Chaos wird immer gezielt herbeiregiert
Wir leben im Zeitalter zunehmender Bespitzelung, mangelnder Datensicherheit und wachsender Kontrolle zum Beispiel an Flughäfen und Bahnhöfen. Alles dem Umstand in die Schuhe zu schieben, daß es nun Araber in Deutschland und in den Vereinigten Staaten gibt, greift etwas zu kurz.
Das mag eine Rückblende verdeutlichen. In den zwanziger und dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts herrschte Bürgerkrieg auf Deutschlands Straßen. Damals waren es ein Österreicher und ein Georgier, die ihre Taliban aufeinanderhetzten. Im Dezember 1929 beklagte Reichsinnenminister Severing (SPD) sich über den fortgeschrittenen Verfall der öffentlichen Ordnung:
„Gelegentlich der Verfassungsfeier und der Reichsbannerkundgebung am 10. und 11. August 1929 kam es in Berlin wie auch schon an den Tagen vorher verschiedentlich zu Ausschreitungen. Die Schuld traf in acht Fällen Mitglieder der KPD, in drei Fällen Mitglieder des Stahlhelms, in einem Fall ein Mitglied des Bismarckbundes. (. . . .) Am 25. 8. wurden in Essen vier von einer Veranstaltung des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold kommende Mitglieder dieses Verbandes auf ihrem Heimwege von Nationalsozialisten überfallen. Die Nationalsozialisten rissen ihnen die Abzeichen des Reichsbanners ab und zerfetzten zum Teil ihre Kleidung. Die mitgeführten Musikinstrumente wurden zertrümmert; ein Reichsbannermitglied erhielt mit einem Schlagring einen Hieb über den Kopf. Am 1.9.1929 überfielen in Köln einige Kommunisten zwei der Hitlerjugend angehörende junge Leute und verletzten einen durch Messerstiche in die Hand. Am gleichen Tage veranstaltete der Stahlhelm in Hamburg einen Umzug nach dem Sportplatz in Lokstedt. An der Hamburger Grenze hatten sich etwa 500 Kommunisten angesammelt, die über die Stahlhelmmitglieder mit Stöcken, Totschlägern und Gummischläuchen herfielen. Den ganzen Tag wurden auch in der übrigen Stadt von Kommunisten Gewalttätigkeiten gegen Andersdenkende begangen, die teilweise schwerverletzt wurden. Zwei Stahlhelmmitglieder wurden in einer Straßenbahn von drei Kommunisten mißhandelt. Auf dem Loignyplatz wurden aus einem Kraftwagen von Jungkommunisten Seltersflaschen gegen die Teilnehmer eines marschierenden Stahlhelmzuges geworfen. Am 6. 9. wurde in Köln ein Angehöriger der Lützow-Jugend von Kommunisten schwer mißhandelt. Am gleichen Tag kam es in Oranienburg zu einer Schlägerei zwischen 25 Nationalsozialisten, die in ein von der KPD benutztes Versammlungslokal einzutreten begehrten, und Anhängern der KPD. Dabei fanden Messer, Spaten und andere gefährliche Werkzeuge Verwendung, so dass verschiedene Personen verletzt wurden. (…) Dieser hier skizzierte Zustand politischer Verwilderung kann im Interesse der Staatsautorität, des Ansehens Deutschlands in der Welt, der Sicherheit des einzelnen Staatsbürgers wie der Aufrechterhaltung und Wiederherstellung gesunder Grundlagen des Staats- und Gesellschaftslebens nicht länger geduldet werden.“
Nicht unerwähnt bleiben darf, dass die von Severing genannten elitaristischen Ausschreitungen sich im Sommer und Herbst 1929 ereigneten, also noch vor dem Schwarzen Freitag an der Wallstreet, vor dem Beginn der Weltwirtschaftskrise. Nicht die Arbeitslosigkeit und physischer Hunger waren die Auslöser, sondern der Hunger nach Erlösung aus dem parlamentarischen System, der Kampf der Anhänger Hitlers und Stalins um die zentralisierte Macht in Deutschland.
Severing hat das Problem erkannt, aber nicht konsequent genug ausgemistet. Hitler wurde nicht ausgeschafft, SA und Rotfrontkämpferbund wurden nur zeitweilig verboten, aber nie dauerhaft interniert. Alle Probleme wurden zu lasch behandelt.
Untragbare Sicherheitslagen entstanden mehrmals im Nachkriegsdeutschland, zum Beispiel während der Olympischen Spiele 1972 in München durch arabischen Terror und durch die von Moskau gesteuerte RAF im Herbst 1977. Auch andernorts auf der Welt herrschte Hilflosigkeit. In England stürzte ein Flugzeug über Lockerbie ab. In Kenia explodierten laufend Bomben. Die Vereinigten Staaten waren völlig indisponiert und unvorbereitet, als die Twin Towers am 11. September 2001 zusammenstürzten.
