Die Revolution in der Türkei fällt aus
Wenn man die Berichte gewisser deutscher Medien über den Besuch von Frau Claudia Roth in Konstantinopel gelesen oder gesehen hat, mußte man davon ausgehen, daß die Helden vom Gezi-Park, die gegen den Türken-Ministerpräsidenten Erdogan protestiert haben, eine erdrückende Mehrheit der Bewohner der Stadt am Bosporus repräsentieren. Jeder gebildete Leser wird sicher wissen, daß Konstantinopel seit vielen Jahren Istanbul heißt. In Istanbul kann Frau Roth indessen nicht gewesen sein, denn dort hat Erdogans AKP, die Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung, gerade die Kommunalwahl gewonnen, was die Opposition auch eingeräumt hat. Also müssen Frau Roth und die deutschen Medien im Rahmen einer Zeitreise im byzantinischen Konstantinopel oder im Märchenland unterwegs gewesen sein.
Denn sie können einfach nicht verstehen, daß die Türkei zu einem anderen Kulturkreis gehört. Wo das Fratzenbuch von der Regierung mal kurz abgeschaltet wird und wo in der Hauptstadt säckeweise Wahlzettel verschwinden oder auch nicht. Ich habe keinerlei Lust die Vor- und Nachteile des Koran gegenüber der Bibel oder dem Kommunistischen Manifest auseinanderzulegen. Ich behaupte einfach, daß im Koran etwas völlig anderes geschrieben steht, als in europäischen Religionsschriften und deshalb gibt es einfach andere Traditionen und eine andere Kultur. Ich kann wie die Bürger in Goethes Osterspaziergang gut damit leben, daß hinten, weit in der Türkei die Völker aufeinander schlagen, soweit hier alles beim Alten bleibt.
Diejenigen Politkommissare, die seit einem Jahrzehnt über den Beitritt der Türkei zur EU verhandeln, haben mit hoher Wahrscheinlichkeit geglaubt, die Tradition und Kultur der Türkei einfach abschaffen und durch das Brüsseler Regelwerk ersetzen zu können. Das ist aber nicht so einfach. Bereits mit dem kleinen Griechenland und mit Zypern hat sich die EU zwei Länder aus einem anderen Kulturkreis einverleibt und reibt sich jetzt erstaunt die Augen. Griechenland und Europa haben sich zwei Jahrzehnte fundamental mißverstanden, und haben weggesehen, wo man Differenzen hätte erkennen können. Man hat gekonnt aneinander vorbeigelebt und vorbeigeredet. Und seitdem alle aufgewacht sind, gibt es immer noch keine gemeinsame Denkweise der Griechen und der Europäer.
Hollywood und Brüssel müssen aufhören, aus der Dritten Welt ein Umerziehungscamp zu machen. Lassen wir doch den Indern, den Muslimen, den Chinesen, den Japanern, den Orthodoxen und den Buddhisten ihren Spaß mit skurrilen Bräuchen. Fragen wir uns doch nicht ständig, wann in Saudi-Arabien die Renaissance, der Dreißigjährige Krieg oder die Aufklärung ausbricht. Vielleicht nie! Es gibt in Europa kein Rad der Geschichte, daß sich vorwärts drehen muß. In Afrika und Asien schon gar nicht.
Tradition ist wie Unkraut nicht wegzubekommen. Eine Frau in Südafrika war in einem Stammesgebiet wegen Hexerei zu einem qualvollen Tod verurteilt worden. Am Tag vor der Zeremonie wollte eine aufgeklärte Europäerin die Negerin ausschaffen, um sie vor dem Tod zu retten. Die wegen Hexerei Verurteilte lehnte die Flucht ab. Letztlich war sie in ihrem Kulturkreis gefangen, genauso wie die Inder, der sich unter das Juggernaut-Rad warfen, um zermalmt zu werden. Oder die vielen Russen, die von Stalin gefoltert wurden und trotzdem an den Kommunismus glaubten. Oder Polen und Balten, die 50 Jahre Sowjeterziehung zum Neuen Menschen ignoriert haben.
Die europäischen Kolonialmächte sind in Südamerika, Afrika und Asien gescheitert und Rußland in Osteuropa und Zentralasien. Hollywood ist in Vietnam, Nigeria, Zimbabwe, Somalia, im Irak, in Afghanistan, Ägypten, Libyen und Syrien gescheitert. Brüssel hat in Athen und Nikosia sein Waterloo erlebt.
