Das italienische Arbeitsrecht – eine Dauerbaustelle
Das italienische Arbeitsrecht ist seit 2012 in mäßige Bewegung geraten. Das liegt an der hohen Arbeitslosigkeit und der immer geringeren Wettbewerbsfähigkeit der italienischen Wirtschaft. Eine Kündigung kostete seit 1968 bis jetzt an die 300.000 €. Daraus zogen die meisten Chefs den Schluß, nur alleine oder mit Familienangehörigen zu arbeiten. Im Gegensatz zu Deutschland gibt es nur wenige größere Firmen mit mehr als 10 Mitarbeitern, und von letzteren gehören viele dem Steuerzahler oder sind Genossenschaften. Ein Vergleich mit Deutschland zeigt das Problem.
Mitarbeiter |
Chef arbeitet alleine |
2 bis 9 Mitarbeiter |
> 10 Mitarbeiter |
Deutschland |
30,7 % |
49,2 % |
20,1 % |
Italien |
65,2 % |
29,8 % |
5 % |
Leidtragende der Gesetzgebung sind vor allem die Jüngeren. Italien hat erschreckende Arbeitslosigkeitszahlen für Jugendliche zu bieten. Die jüngeren Arbeitnehmer sind vor allem auf dem Schwarzmarkt, aber auch bei Saisonarbeiten und in befristeten Jobs unterwegs und werden dort schlechter bezahlt, als fest angestellte Leute im Staatsdienst.
Mario Monti wollte das ändern, hatte sich aber schnell im italienischen Parlamentsgestrüpp verhakt. Seine Reform vom Juni 2012 verdiente den Namen nicht. So mußte sich nun der neue Premier Matteo Renzi erneut mit der Sache beschäftigen. Herausgekommen ist – typisch für Italien – wenig. Beim Kündigungsschutz bleibt alles beim Alten, lediglich in den ersten drei Jahren eines Arbeitsvertrages entfällt er. Zum Ausgleich wird die Versorgung der Arbeitslosen verbessert.
Für ganz einfache Produktionen, bei denen man die Mitarbeiter alle drei Jahre ohne sehr großen Schaden auswechseln kann, ist das eine Erleichterung für Unternehmen und Beschäftigte. Sind dagegen qualifizierte Mitarbeiter erforderlich, ergeben sich keine Vorteile. Gute Leute kann man wirklich nicht alle drei Jahre ersetzen. Da entstehen unnötige Brüche in den Arbeitsbiografien und im Arbeitsablauf. Natürlich gibt es Möglichkeiten der zeitlichen Ausweitung der Vorteile. Man kann die Firma nach drei Jahren schließen und ein Verwandter macht eine ähnliche Firma auf, wiederum für drei Jahre. Die Verwandschaft darf natürlich nicht so nahe sein, daß eine Konzernhaftung droht. Eheleute sollten sich zum Beispiel lieber scheiden lassen. Aber auch sechs Jahre gehen schnell rum und neun Jahre sind auch im Handumdrehen vorbei. Mitarbeiterkarusselle mit befreundeten Firmen sind auch schon versucht worden, haben aber große Tücken.
Übertriebener Kündigungsschutz und daraus folgende Entlassungen haben auch eine persönliche Dimension. Chefs entwickeln Schuldgefühle, Mitarbeiter fühlen sich verkannt. Es enstehen Peinlichkeiten, die ohne Staat vermeidbar wären.
Mehr noch in Italien als in Deutschland vertreten die Gewerkschaften die Sonderinteressen des öffentlichen Dienstes. Im öffentlichen Dienst gibt es keine Wirtschaftskrisen und keinen Auftragsmangel, Besonderheiten der produzierenden Bereiche, die eine gewisse Flexibilität des Arbeitsmarkts erfordern. Für die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes ist alles ganz einfach: Wenn das Geld nicht reicht, kann der Staat einfach mal die Steuern erhöhen. Auch letzteres stößt in einer alternden Gesellschaft an natürliche Grenzen. Mattheo Renzi hatte sich aufgemacht, die Flexibilität des Arbeitsmarkts zu erhöhen, ist aber letztlich an den Gewerkschaftern, die einen guten Teil seiner Wähler und seiner Parteimitglieder ausmachen, gescheitert.
Die Italiener werden wohl bei bewährten Prinzipien bleiben, wenn sie Großes vorhaben. Viele Betriebe werden als Genossenschaften geführt. Oder man macht Kooperationen mit anderen Familienbetrieben oder Einmannfirmen. Man kann relativ komplexe Maschinen, Ausrüstungen und Dienstleistungen aus Vorprodukten oder Teilleistungen anderer kleiner Firmen zusammenkaufen und mit sehr wenigen Leuten endmontieren bzw. zusammenstellen. In fast 50 Jahren haben die Italiener darin eine große Meisterschaft entwickelt.
Für Großbetriebe wie FIAT hat das auf Dauer nicht getragen. Die großen Aktiengesellschaften sind fast alle emigriert oder schöpfen einen Großteil des Werts im Ausland. Bereits nach 1970 vergab FIAT Lizenzen in die Türkei, nach Polen, Spanien und in die Sowjetunion. Gleichzeitig baute man eigene Produktionen in Argentinien und Brasilien auf. Derzeit hat Firmenchef Marchionne die Fusion mit Chrysler unter Dach und Fach gebracht. Damit ist wohl die Auswanderung des Konzerns aus Italien beschlossene Sache: Der zukünftige Börsenplatz beeinflusse die Wahl des künftigen Konzernsitzes, sagte Marchionne. Die Börse in Mailand kann er nicht gemeint haben. Sie führt in Europa ein Schattendasein. Also weg aus Italia. Jede bittere Medizin verabreicht man mit einem Teelöffel Zucker: Fiat habe Premium-Marken wie Alfa Romeo und Maserati. „Fatastico“ nannte er diese Leuchttürme der italienischen Industrie, um seinen Landsleuten Sand in die Augen zu streuen. Alfa Romeo werde im April neue Modelle präsentieren, kündigte Marchionne an: Diese Modelle „werden das Image der Marke ändern, wir kehren zur Spitzenleistung zurück“. Bei den großen Serien der Massenproduktion wird es diese Spitzenleistungen jedoch in der neuen Heimat Amerika geben.
Es gehört nicht besonders viel Weitsicht dazu, um zu behaupten: Der nächste italienische Ministerpräsident wird sich wieder mit dem Arbeitsrecht beschäftigen müssen.