Seit 2001 hat sich die Welt sehr verändert. Nicht zum Vorteil. Der Telefon- und Internetverkehr wird weltweit überwacht, an den Flughäfen wird kontrolliert und der Zugang zu vielen Öffentlichen Gebäuden ist nicht mehr ungehindert möglich. Antreiber des Sicherheits- und Überwachungswahns sind die Vereinigten Staaten, die zur Zielscheibe vieler Extremisten geworden sind.
In einer ersten emotionalen Reaktion wollten die USA, Deutschland und andere die Demokratie am Hindukusch verteidigen. Das ist gescheitert. Der Bürgerkrieg kann nicht in asiatische Wüsten und Hochgebirge exportiert werden. Er muß in unseren Großstädten geführt, ausgefochten und gewonnen werden. Aber mit welchen Mitteln?
Die geheimdienstliche Unterwanderung der westlichen Zivilgesellschaften hat zweifellos „Erfolge“ vorzuweisen. Außer dem Bombenanschlag auf die spanische Eisenbahn 2004 mit 191 Toten und über 2000 Verletzten gab es keine größeren „Unfälle“ mehr. Die Ruhe vor Anschlägen legitimiert das Sicherheitsnetz, welches weltumspannend geschaffen wurde.
Aber ist es wirklich erforderlich aus dem Westen Sicherheitszonen und Polizeistaaten zu machen? Wäre es nicht einfacher und billiger, die Verursacher von Terror härter anzufassen, auszuschaffen oder zu internieren? Dabei gibt es sicher Hindernisse: Die Geheimdienste haben ein Interesse an möglichst viel Überwachung, denn das ist ihr Brotverdienst. Sie brauchen Bedrohungslagen. Auch Politiker, die die Bürgerrechte aushöhlen wollen, brauchen starke Feinde im Innern, um den Polizeistaat durchzudrücken. Das tiefere Ziel ist die Zerstörung der Demokratie. 1933 hat diese Strategie funktioniert. Eine der beiden damaligen Bürgerkriegsparteien hat gewonnen und die Macht übernommen. 1890 bis 1933 wurden der totale Staat und der totale Krieg gezielt herbeiregiert, indem der Staat sich das Monopol verschaffte Geld für den Weltkrieg zu drucken, diesen Krieg vier Jahre lang führte und die Kriegswirtschaft als Planwirtschaft etablierte. Die Wirtschaft wurde im Weltkrieg und danach zerrüttet und die Familien durch Verwendung der Männer als Kanonenfutter ruiniert. In der Justiz, in der Verwaltung und im Bildungswesen wurden Anhänger der Jugendbewegung geduldet. Im Staatlichen Bauhaus beispielsweise wurden die „Rote Fahne“ und der „Völkische Beobachter“ abonniert und gelesen, nicht jedoch der sozialdemokratische „Vorwärts“.
Angesichts der Möglichkeit der Wiedereinreise von Kämpfern aus Syrien oder dem Irak bleibt dem Mann auf der Straße die Spucke weg. Waffenlieferungen im Reisegepäck von Privatleuten über deutsche Flughäfen in Krisengebiete sind offensichtlich an der Tagesordnung. Bewaffnete Angriffe auf die Polizei durch organisierte Gruppen sollten die sofortige Internierung zur Folge haben. Das hat aber auch garnichts mit dem Demonstrationsrecht zu tun, weil Demonstrationen friedlich sind. Internierungen wurden von den USA und Großbritannien angewendet, nicht nur nach dem Zweiten Weltkrieg, sondern auch im Nordirlandkrieg und in Guantanamo. Das entspricht der Genfer Konvention.
Die Niederlage der Demokraten in Bürgerkriegen ist kein unentrinnbares Schicksal. Im Gegensatz zu den zwanziger Jahren regt sich überall in Deutschland (und in den Vereinigten Staaten) Widerstand gegen den Verlust der Bürgerrechte. Es gibt zahlreiche Stimmen gegen zunehmende Telefon- und Internetüberwachung, gegen die Aufweichung der Unverletzlichkeit der Wohnung, gegen restriktivere Waffengesetze, gegen Eingriffe des Staates in die Rechte von Wohnungseigentümern und gegen digitale Aggression durch Staaten und Geheimdienste.
Das Pendelspiel zwischen Freiheit und Sicherheit muß völlig neu austariert werden. So Wischi-waschi, wie die Groko-Administration auf massive Fehlentwicklungen und politische Entgleisungen reagiert, geht es nicht. Das Zaubermittel ist persönliche Verantwortung. Staatliche Autorität durch strikte Anwendung von bewährten Regeln und durch zuverlässige und berechenbare Ahndung von Regelverstößen ist die Kehrseite der Freiheit. Kann man das von einer Regierung erwarten, die ständig gegen den Maastricht-Vertrag verstößt und dessen Regeln aufweicht? Die Berliner Politiker sind Gummibärchen, die auf Druck von allen Seiten durch Meinungsänderung reagieren. Bis sie plattgemacht werden.
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