Mehr Bürgerrechte, mehr wirtschaftliche Freiheit?
Kürzlich habe ich zwei Kommentare zu einem Blogeintrag über Freiheit gelesen. „Freiheit (Libertas) beginnt nämlich bei den Bürgerrechten und nicht bei der Wirtschaftsordnung. Freie Bürger könnten dann ihre Wirtschaftsordnung gestalten/bestimmen und nicht umgekehrt. wie es jetzt ist.“ Und „Was dieses Land braucht ist ein Reset in der Justiz und staatlichen Verwaltung. Die freie Wirtschaft, die freie Kunst braucht es nicht. Die Gesetze sind anti-liberal und hier sollte die Reformdiskussion ansetzen, sie sollte von Juristen ausgehen…“
Ob wirtschaftliche Freiheit bei den Bürgerrechten oder bei der Gesetzgebung beginnt?
Es gibt drei Stationen der deutschen Geschichte, die Beweiskraft haben. Die Stein-Hardenbergschen Reformen in Preußen 1807 bis 1811, die Weimarer Republik 1918 bis 1933 und die Ehrhardt´schen Reformen 1948 bis 1957.
Nach der Niederlage Preußens gegen Napoleon wurde die Gesetzgebung reformiert. Das betraf die städtische Selbstverwaltung, die Ablösung von feudalen Lasten auf dem Land und die Gewerbefreiheit. Die Reformer Stein und Hardenberg griffen in die Bürgerrechte und die Wirtschaftsliberalisierung gleichzeitig ein. Die Reformen auf dem Land begegneten dem Widerstand des Adels, die Gewerbereformen wurden gegen das Handwerk durchgesetzt. Und gegen die Judenemanzipation zettelten die Handwerker und Krämer die Hep-Hep-Unruhen an. Alles wurde von oben gegen den Widerstand von Partikularinteressen durchgedrückt. Der Weg führte von der Gesetzgebung zur städtischen Selbstverwaltung, zur Gewerbefreiheit und zur Judenemanzipation. Eine parlamentarische Mitwirkung der Bürger erfolgte nicht. Reformen wären in einem Parlament elend gescheitert.
Das Fazit für die Reform 1807 bis 1811 in Preußen lautet: Bürgerrechte und Wirtschaftsfreiheit wurden per Gesetz im Paket von oben durchgedrückt und nicht als Gegensatz, sondern als Einheit betrachtet.
Ein zweites Beispiel ist die Weimarer Republik von der Novemberrevolution bis zur sogenannten Machtergreifung. Die Weimarer Republik begann mit der Einführung des Achtstundentags und umfangreichen Gewerkschaftsrechten. Das allgemeine Wahlrecht auch für Frauen wurde eingeführt und das Dreiklassenwahlrecht in Preußen abgeschafft. Der Präsident wurde vom Volk direkt gewählt. Volksabstimmungen wurden ermöglicht und auch durchgeführt. Der Adel wurde nach und nach aus den Verwaltungen verdrängt und durch Beamte nach Parteiproporz ersetzt.
Bei diesen vielen neuen Rechten der Bürger hätte man nun vermuten können, daß die Wirtschaft freiheitlicher gestaltet worden wäre. Das pure Gegenteil war der Fall. Es wurde die ganzen 20er Jahre an den Strukturen gebaut, die Adolf Hitler später bestätigte und ausbaute. Die Industrie wurde zunehmend von Kartellen beherrscht, immer mehr Handwerker organisierten sich in Innungen, auf dem Land breiteten sich die Landbünde aus und das junge Bildungsbürgertum organisierte sich in Organisationen wie dem Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund. Alles vor dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise.
In der Weimarer Regierungspraxis, sowohl mit als auch ohne sozialdemokratische Beteiligung, kam es zu permanenten Reglementierungen der Wirtschaft. Auf dem Kieler Parteitag der SPD 1927 reflektierte Rudolf Hilferding diese planwirtschaftliche Entwicklung, als er feststellte, daß sich die Wirtschaft infolge der Kapitalkonzentration von einem freien zu einem organisierten Kapitalismus entwickelt habe. Darin sei das Prinzip der planmäßigen Produktion schon enthalten.
Bis in die dreißiger Jahre hielt sich der sozialdemokratische Kinderglaube, die ökonomischen Verbandsmonster des Kaiserreichs und der Weimarer Republik demokratisieren, politisieren und auf diesen wilden ökonomischen Tigern unfallfrei durch die Pforten des demokratischen Sozialismus reiten zu können.
Adolf Hitler war kein Jahr im Amt, als er am 27. Februar 1934 die faulen Früchte der Republik auflas und das Gesetz zur Vorbereitung des organischen Aufbaus der deutschen Wirtschaft in Kraft setzte. Der Reichswirtschaftsminister konnte die Verbandsführer nun wie Puppen auswechseln. Das war der Endpunkt der Politisierung der Wirtschaft. Das System der staatlich überwachten Wirtschaftsverbände, das wegen seiner Abstinenz von individuellen Unternehmerentscheidungen strukturell an die mittelalterlichen Zünfte erinnert, wurde beibehalten und gefestigt.
Aus der Weimarer Republik kann man lernen, daß es wirklich keinen Automatismus der Ausbildung einer Wettbewerbsordnung nach politischen und demokratischen Reformen gibt. Werden die Reformen von Sozialdemokraten betrieben, landen Wirtschaft und Kultur zwangsläufig im Sozialismus.
Und dann gibt es noch ein drittes Fallbeispiel. In der deutschen Geschichte gab es eine Situation, in der ein politisches Tauwetter und liberale Wirtschaftsreformen Hand in Hand gingen. Das war 1949 bis 1957 unter Wirtschaftsminister Ludwig Ehrhardt der Fall. Erst wurde der Parlamentarismus wiederbelebt. Dann wurde die Preisbindung aufgehoben und 1957 ein Antikartellgesetz verkündet, das den Wettbewerb schützen sollte. Natürlich immer gegen heftigen parlamentarischen und gewerkschaftlichen Gegenwind.
Rückblickend sagte Ludwig Erhard am 7. Januar 1958: „Wenn ich jetzt daran denke, welche Fragen uns in der ersten Phase nach der Währungsreform beschwerten, als wir erst wieder einmal zu einem gleichgewichtigen Preisniveau hinfinden mussten, oder als man unter der Androhung und auch Durchführung eines Generalstreiks den Versuch machte, uns wieder in die früheren Formen der Preisbindung und der Bewirtschaftung zurückdrängen zu wollen. Hier gehörten schon starke Männer und gute Nerven dazu, in solchen Wirrnissen doch gutes Gleichmaß zu behalten.“
Wenn man ehrlich ist: der Kurswechsel zur Marktwirtschaft war nur erfolgreich, weil die deutschen Politiker unter Kontrolle der Besatzer standen und weil die Alliierten sich untereinander nicht einig waren. In diesem politischen Vakuum nutzte Ehrhardt den entstandenen Freiraum aus und drückte die Reform durch.
Die drei Beispiele zeigen, daß es keinen festen Zusammenhang zwischen politischer Demokratie und wirtschaftlicher Wettbewerbsordnung gibt. Politische Lockerungen wurden zusammen mit ökonomischen Neuerungen 1805 und 1949 mehr oder weniger von oben angeordnet. Politische Demokraterei nach dem Ersten Weltkrieg hat in die wirtschaftliche und politische Tyrannei geführt.
Das Rad der Geschichte, das sich in Richtung Fortschritt dreht und politische Patentrezepte gibt es einfach nicht…