Lieber Krimsekt als Krimkrise
Die Verletzlichkeit Rußlands und Deutschlands im Falle einer größeren Mißstimmung kann man leicht aus dem Außenhandel ableiten, den beide miteinander treiben.
Rußland lieferte 2012 für 32 Mrd. € Öl und Gas nach Deutschland und für weitere 8 Mrd. € Kohle, Koks, Mineralölprodukte und Metalle. Immerhin 23 % der russischen Gasexporte gehen nach Deutschland, etwa genau so viel wie ins übrige Osteuropa. Deutschland lieferte im gleichen Zeitraum für 17 Mrd. € Maschinen und Fahrzeuge nach Rußland.
Prinzipiell sind Rohstoffpreise schwankender, als Fertigwarenpreise. Der Ölpreis schwankt viel stärker, als der Preis einer Mittelklasselimousine. Das macht die russische Wirtschaft, die eine fast lupenreine Rohstoffwirtschaft ist, verletzlich. Die Limousine hat den Vorteil, daß man sie überall hin transportieren kann. Per Schiff, per Bahn und per Straße. Bei Gas ist man auf Leitungssysteme angewiesen und damit sehr eingeschränkt. Deshalb läßt Putin zwei LNG-Terminals errichten (die Terminals Shtokmann und Yamal am Eismeer). Zwei Terminals sind angesichts der zu exportierenden Gasmengen natürlich wie weiße Salbe. Rußland ist sowohl über den Preis wie über die Menge der Rohstoffexporte verletzlich.
Aber auch Deutschland verliert im Konfliktfall. Rußland ist angesichts seiner minimalen Produktionskapazitäten für Fertigprodukte (außer Rüstungsgüter) ein wichtiger und wachsender deutscher Absatzmarkt. Bei Nahrungsmitteln wird es noch Jahre dauern, bis Rußland Selbstversorger wird. Im Bodenrecht herrschen durch das Überwiegen von Miteigentum immer noch traditionelle asiatische Verhältnisse, die die landwirtschaftliche Produktion stark behindern. Aber dieses russische Defizit ist für fast alle Nachbarländer von Vorteil.
Rußland hatte im vergangenen Jahrzehnt immer einen Exportüberschuß. Der überträgt sich aber nicht 1: 1 in die Leistungsbilanz. Die Rohstoffbetriebe sind riesige zentrale Geldsammelstellen, an diesen stark schüttenden Geldquellen hocken die Oligarchen. Diese und ihre Untergebenen vertrauen ihrem Mutterland nicht im geringsten. Sie hudeln den Kreml mit reinen Lippenbekenntnissen und lenken als materiellen Mißtrauensbeweis gleichzeitig gigantische Geldströme ins Ausland.
Dem deutschen Staat geht es moralisch nicht besser. Auch den Machthabern in Berlin traut man nichts mehr zu. Deutschland ist viel stärker verschuldet wie Putins Rußland. Jeder kleine Steuerausfall durch fallende Aktienkurse, sinkende Umsätze und sinkende Unternehmensgewinne kostet Vertrauen und schränkt den schrumpfenden politischen Handlungsspielraum weiter ein.
Krimsekt wäre schöner, als russische Panzer auf der Krim. Wünschen wir Außenminister Steinmeier das Beste. Er schüttet gerade ein Fläschchen Baldrian in einen aufgewühlten Ozean aus Gift und Mißtrauen. Manchmal soll Homöopathie ja helfen.
Lenin wollte den Sozialismus in nur einem Land verwirklichen. Aus den 90er Jahren gibt es eine fortentwickelte Anekdote: „Was wird die nächste russisch-orthodoxe Bischofskonferenz behandeln?“ „Es wird darum gehen, ob man die Apokalypse in nur einem Land verwirklichen kann“.
Im Falle einer ausgewachsenen Krimkrise kann man eine europaweite Apokalypse erwarten…
2 Antworten auf “Lieber Krimsekt als Krimkrise”