und die deutschen Regierungsparteien. Mit fallenden Gaspreisen fallen die auf Gas entfallenden Umsatzsteuern. Die Energiesteuer wäre allerdings nicht betroffen, da es sich um eine Mengensteuer handelt.
Die deutschen Haushalte und die deutsche Industrie sind natürlich für niedrigere Gaspreise. Eine deutsche Familie, die mit Gas heizt, würde jedes Jahr um die 300 € sparen. Genauso sind natürlich die amerikanischen Gasförderer Freunde des Freihandels mit Europa. In den Augen der Förderer drehen sich die Dollarzeichen, wenn sie daran denken, daß sich durch Außenhandel der Gaspreis zwischen dem alten Europa und Amerika auf einem mittleren Niveau einpendeln könnte.
Der derzeitige Gaspreisunterschied zwischen Nordamerika und Europa würde sich auf Dauer einebnen. Man muß allerdings bedenken, daß der Transport mit LNG-Tankern Geld kostet. Bei den großen Transportentfernungen über den Atlantik ist das allerdings nicht teurer, als der Pipelinetransport von Sibirien.
Weltweit ausgeglichenere Energiepreise schaffen mehr Chancengleichheit für Europa. Auch das ist ein Aspekt der laufenden TTIP-Verhandlungen.
Habe Ihre Seite gerade erst entdeckt und drei Artikel gelesen (zu den Themen Demonstrationen, Erdgas und EON). Jeder Einzelne hat mir eine neue Perspektive eroeffnet.
Beeindruckt. Werde oefters hierherkommen.
E. Neuer