Das Phänomen der Traditionsbekämpfung durch Kulturimperialismus ist alt. Schon Karl Marx saß dem gesellschaftlichen Machbarkeits-Irrtum auf. 1848 schrieb er: „Die Bourgeoisie reißt durch die rasche Verbesserung aller Produktionsinstrumente, durch die unendlich erleichterte Kommunikation alle, auch die barbarischsten Nationen in die Zivilisation. Die wohlfeilen Preise ihrer Waren sind die schwere Artillerie, mit der sie alle chinesischen Mauern in den Grund schießt, mit der sie den hartnäckigsten Fremdenhaß der Barbaren zur Kapitulation zwingt. Sie zwingt alle Nationen, die Produktionsweise der Bourgeoisie sich anzueignen, wenn sie nicht zugrunde gehen wollen; sie zwingt sie, die sogenannte Zivilisation bei sich selbst einzuführen, d.h. Bourgeois zu werden. Mit einem Wort, sie schafft sich eine Welt nach ihrem eigenen Bilde.“
166 Jahre später ist klar: In Arabien, Rußland, Nordkorea, Griechenland, im Iran, Venezuela, Kuba, in den meisten afrikanischen Staaten gehen die Uhren anders. Chinesische Parteifunktionäre schießen mit der Artillerie wohlfeiler Preise Bourgeoisie und Proletariat in den Grund. Es herrscht weltweit genausowenig Marktwirtschaft wie 1848. Karl Marxens Shooting-Stars Bourgeois und Proletarier haben fast nirgendwo mehr etwas zu sagen. Die Welt wird nach wie vor von Ideologen, Oligarchen, Familienclans, Monarchen, Zentralbankern und Bürokraten regiert. Der hartnäckige Fremdenhaß der Barbaren ist ungebrochen. Es gibt eine lange Liste mit Reisehinweisen des Auswärtigen Amtes.
Eine Integration von Staaten in das europäische Haus hat nur Zweck, wenn Völker in die EU aufgenommen werden, die ähnliche Vorstellungen und Traditionen wie die Gründungsmitglieder der EU haben. Das war bei der Auflösung Jugoslawiens und des Ostblocks der Fall. Die Polen, Balten, Slowaken, Kroaten, Slowenen, Tschechen und Ungarn sind alle hochzufrieden mit der neuen Zeit und haben die Chance europäische Musterländer zu werden oder sind es schon.
Der Kulturimperialismus hat noch nie gefruchtet. Hollywood kann zwar den weltweiten Verzehr von Chickenwings und brauner Brause durchsetzen, aber ihre Filme und ihre Musik produzieren Inder, Franzosen und Chinesen selber.
Zurück zur Levante: Lassen wir doch Griechen, Zyprioten, Türken und anderen exotischen Völkern ihre liebenswerten Macken. Ab und an liefern sie Material für ein völkerkundliches Buch, eine Anregung für einen Gewandschneider oder einen Naturfilm. Die Republik Venedig kann wieder friedlichen Handel mit ihnen treiben. Lassen wir sie ansonsten in Ruhe, ersparen wir Ihnen Schulmeisterei und ziehen wir uns zurück in unser Europa!
Alles ist machbar. Dem menschlichen Willen sind keine Grenzen gesetzt. Man muss nur alles wissen, so wie unsere Bürokratie und so selbstlos und moralisch erhaben sein wie unsere Regierung.
Sicher hat Herr Prabel nicht den notwendigen Durchblick, aber unsere Regierung weiß genau, was gut für uns ist, wie man eine Gesellschaft bürokratisch exakt plant, wie sie sozial gerecht und ökologisch nachhaltig zu funktionieren hat und wie wir unser Leben leben müssen, um diesem großen Plan gerecht zu werden.
Wenn wir denen nur ausreichend Blankoschecks überlassen, können die unsere ganze Gesellschaft – und gleich nebenbei die anderen im Kosovo, am Bosporus, am Hindukusch und vermutlich überall sonst auf der Welt – so umerziehen, dass wir Unwissenden, Unwürdigen in deren Pläne passen.
Ich erlaube mir ein wenig Pathos, wenn ich mich auf den großen Sprung nach vorne freue. Es lebe unser Vormund, die allwissende Bürokratische Klasse und ihre Starverkäufer, unsere Politiker, zu denen wir alle aufsehen und Erlösung von all unseren Problemen erwarten können. .. Jetzt hab ich mir vor lauter sozial-gerechter Vorfreue in meine biologisch abbaubare Windel gepubst. So, wo ist jetzt mein gendergerechter Schnuller und mein Antifaschismus-Ganzkopf-Helm mit solarkraftgetriebenem GEZ-Gehirngrill? ..