Thüringer SPD auf Odyssee
Odysseus mußte einst die Meerenge zwischen Sizilien und Kalabrien durchfahren. Auf der einen Seite hauste das Ungeheuer Skylla und am anderen Ufer das Monster Charybdis. Schiffe, die in den Sog der Meerenge gerieten, waren verloren, nicht einmal der Meeresgott vermochte zu helfen. Die moderne Skilla ist heute Fraktionsschef der thüringer CDU und heißt Mike Mohring. Charibdis ist der Möchtegern-Ministerpräsident Bodo Ramelow von der Linken und der Meeresgott Poseidon ist der Parteichef Sigmar Gabriel. Ach ja, und dann gab es ja noch den Odysseus! Das ist der Erfurter Oberbürgermeister Andreas Bausewein, der das angeschlagene thüringer SPD-Schiff zwischen den beiden politischen Ungeheuern in die Regierungsverantwortung manövrieren soll.
Fraktionsschef Mohring ist kein geborener Freund der Sozialdemokratie. Den sozialdemokratischen Bildungsminister Matschie nannte er vor seinen Fraktionskollegen noch Quatschie, bevor er mit der SPD koalierte. Nach Bildung der CDU-SPD-Koalition ging er sehr sachlich mit der SPD um. Mohring ist extrem mißtrauisch und hat im Umgang mit Freund und Feind die Empathie eines Kühlschranks. Das wirkte sich auf das Koalitionsklima aus. Er ist ein detailversessener Kungler, der genauso wie seine sozialdemokratischen Kollegen vor allem im Auge hat, seine Anhänger mit Posten und Fördergelder zu bedienen. Der Konsenz mit der SPD wurde so gestiftet, daß jeder Regierungspartner in seinem Verantwortungsbereich das Wunderhorn der Wohltaten nach Gutdünken ausschütten konnte, ohne daß es eine ordnende Hand gab. Das rächte sich mehrmals. Beide Regierungsparteien schlitterten in opulente und medienwirksame Selbstbedienungsskandale.
Der Fraktionsvorsitzende der Linken Ramelow ist ein Mann, der in seinem ganzen Leben noch keine Regierungserfahrung sammeln konnte. Er war noch nicht einmal Bürgermeister, Landrat oder Staatssekretär gewesen. Er bevölkerte immer nur politische Hinterzimmer und das Plenum des Landtags. Als Oppositionspolitiker war er deshalb stark von Ratgebern und Gutachtern abhängig und ist gutachtengläubig, vor allem wenn die Wälzer ihm in den Kram passen. Beispiel: ein veraltetes Gutachten zur Gebietsreform, das ihm der Weimarer Landrat Münchberg immer um die Ohren haut. Im persönlichen Umgang neigt er etwas zu Unduldsamkeit, in der Rede und im öffentlichen Auftreten wirkt er hölzern. Mohring dagegen macht einen berechnenden und distanzierten Eindruck. Beide sind keine Landesväter vom Format eines Kurt Beck oder Kurt Biedenkopf. Aus beiden hätte man früher Ladestöcke gefertigt. Sind haben die Ausstrahlung von Robotern.
Die alte Koalition mit der CDU hatte für die SPD gegenüber der angepeilten mit Linken und Grünen drei Vorteile: Die politische Beute der Wahl mußte nur mit einem Koalitionspartner geteilt werden und nicht mit zweien. In einer Zweierkoalition ist ein Konsenz auch immer leichter zu finden, als in einer Dreierbeziehung, wo es geschwind zu Eifersuchtsdramen kommen kann. Der Kommunikationsaufwand verdreifacht sich eben mit einem dritten Partner. Und gegenüber der CDU konnte man sich trotz Linksrucks der Christdemokraten leichter profilieren, als gegenüber Linken und Grünen.
Nach einer Regierungsbeteiligung mit Linken und Grünen in Thüringen wird die SPD bei der nächsten Wahl mit der 5-Prozenthürde kämpfen müssen. In Nordrhein-Westfalen regierte unter Hannelore Kraft mal ein rot-rot-grünes Dreierbündnis. Nach der folgenden Landtagswahl war die kleinere rote Partei dann mit 2,5 % mal weg. Die thüringer SPD wird auch darunter leiden, daß viele altgediente Mitglieder ihr Parteibuch abgeben werden. Bereits jetzt ist die Motivation der Mitglieder auf dem Nullpunkt. Die SPD ist die einzige Partei, die ihre Wahlplakate vom September immer noch nicht alle abgenommen hat.
In so einer Situation ist die Oppositionsbank die beste Lösung. Wenn die Sozialdemokratie Machtwillen hätte, würde sie in der Opposition so lange verharren, bis sie stärker ist als die Linke. Sie müßte nur das durchhalten, was Ramelow ihr vorgeturnt hat. Und der Verzicht auf Regierungsämter hätte auch einen handfesten Vorteil für die Genossen: Sie müßten sich auf ihren Parteitagen nicht mehr von ihren Ministern und Staatssekretären besoffen reden lassen, sondern hätten mal Ruhe zu überlegen, was für den kleinen Mann in Thüringen wirklich wichtig ist. Gerhard Schröder war mit seiner Industriepolitik und den Hartz-Reformen an der Jahrtausendwende im Klientel der Arbeiter und kleinen Leute wirklich angekommen. In Thüringen erreichte die SPD 2002 fast 40 % Zweitstimmen bei der Bundestagswahl und lag 23 % vor der PDS und 10 % vor der CDU. Es ging doch, als man keinen verbeamteten, verschwurbelten und veganen Wahlkampf machte! Der Kanzler bespritzte sich im Wahlkampf auf dem Weimarer Marktplatz mit der fettigen heißen Brühe einer saftigen Bratwurst und ging mit Abstand durchs Ziel. Seit die SPD von Gerechtigkeit erzählt und die Agenda 2010 hinterfragt, ist sie in Thüringen wieder im 10-Prozent-Ghetto angekommen und die Linke ist deutlich stärker.
In Homers Odysseus-Sage wurde das Schiff des Odysseus zertrümmert, die Gefährten gefressen und er selbst entkam mit knapper Not. Das wird das Schicksal von Andreas Bausewein und der thüringer SPD sein, wenn sie denn wirklich durch die Meerenge der Koalitionsverhandlungen in irgendeine Regierungsbeteiligung streben.