Im integrativen europäischen Haus fliegen die Fetzen
Früher war es eine goldene Regel, daß die deutsche Außenpolitik nicht innenpolitisch instrumentalisiert wurde. Dazu hatte Deutschland auch gute Gründe. Wenn es in den 50er oder 60er Jahren irgendwelche Nachbarländer belehrt oder kritisiert hätte, wäre es nie wieder auf die Beine gekommen. Die ersten Auslandreisen der Deutschen führten zu den ehemaligen Verbündeten in Italien und Spanien und nicht nach den Besatzungsgebieten in Norwegen oder Griechenland. Willy Brandt machte im Ausland noch Kniefälle.
Wachsendes Selbstbewußtsein der deutschen Politik
Seit Helmut Schmidt wurde Deutschland etwas selbstbewußter und seit Gerhard Schröder wurde Germanien zum Lehrherren des europäischen Hauses. Deutschland rempelte gerne bei Nachbarn an, mit zahlreichen Staaten gab es ernste Verstimmungen. Die deutsche Politik hatte wegen dessen eurokritscher Haltung ein gespanntes Verhältnis zum ehemaligen tschechischen Präsidenten Klaus. Steinbrück drohte der Schweiz mit Kavallerie, der Sozialdemokrat Stegner beleidigte die Schweizer als verblödet. Es gab ein kritisches Verhältnis zur ehemaligen Regierung Österreichs wegen Teilnahme der Freiheitlichen. Mit Polen war das Verhältnis während der Regierung Kaczynski zerrüttet. Dänemark wurde während der Regierung Rasmussen wegen Teilnahme der Volkspartei scharf angegriffen. Die Niederlande wurden während der Mitwirkung von Wilders Partei für die Freiheit an der Regierung angegrantelt.
Vergleiche mit Stalin und Hitler aus nichtigem Anlaß
Inzwischen herrscht in Europa allgemein ein rüder Ton, den man sich vor 50 Jahren nicht vorstellen konnte. Immer mehr Vergleiche mit Stalin und Hitler machen die Runde. Und das meistens aus nichtigem Anlaß. Peer Steinbrück nannte den italienischen Oppositionsführer Grillo einen Clown. Grillo revanchierte sich und bezeichnete Steinbrück als Flegel. Martin Schulz griff in der Tastatur deutlich höher und verglich Grillo jüngst mit Stalin. Grillo revanchierte sich und porträtierte Schulz auf seinem Blog in SS-Uniform. Auch zwischen Schulz und Steinbrück einerseits und Berlusconi andererseits war es zu handfesten Beleidigungen gekommen.
Die Bundeskanzlerin, die sich selbst sehr zurückgehalten hat, wird im Ausland, insbesondere in der griechischen Presse, als Nationalsozialistin porträtiert. Auch französische und britische Boulevardorgane eiferten darin nach.
Von der Eigentumswohnung in die Kommune
Die politische Kultur verfällt mit der Alltagskultur schlechthin. Es gibt aber eine Veränderung, die die unschöne Vermischung zwischen Außen- und Innenpolitik stärker antreibt, als der Verfall der Höflichkeitsformen. Es ist die europäische Integration. Für die Euliten ist es ja gerade das Ziel die Nationalstaaten zu überwinden und Europa als Einheitsstaat zu führen. In einem europäischen Einheitsstaat gibt es natürlich auf Dauer keine Außenpolitik zwischen Deutschland, Frankreich, Italien und Griechenland. Alles wird schleichend zum Innenverhältnis.
Und in diesem neuen integrativen europäischen Haus fliegen die Fetzen. Man kann das alte Europa der EWG als ein Haus mit Eigentumswohnungen betrachten. Man mußte zum Dach einiges gemeinsam regeln, aber in der Wohnung konnte man vieles alleine entscheiden. Das Europa der EU ist eine Kommune. Alles was sich die Wohnungseigentümer dieses Hauses früher gegenseitig verschwiegen, wird zwischen den frischgebackenen Kommunarden genüßlich ausgebreitet. Man streitet sich um die Hausordnung. Die vornehme Distanz zwischen den Völkern geht verloren. Das Gezerre um Rettungsschirme, Bankenhaftung und Schuldenerlasse gleicht der Erbauseinandersetzung in einer zerrütteten Familie, wo das Testament angefochten wird. Das europäische Testament war der Vertrag von Maastricht.
Wir müssen uns leider auf längeren brutalen Zank und böse Worte in Europa einrichten. Natürlich gibt es Hoffnung am politischen Horizont: Jede zerstrittene Kommune zerfällt irgendwann. Mit einem undiplomatischen Martin Schulz als Herbergsvater würde das relativ schnell gehen…