Großprojekte im Kreuzfeuer
Egal ob ein Flughafen, ein Bahnhof oder ein Konzertsaal gebaut werden soll: Deutschland kann es nicht mehr. Seit Jahrzehnten ist die Zahl der Bau-, Umweltschutz-, Brandschutz-, Arbeitsschutz-, Lärmschutz- und Gewässerschutzvorschriften explodiert. Verbunden damit haben sich die Klagemöglichkeiten von Bürgern und Verbänden verbessert und die Chancen vor Gericht zu gewinnen sind gestiegen. Denn wo eine Vorschrift ist, kann man sich auf sie berufen. Großprojekte werden immer mehr zu wahren Gutachterschlachten. Entsprechend verlängert sich die Planungs- und Realisierungsdauer. Alleine daraus resultieren Kostenerhöhungen. Bei Stuttgart 21 kommen zum Beispiel 800 Millionen aus Wünschen der Stadt Stuttgart und des Landes Baden-Württemberg dazu.
Die Kosten dieser Großprojekte haben sich wie folgt entwickelt:
Projekt |
Kosten alt |
Kosten neu |
Flughafen Berlin |
2.830 Mio |
4.500 Mio |
Elbphilharmonie Hamburg |
77 Mio |
575 Mio |
Bahnhof Stuttgart |
2.500 Mio |
6.800 Mo |
Summe |
5.407 Mio |
11.875 Mio |
Die Mehrkosten, die aufgelaufen sind, betragen also € 6.468 Mio.
Wenn man die Mehrkosten auf die Bevölkerung der betroffenen Städte verteilt:
Berlin 1.670.000.000 / 3.501.000 = 477 €
Hamburg 498.000.000 / 1.799.000 = 277 €
Stuttgart 4.300.000.000 / 613.000 = 7.015 €
Jeder Berliner Familie hätte man für die Mehrkosten des Flugplatzes 10 Freifahrten zum Flughafen Schkeuditz bezahlen können. In Hamburg hätte man jedem Einwohner für die Mehrkosten des Konzerthauses ein gutes Musikinstrument schenken können, in Stuttgart hätte es pro Haushalt schon für einen guten gebrauchten Mercedes gereicht.
Das nächste Planungs- und Genehmigungsdesaster deutet sich bei den Hochspannungsfreileitungen an, die aus Sicht der Medien und der Politiker angeblich für die Energiewende erforderlich wären. Schon jetzt ist alles in Verzug.
Deutschland hat nun soviele Vorschriften, daß kein Bauherr wirklich damit zurechtkommt. Bei Großprojekten müssen oft mehrere Dutzend Fachgutachten koordiniert werden, die sich widersprechen. Dazu kommen taffe Baubetriebe, die das Genehmigungschaos ausnutzen und selbstverliebte Architekten, denen die Kosten egal sind, wenn sie sich selbst verwirklichen können. Und barocke Politiker, denen die Kosten auch Wurst sind, wenn sie nur zum Schluß im Blitzlichtgewitter der Medienfotografen ein buntes Band zerschneiden können. Und eine Bürgerbeteiligung, die erst dann einsetzt, wenn sie kostentreibend und zerstörend wirkt.
Bei einer frühzeitigen Volksabstimmung über den Bahnhof Stuttgart wäre das Projekt sofort kostengünstig gescheitert, denn nur 4.7 Mio Deutsche sind Bahncard-Inhaber und fahren regelmäßig mit der Eisenbahn. Das ist eine verschwindende Minderheit. Gleiches wäre mit der Elbphilharmonie passiert: Wer geht von den Hamburgern schon ins Konzert? Alle Opern, Operetten und Konzerte hatten 2010 in Hamburg 254.000 Besucher (Statistik des Bühnenvereins). Selbst wenn man annimmt, daß jeder Besucher nur eine Musikveranstaltung besuchte und daß es keine Zugereisten aus dem Umland gab, ist das jeder siebente Hamburger. In der runtergewirtschafteten und bettelarmen Metropole Berlin ist die Frage, wer sich außer ein paar Bundesbeamten und Politikern überhaupt noch einen Flug leisten kann. Der neue Armutsatlas der Betreuungsindustrie signalisiert Berlin dunkelrot. Der Bürgermeister spricht von arm, aber sexy. Meint er damit, daß sich nur Prostituierte einen Flug leisten können? Es liegt der Verdacht nahe, daß sich die Politiker einen persönlichen Wunsch erfüllt haben.
Der tiefere Grund für das Desaster der Großprojekte liegt neben dem Vorschriftensalat darin, daß oft Minderheitenveranstaltungen wie Bahnhöfe, Konzertsäle und Flughäfen als elitäre Prestigeprojekte durchgepeitscht werden, die bei der breiten Mehrheit keine wirkliche Akzeptanz haben. Das führt zu Klagen, und wenn der Rückhalt in der Bevölkerung ganz fehlt, auch zu Ausschreitungen und grüner Randale.