Der griechische Patient
Kein Mensch kann das Wort Griechenland mehr hören. Schlamperei, Betrug, Vetternwirtschaft, Unfähigkeit – an was denkt man nicht alles? Die Lebensphilosophie von Alexis Sorbas prägte das Land. Unsere Urteile dürfen jedoch keine Vorurteile werden. Werfen wir deshalb einen objektiven Blick auf das Jahr 2014.
Die Bank von Griechenland hilft uns dabei und hat ein umfangreiches Zahlenwerk veröffentlicht, das einen umfassenden Einblick in das Bemühen der griechischen Politik gestattet.
Die Kernfrage ist die nach den Personalausgaben im Haushalt der Zentralregierung. 2014 sind diese Ausgaben gegenüber dem Vorjahr nur um 2 % auf 19,3 Mrd. € gesunken. Eine Grundsatzfrage ist diese Haushaltsposition deshalb, weil die Einstellungspraxis vorhergehender Regierungen dem kriminellen Klientelsystem des Orients gehorchte. Die Rückführung der Personalkosten ist die Antwort auf die Frage nach der Säuberung der Verwaltung von Parteiparasiten und des Effizienzgewinns der griechischen Politik und Wirtschaft. Nebenbei gesagt: Die Angestellten der Zentralregierung sind nur die Spitze des bürokratischen Eisbergs. Es gibt ja auch Provinz- und Kommunalverwaltungen.
Der zweite interessierte Blick gilt der Entwicklung der Industrieproduktion und der des Außenhandels. Die industrielle Produktion betrug bis Ende August etwa 86 % des Jahres 2010. Das entspricht recht exakt den Zahlen des Vorjahrs. Von einer Erholung der Industrie kann also noch nicht die Rede sein. Das Außenhandelsbilanzdefizit bei Gütern vergrößerte sich im ersten Halbjahr 2014 gegenüber dem entsprechenden Vorjahrszeitraum auf 9 Mrd. € gegenüber 8,3 Mrd. €. Die Exporte stagnierten, während die Importe stark zunahmen. Diese negative Entwicklung wurde durch die positive Dienstleistungsbilanz mehr als kompensiert. Der Überschuß bei den Dienstleistungen (Fremdenverkehr, Seefahrt) wuchs um 1,3 Mrd. €. Trotzdem liegen beide Bilanzen zusammengenommen immer noch stark im Minus. Außenwirtschaftlich herrscht definitiv kein Gleichgewicht.
Der dritte Blick gilt den Steuereinnahmen, denn diese sind sehr verräterisch, was die wirkliche Situation betrifft. Die Einnahmen aus der Einkommenssteuer sind in den ersten drei Quartalen 2014 um 7 % gegenüber dem Vorjahr gestiegen, die Erträge der Körperschaftssteuer haben sich verdoppelt. Die griechische Finanzverwaltung beginnt offensichtlich ordentlicher zu arbeiten. Bei der Kapitalertragssteuer gibt es einen deutlichen Rückgang, kein Wunder bei sinkenden Zinssätzen. Das Aufkommen der Umsatz- und der Mineralölsteuer tritt auf der Stelle, was ein Ausweis stagnierender Einkommen ist. Die Tabaksteuer ist dagegen sehr stark angestiegen. Letzteres liegt an stetigen Tariferhöhungen insbesondere für Billigzigaretten. Die Tabaksteuer brachte 2014 etwa genauso viel Ertrag wie die Mineralölsteuer und fast ein Drittel des Ertrags der Umsatzsteuer. Skurril ist auch, daß die Tabaksteuer dem halben Ertrag der Einkommenssteuer entsprach. Ohne die treuesten Helfer der Finanzverwaltung, die Raucher, würde Griechenland kollabieren. Der Fiskus holt sich das Geld bei den Armen. Nur zum Vergleich: In Deutschland macht der Ertrag der Tabaksteuer weniger als ein Zehntel der Umsatzsteuer aus.
Die Staatsausgaben bilanzieren 2014 erstmals mit den Einnahmen, nachdem im Vorjahr noch ein Defizit von 5 Mrd. € ermittelt wurde. Allerdings muß man auch hier zwei dicke Wermutstropfen in den griechischen Wein des Erfolgs schütten: Um das zu erreichen gibt es wie im Vorjahr 7 Mrd. € Zuweisungen für Investitionen aus Brüssel und die Verzinsung der immensen Staatsschuld ist durch Tricks der EZB auf 5,9 Mrd. € gefallen. 2011 wurden noch 16,3 Mrd. Zinsen gezahlt. Das bedeutet, daß die EU und die EZB Griechenland jährlich mit 17 Mrd. € stützen, um den Haushaltsausgleich zu erzielen. Bezogen auf 47 Mrd. € Steuereinnahmen sind 17 Mrd. immerhin 36 %!
Das Resumee ist ein sehr gedämpfter Optimismus. In 10 bis 20 Jahren könnte eine Konsolidierung der griechischen Finanzen und der Wirtschaft gelingen. Das Risiko liegt im politischen Bereich. Ganze Schwärme von jahrzehntelang verwöhnten und derzeit verunsicherten Staatsbediensteten sind von den regierenden Sozialisten und Konservativen zur Syrizapartei übergelaufen. Wenn die an die Macht kommt, beginnt garantiert der alte Schlendrian. In Wahlprognosen liegt sie vorn.
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