Die NSU als Totschlagargument für alles
„War die Revolution 1989 für die NSU-Morde mitverantwortlich?“ So titelte die Thüringer Allgemeine am 22.11.2013 in fettesten Lettern auf ihrer Titelseite.
Das hätten die ehemaligen „Volk“-Redakteure wohl gerne. Wenn der Stacheldraht erhalten geblieben wäre, dann hieße die Thüringer Allgemeine noch „Das Volk“ und die Morde wären natürlich nicht passiert. Schon weil die Tatorte von Jena aus nicht zu erreichen waren.
Mutter Böhnhardt wird von den Journalisten als Minenhund vorgeschickt: Die Folgen der friedlichen Revolution vor 24 Jahren gehörten ihrer Meinung nach zu den Hauptgründen für die kriminelle Karriere des NSU-Trios. „Bei Uwe kamen so viele Dinge zusammen: die politische Umwälzung, die Schulreform, dann die Pubertät, das hat ihn aus der Bahn geworfen“, so Brigitte Böhnhardt. Ein Problem sei später auch gewesen, dass sowohl ihr Sohn als auch Beate Zschäpe und Uwe Mundlos arbeitslos waren.
Jenas Oberbürgermeister Albrecht Schröter (SPD), der selbst zuweilen für politischen Wirbel sorgt, hält die Ursachenforschung von Frau Böhnhardt nicht für unbegründet. Die Ursachen rechtsradikalen Denkens seien noch nicht ausreichend untersucht. Allerdings begünstigte seiner Meinung nach der Umbruch den Zulauf der rechtsradikalen Szene. „Junge Menschen mussten zu Beginn der 90er-Jahre einen enormen Autoritätsverlust der staatstragenden Personen und Strukturen erleben“, sagte Schröter der Thüringer Allgemeinen. Dieses Vakuum sei erst allmählich durch das Wachsen demokratischer Strukturen gefüllt worden.
Lieber Herr Schröter: Auch 1918 und 1945 mußte die Jugend einen gigantischen Autoritätsverlust des staatstragenden Personals verdauen. Das kommt in Deutschland eben öfter mal vor. Wem das auf Dauer zu lästig ist, der kann seit November 1989 zum Beispiel nach Schweden, Amerika oder in die Schweiz emigrieren.
Ich glaube, daß der Normalo nach 1989 die verflossenen Autorritäten nicht so stark vermißt hat. Da mußte man schon Lehrer sein oder protestantischer Pfarrer wie Herr Schröter…
Schröters Parteigenossin Dorothea Marx, Vorsitzender des NSU-Untersuchungs-Ausschusses im Thüringer Landtag hat im Ausschuß etwas konkretere Dinge gelernt: „Bei Böhnhardt und Mundlos haben wir vielmehr zwei Personen, die aus einem materiell wie sozial stabilen Umfeld stammen.“ Falsch sei es auch, wenn die Mutter Böhnhardts die Radikalisierung ihres Sohnes auf ein „zu hartes Umgehen“ der Polizei mit ihrem Sohn zurückführen will. „Sie macht es sich viel zu leicht, wenn sie die Schuld nur bei anderen sucht.“
Die Eltern der Uwes waren wie in Jena üblich Lehrer, Ingenieure und Professoren. Daß Uwe Böhnhardt ein materiell stabiles Umfeld hatte, kann man nachvollziehen. Die soziale Stabilität in seiner Familie – da mache ich nach dem Auftritt von Frau Böhnhardt vor Gericht mal ein kleines Fragezeichen.
Wenn Frau Böhnhardt nach 1990 mit der Schulreform nicht klar gekommen ist, dann ist sie wohl etwas außergewöhnlich konstruiert. Ich für meinen Teil konnte ganz gut damit leben, daß mein Jüngster keine Wehrkunde und kein Russisch mehr hatte, daß die Eskaladierwand auf dem Schulhof abgebaut war und daß man die „Volksarmee“ nicht mehr abbonieren mußte. Die Geschmäcker sind eben verschieden…